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Panorama: Politik kann manchmal haarig sein

Christian Lindner hat die Frage aufgeworfen, Angela Merkel aber auch: Eine gute Frisur – wie entscheidend ist sie?

Berlin - Die Geheimratsecken sind verschwunden, wo sich der Schopf bisher schütter lichtete, sitzt die blonde Gelfrisur plötzlich perfekt. Es wirkt, als habe sich Christian Lindner extra hübsch gemacht für einen Neuanfang mit der FDP. Schon vor längerer Zeit muss sich der Partei- und Fraktionschef der Liberalen in Nordrhein-Westfalen wohl zur Schönheitsoperation entschlossen haben, denn bis Haare nach einer Transplantation wachsen, dauert es etwa ein Jahr. Passenderweise aber fällt das Ergebnis gerade jetzt auf, wo Lindner der FDP nach dem Wahldebakel wieder zu neuer Kraft verhelfen will. Je vitaler der Chef, desto lebendiger seine Partei? So einfach ist die Rechnung nicht, doch zeigt nicht nur Lindner, dass Politik eine haarige Angelegenheit sein kann.

Schon Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sich gerichtlich versichern lassen, dass niemand behaupten darf, dass seine Haare gefärbt seien. Seine Nachfolgerin Angela Merkel macht ihre Haare dagegen nicht zum Tabuthema: Jeden Morgen lasse sie sich von einer Stylistin zurecht machen, berichtete Merkel kürzlich ganz offenherzig in einem Interview mit den Jugendradios der ARD. Manchmal werde auch im Laufe des Tages noch einmal nachgelegt, es sei auch gut, dass die Frisur 14 Stunden halte. Früher war die CDU-Chefin noch mit feinem Haar zu sehen, inzwischen erinnert ihre Frisur an die Helm-Haare der Playmobil- Männchen.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen näherten sich frisurmäßig zuletzt immer mehr der Kanzlerin an, als wollten sie damit ein politisches Statement machen: Solange die Haare bombenfest sitzen, ist auch alles andere im Griff. Ist die Frisur also ein Symbol für Macht, sowohl bei Frauen als auch Männern?

„Nein“, erklärt Ulrich Sollmann, der Menschen aus Politik und Wirtschaft für öffentliche Auftritte coacht. „Viel Haar bedeutet sicher nicht viel Macht. Aber wie sich ein Politiker optisch präsentiert, kann sich darauf auswirken, wie sympathisch und kompetent er wahrgenommen wird.“ Ein gepflegt auftretender Politiker zeige, dass er sich selbst wertschätze und – verkürzt gesagt – wer auf sich achtet, dem wird auch zugetraut, aufs Land zu achten. Allerdings zeigen allein schon Politiker mit etwas spärlicherem Haarwuchs wie Exkanzler Helmut Kohl und Bundesumweltminister Peter Altmaier, dass es an der Frisur allein nicht liegen kann. Altmaier aber achte stets darauf, dass seine Anzüge gut sitzen, und zeige damit, dass er Wert auf Stil legt, gibt Sollmann zu bedenken.

Insgesamt habe er festgestellt, dass es „in Deutschland in jüngster Zeit eine zunehmende Sehnsucht nach Ästhetik gibt“. Das habe auch der Hype um Karl- Theodor zu Guttenberg gezeigt. „Sein gutes Aussehen hat sicherlich dazu beigetragen, dass ihm so viele Sympathien entgegengebracht worden sind.“ Auch wissenschaftliche Studien hätten immer wieder belegt, dass es Menschen einfacher im Beruf haben, wenn sie dem gängigen Schönheitsideal entsprechen – aber: Wo viel Haar drauf sitzt, muss selbstverständlich auch viel Hirn drin stecken, sonst nützt die schönste Haarpracht nichts.

Bei Männern kommt noch die Sache mit dem Testosteron hinzu. Zu viel von diesem Sexualhormon lässt die Haare ausfallen. Viel Haar gleich viel Mann, lautet trotzdem die einfache Rechnung mancher Machos, die bei einer Haartransplantation auch daneben gehen kann. So ließ sich Italiens Ex-Premier Silvio Berlusconi seine Altherrenplatte so präzise und in gerader Linie auffüllen, dass die Haare aussahen wie draufgemalt. Seine Operation rechtfertigte der italienische Politiker damals damit, dass er „das Land auf der internationalen Bühne repräsentieren“ müsse. Dabei dürfte er auch von dem angetrieben sein, was wohl die meisten Männer zu einer Haartransplantation treiben lässt: Eitelkeit – und die ist nicht nur in der Politik zu finden. Auch BVB-Trainer Jürgen Klopp und der britische Fußballer Wayne Rooney haben sich die Haare schön machen lassen.

Die Prozedur für eine solche Operation läuft immer ähnlich ab. „Bei einer Transplantation werden Haarwurzeln aus dem hinteren Haarkranz entnommen und an die gewünschte Stelle verpflanzt“, erklärt Tim Funke, Geschäftsführer der Düsseldorfer Transplantationsklinik Kö-Hair. Bis zu acht Stunden könne die Operation unter lokaler Betäubung dauern, Kosten: Zwischen 3000 und 9000 Euro, je nach Fläche. Verpflanzt werden dabei nicht einzelne Haare, sondern die sogenannten Haarfollikel, die die Haarwurzeln umschließen. Weil diese Struktur wie die Körperbehaarung an Armen oder Beinen aufgebaut sei, wachse sie ein Leben lang. Mögliche Risiken seien, dass kurzzeitig Entzündungen oder Schwellungen entstehen könnten. Einen Verband zu tragen sei aber nicht notwendig, sagt Funke.

Im Gegensatz zu Berlusconi hat sich Lindner für die diskrete Variante entschieden. Er ließ sein Haar offensichtlich nur am vorderen Ansatz so auffüllen, dass die Geheimratsecken verschwunden sind. Was er neuerdings im Spiegel sieht, scheint Lindner jedenfalls zu gefallen: „Um es mit Jürgen Klopp zu sagen: ,Ich finde, das Ergebnis ist ganz cool geworden, oder?‘“, twitterte der FDP-Politiker am Dienstag, nachdem er sich am Tag zuvor noch bei dem Thema geziert hatte mit dem Hinweis, dass er im Moment „andere Sorgen“ habe: „Haarspalterei überlasse ich anderen.“ Nun steht Lindner offensichtlich zu der Operation – wohl auch, weil sie nicht zu übersehen ist. Was sein persönlicher Beweggrund war, das verriet Linder allerdings nicht.

Am Ende ist wohl die Frage des eigenen Wohlbefindens entscheidend. Wer sich gut fühlt, der strahlt angeblich auch mehr Selbstbewusstsein aus. Und davon kann die FDP gerade eine große Portion gebrauchen.

Die auffälligste Haarpracht unter den Spitzenpolitikern hat Lindner aber trotzdem nicht. Sie ist bei den Grünen zu finden, wo der designierte Fraktionschef Anton Hofreiter eine lange Matte trägt. Ein politisches Statement als Gegensatz zur Merkelschen Betonfrisur?

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