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Es geht nicht um die Karten. Pius Heinz am Finaltisch der Weltmeisterschaft in Las Vegas.

© dapd

Pokern: Bluff ist Trumpf

Worauf es beim Poker wirklich ankommt – Pius Heinz, deutscher Pokerweltmeister, gibt einen Einblick in seine Arbeitsweise.

Pius Heinz sitzt vor einem Rätsel. Es ist eine komplexe Aufgabe, die ihm hier gestellt wird, am Finaltisch der Poker-Weltmeisterschaft. Der Ire Eoghan O’Dea hat den jungen Deutschen stark unter Druck gesetzt, indem er einmal erhöht und anschließend noch einmal viel gesetzt hat. Heinz muss lange überlegen, er nimmt sich Zeit. Zwei, drei, vier Minuten. Es wird still auf der Tribüne des Penn & Teller Theatres von Las Vegas. Nur noch das rauschende Rasseln der Plastikchips ist zu hören, die Heinz hypnotisch durch die Finger gleiten lässt. In seinem Kopf rasen die Bilder der monatelangen Video-Vorbereitung auf diesen Finaltisch: Wie denkt dieser Ire? Wie hat er sich zuvor in ähnlichen Situationen verhalten? Wie wahrscheinlich ist es, dass O’Dea blufft? Trifft Heinz hier die falsche Entscheidung, dann ist das Turnier für ihn beendet. Kein WM-Titel, keine 8,7 Millionen Dollar Preisgeld. „Ich habe mich gefragt, ob O’Dea nervenstark genug ist, um in dieser ungewöhnlichen Situation zu bluffen“, sagt Heinz rückblickend. „Meine Antwort war: Ja.“ Deshalb riskiert der 22 Jahre alte Deutsche alles, er geht „All-in“. Und er hat recht. O’Dea muss aufgeben, er hatte tatsächlich geblufft. Etwas später scheidet der Ire aus. Es ist die entscheidende Hand für Heinz auf dem Weg zum Titel, den er schließlich gewinnt und der sein Leben nachhaltig verändern wird.

Noch im Sommer dieses Jahres ist Heinz ein ziemlich normaler deutscher Student, der Poker wie einen Nebenjob betreibt. Nichts ungewöhnliches, seit dem Boom des Spiels zu Beginn des Jahrhunderts. Schätzungen zufolge pokern in Deutschland eine halbe Million Menschen regelmäßig, live im Casino oder im Internet. Doch nur etwa zehn Prozent von ihnen gewinnen auf lange Sicht Geld. Die allermeisten dieser Gewinner sind jung, intelligent und waren ehrgeizig genug, um sich durch die Standardwerke der Pokerliteratur zu quälen und obendrein stundenlang Lehrvideos im Internet zu gucken. So hatte auch Heinz vor etwa vier Jahren einmal angefangen. Nach ein paar feucht-fröhlichen Runden im Freundeskreis hatte ihn die Faszination gepackt. Heinz wollte mehr wissen über diesen Mischling aus Strategie und Glück namens Poker. „Ein Pokerspieler muss diszipliniert sein und immer mehr wissen wollen“, sagt Heinz. Auch er selbst, der erste deutsche Weltmeister, habe sein Potenzial noch nicht ausgeschöpft. Er will weiter intensiv an sich arbeiten – so wie in der Vorbereitung auf den Finaltisch. Für diesen hatte sich Heinz im Juli, nach dem ersten Teil des zehntätigen, 6865 Teilnehmer starken Pokerturniers qualifiziert. In den gut drei Monaten bis zum Finale im November ließ Heinz sich von dem kanadischen Profi Mike McDonald coachen.

Nur wer fit ist, kann nach vielen Stunden die richtige Entscheidung treffen

Die beiden simulierten den „Final table“, entschlüsselten Denkmuster hinter den Spielzügen der Gegner und analysierten deren Körpersprache. Heinz stellte seine Ernährung um. Kaum Fleisch, dafür viel Obst und Gemüse. „Nicht einmal den kleinsten Fettrand wollte er tolerieren“, klagt Mutter Maria-Theresia, die Heinz zusammen mit seiner Schwester auch zum Finaltisch in Las Vegas begleitet hatte. Nur wer fit ist, kann auch nach Stunden am Pokertisch noch die richtigen Entscheidungen treffen – die reine Spielzeit bei der Weltmeisterschaft betrug über 80 Stunden, verteilt über zehn Tage. Muss man ein Perfektionist sein, um das wichtigste Pokerturnier der Welt zu gewinnen? „Nein“, sagt der US-amerikanische Profi und Experte fürs Fernsehen, Antonio Esfandiari. Ein Nerd müsse man nicht sein, viel Training, grundlegende Mathematik-Kenntnisse und Hartnäckigkeit seien die Grundvoraussetzungen eines guten Pokerspielers. Auch Pius Heinz ist weder ein Verbissener, noch ein Hochbegabter. Seine Freunde aus Odendorf bei Köln beschreiben Heinz als bodenständig, familiär und immer gut gelaunt.

Sein Auftritt passt dazu. Heinz ist höflich, aber bestimmt. Er hat 200 Freunde bei Facebook, aber über 2000 Anfragen. „Mein Privates soll privat bleiben“, sagt Heinz. Vor der Weltmeisterschaft studierte Heinz Wirtschaftspsychologie in Köln, zugunsten von Poker hat er das Studium nun unterbrochen. Heinz muss grinsen. „Das hat nur wenig miteinander zu tun“, sagt er, die Lachfalten ziehen sich dabei über das Gesicht des großen und schlanken Blonden. Psychologie am Pokertisch sei das Interpretieren von Mimik und Gestik des Gegners in Zusammenhang mit der Spielsituation und dabei vor allem mit der Dynamik am Tisch, sagt Heinz. Im finalen Duell bei der World Series of Poker mit dem Tschechen Martin Staszko fiel ihm auf, dass Staszko seinem Blick immer nur dann standhielt, wenn er eine gute Hand vorweisen konnte. Die größte Stärke von Pius Heinz liegt wohl in der Fähigkeit, den Geldwert der Plastikchips und damit einen immensen Druck auszublenden. Wer an Geld denkt, ist abgelenkt, handelt impulsiv, entscheidend ist die Konzentration auf die Sache.

Am Finaltisch von Las Vegas, der im Internet und in Spartensender in alle Welt übertragen wurde, wirkt Heinz entspannt, er lacht viel, plaudert mal mit dem einen, dann mit dem anderen Gegner. Die schauen eher konzentriert bis grimmig drein. Nur wenn Heinz selbst in eine Hand involviert ist und die anderen auf ein Neues mit seiner unbändigen Spielfreude überrollt, darf er keine Emotionen zeigen. Dann setzt er unter seiner weißen Kapuze das „Pokerface“ auf und starrt seinen Gegner an, um vielleicht einen Hinweis in dessen Mimik oder Gestik zu erhaschen. Bei seiner entscheidenden Hand gegen O’Dea waren sich die Experten im US-Fernsehen sicher, Heinz müsse aufgeben. Der Druck des Iren sei einfach zu hoch. Doch Heinz vertraute seiner Analyse. In einer Pokerrunde zu Hause unter Freunden würde er in derselben Situation nicht aufgegeben. Also warum hier?

Die Pokerlegende Doyle Brunson sagt: „Es gibt viele Spieler, die sich in der Pokertheorie fabelhaft auskennen. Die meisten aber können unter Druck nur einen Bruchteil dieser Informationen abrufen und machen Fehler.“ Im Profibereich findet Poker häufig auf einer Meta-Ebene statt. Selten muss ein Spieler seine Karten überhaupt zeigen. Die meisten Hände werden vor dem „Showdown“ entschieden, weil einer der Spieler aufgibt. Häufig geht es also gar nicht primär um die Karten selber. Dann ist es ein rein psychologisches Kräftemessen.

Alkohol am Tisch ist verpönt

In den USA hat Poker eine lange Tradition. Mit dem Goldrausch Mitte des 19. Jahrhunderts eroberte das Spiel zuerst den Westen und dann das ganze Land. In Deutschland hat Poker kaum Tradition. In der öffentlichen Wahrnehmung ist es noch immer die Zockerei von ein paar whiskeytrinkenden, alten Ganoven. Der Altersdurchschnitt der Weltmeisterschaft lag etwa bei 36, am Finaltisch des Hauptturniers betrug er 28. Die meisten Spieler sind fit, Alkohol am Tisch ist verpönt.

Pius Heinz sieht sich nun in der Pflicht, das Spiel in Deutschland aus seiner gammeligen Nische zu holen und als Sport zu präsentieren. Der Marktführer Pokerstars hat ihn als Profi unter Vertrag genommen, Heinz tingelt derzeit durchs deutsche Fernsehen. Materielle Ziele dürfte er nach dem Gewinn von 8,7 Millionen Dollar kaum noch haben. Gekauft hat er sich von dem Geld ohnehin noch nichts. „Ich wüsste eigentlich nicht, was das sein sollte. Im Moment bin ich einfach wunschlos glücklich“, sagt er. Das Vermögen legt Heinz konservativ an. Und mit einem Teil davon wird Heinz sicher wieder Poker spielen. „Ich liebe das Spiel einfach.“

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