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Polit-Posse: Die Angst der Türken vor einem Ruderboot

Ankara verwehrt einem griechischen Nachbau des Argonauten-Schiffes die Passage durch den Bosporus. Die türkische Regierung hat Angst, die Reise soll dazu dienen, griechische Ansprüche auf dern türkischen Nordosten neu zu beleben. Selbst türkische Beobachter sprechen von einer "Paranoia".

Es war eines der größten Abenteuer der antiken Welt. Vor dreitausend Jahren durchquerten Jason und die Argonauten der Sage nach mit ihrem Schiff die Meerenge des Bosporus und fuhren gen Osten, um das Goldene Vlies zu finden. Die 50 griechischen Ruderer der „Argo“ schafften den Bosporus nur mit Hilfe der Göttin Athene, die das Schiff am Ausgang zum Schwarzen Meer mit einem rettenden Schubs davor bewahrte, von Felsen zermalmt zu werden.

Göttliche Hilfe hätten auch moderne Argonauten aus Griechenland gut gebrauchen können, die mit einer originalgetreu nachgebauten „Argo“ vom griechischen Hafen Volos kommend den Bosporus durchqueren und Jasons Reise nachstellen wollten. Den neuen Argonauten stellten sich die türkischen Behörden entgegen: Sie befürchten, die Reise solle dazu dienen, griechische Besitzansprüche im türkischen Nordosten neu zu beleben. Dass Ankara so viel Angst vor einem Ruderboot hat, lässt selbst türkische Beobachter von einer „Paranoia“ sprechen.

Die griechische Besatzung der fast 30 Meter langen und ganz aus Holz gebauten neuen „Argo“ hatte bei den türkischen Behörden die Durchfahrt durch den Bosporus beantragt. Doch das türkische Außenministerium sagte Nein. „Aus Gründen der Sicherheit“ sei der griechische Antrag abgelehnt worden, sagte ein Ministeriumssprecher dem Tagesspiegel am Sonntag. In Wirklichkeit stehe hinter der türkischen Absage die Furcht vor einer Wiederbelebung des „Pontus-Traumes“, berichtete dagegen die Tageszeitung „Sabah“. Schon vor zwei Jahren hatte Ankara nach Presseberichten einen ersten griechischen Vorstoß für eine Reise der neuen „Argo“ abgeschmettert und damals ausdrücklich auf den griechischen „Pontus-Traum“ verwiesen.

Die Pontus-Region im Nordosten der heutigen Türkei wurde etwa ab dem Jahr 1000 vor Christus von Griechen besiedelt. Das antike Königtum Pontus wurde später ins Byzantinische Reich eingegliedert und war 1461 der letzte Teil des Reiches, der von den osmanischen Türken erobert wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die griechische Bevölkerung der Gegend im Zuge eines Bevölkerungsaustausches zwischen Türken und Griechen nach Griechenland umgesiedelt. Aus griechischer Sicht handelte es sich dabei um einen Völkermord, weil mehrere Hunderttausend Menschen ums Leben gekommen seien. Die Türkei und zumindest ein Teil der internationalen Forschung widersprechen dieser These.

Nach der Absage aus Ankara ist die neue „Argo“ – getreu dem sagenhaften Vorbild – Richtung Adria aufgebrochen: Nachdem Jason im heute georgischen Kolchis das Goldene Vlies an sich gebracht hatte, war die ursprüngliche „Argo“ laut einer Version der Sage die Donau hinaufgefahren und schließlich in die Adria gelangt. Ob ein erneuter Einsatz der Götter notwendig sein wird, um dem Schiff eines Tages doch noch eine Passage durch den Bosporus zu eröffnen, ist ungewiss – gebraucht wird aber auf jeden Fall etwas mehr türkische Gelassenheit.

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