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Zukünftig Bettenburg. Die Baugenehmigung sieht 3000 Betten in den fünf Blöcken von Prora vor, 600 Stück pro Block. Mehr nicht, daran lässt Bürgermeister Schneider keinen Zweifel. Für andere Änderungen an den genehmigten Bauplänen ist er offen.

© picture alliance / dpa

Prora: Goldgräber am Strand

Spekulanten verdienten bisher an den Rügener Ruinen aus Nazi-Zeiten. Ein Berliner aus dem Grunewald will sie nun sanieren.

Der Hammer ist gefallen. Eine Berliner Firma bekam den Zuschlag für einen der fünf Kolosse am Strand von Prora – für 2,75 Millionen Euro. Viel Geld für die Rügener Ruine einer unvollendeten Freizeitanlage aus Nazi-Zeiten, deren Wände vielleicht für die Ewigkeit gebaut, deren Decken aber dünn wie Pappe sind. Nachbarn auf dem geschichtsträchtigen Areal und die 600 Seelen im Örtchen Prora frohlocken: Endlich beginnt die lang ersehnte Sanierung. Andere aber fürchten, dass es da wieder einer nur aufs Geld absieht und mit „Block 1“ spekuliert.

Denn auch Block 4 wurde vor kurzem versteigert und die Altbauruine brachte den Verkäufern viel Profit. Unter Investoren hat es sich herumgesprochen, dass die im Herbst eröffnete Jugendherberge Buchungsrekorde feiert. Und weil die Betten im nahe gelegenen Ostseebad Binz in der Saison oft ausgebucht sind, könnte Prora eine attraktive Alternative werden: samt neuer Strandpromenade, Wellness-Hotel und Outletcenter.

Wer ist der frisch gebackene Eigentümer von Prora 1, wer verbirgt sich hinter der Firma „Irisgerd“? Es ist Gerd Grochowiak, der Besuch im Wintergarten seiner Firmenresidenz empfängt. Die liegt im edlen Grunewald, in einer historistischen Villa mit manierierten Pflanzenornamenten und gewaltigen Wappenkartuschen auf weiß getünchter Fassade – so wie Kaufhausbesitzer im 19. Jahrhundert eben bauten, wenn sie Eindruck schinden wollten. Unter Denkmalschutz steht auch Grochowiaks neuste Anschaffung. Nur dass in Prora nicht kitschiger Prunk herrscht, sondern Maßstab und Gestalt die Gesinnung größenwahnsinniger Bauherren spiegeln. Lastet die Geschichte als schwere Hypothek auf dem Projekt? Die Frage könne man genauso gut dem Bundesfinanzminister stellen, kontert der Investor, Wolfgang Schäuble habe seinen Dienstsitz im früheren Luftfahrtministerium der Nazi-Größe Hermann Göhring.

Auch der Leiter der Jugendherberge in Block 5, Dennis Brosseit, hat weniger mit der ganz frühen Geschichte von Prora zu kämpfen als mit der jüngeren: „Die Fallschirmjäger der NVA wollten hier in voller Uniform den 50. Gründungstag ihrer Kompanie feiern.“ Die Eliteeinheit des „Unrechtsstaates DDR“ auf dem Gelände der Jugendherberge – das wollte Brosseit auf keinen Fall zulassen. Der Streit schlug Wellen, ein Mediator wurde eingeschaltet. Brosseit setzte sich durch. Man werde nicht als „Spiegelfläche“ dienen, sagt er, „weder für links noch für rechts und auch nicht für oben oder unten“. Damit liegt er richtig, ohne ideologischen Ballast legte die Herberge einen Blitzstart hin: Die Auslastung der 400 Betten in 100 Zimmern übertraf die Erwartungen. Und Brosseit, der zuvor sieben Jahre lang ein Hotel auf Mallorca führte, freut sich auf den neuen Nachbarn: „Jedenfalls wenn es jetzt wirklich losgeht.“

Ähnlich sieht das Ingo Ohlrich, Mitarbeiter der „Kulturkunststatt Prora“ aus Block 3. Dort gibt es eine Ausstellung zur Nazi-, NVA- und späteren Bundeswehr-Vergangenheit der Blöcke. „Wenn das Baudenkmal noch länger leer steht, verrottet es.“ Der Zahn der Zeit nagt schon seit 1993 an dem Beton, damals zog der letzte Nutzer aus, die Bundeswehr.

Das wird sich nun ändern, verspricht Grochowiak. Er will noch im Sommer die Sanierungskosten bis ins Detail ausrechnen und 2013 den Verkauf starten. Sobald neue Eigentümer für 60 Prozent der Wohnungen gefunden sind, wird gebaut. „Dass der Rohbau schon steht“, sagt er, „ist ein Riesenvorteil.“ Da müssten nur noch Fenster rein – und die Sanierung kann den Winter über weiterlaufen. Und deshalb, glaubt der Investor, wird der Block schon 2014 fertig.

Der Kauf der Ruine war dabei die leichteste Übung: 2,75 Millionen Euro sind ein Klacks, gemessen an der Gesamtinvestition von 40 Millionen Euro. Trotzdem will der Unternehmer wahrscheinlich keine Banken einspannen, sondern die Kosten selbst mit den Raten der Wohnungskäufer stemmen. „Wir haben 4000 Bestandskunden. Das Interesse an Prora ist groß“, sagt Grochowiak. Spitzenverdienern, die unter der Steuerlast ächzen, könnten einen großen Teil der Baukosten binnen zwölf Jahren vom versteuerbaren Einkommen abziehen. Abschreibungsmodelle wie diese haben Seltenheitswert, entsprechend hoch ist die Nachfrage.

Neun Aufgänge zu den Zimmern hat der erste Block von Prora. Fünf davon sollen Hotel oder Ferienwohnungen zugeschlagen werden, die vier anderen den Eigentumswohnungen. Und weil auch ein Restaurant, ein Schwimmbad und ein Wellness-Bereich entstehen, profitierten davon alle Bewohner des Quartiers.

Der Bürgermeister von Binz und Prora, Karsten Schneider, hatte sich eigentlich schon auf „Kamelrennen am Strand von Binz“ eingestellt: Gerüchte kursierten, wonach arabische Investoren in Prora einsteigen. Dass nun ein Berliner Block 1 in Eigentumswohnungen filetieren will, ist ihm auch recht. Schneider warnt aber: „Alle Investoren haben immer viel versprochen, sie hielten sich aber später nicht daran.“

Deshalb steht der größte Teile der fünf Blöcke heute noch so da, wie die Bundeswehr sie 1993 verließ. Nur kräftig spekuliert wurde mit den Ruinen. Wie oft die Kolosse schon weiterverkauft wurden, kann nicht mal der Bürgermeister sagen. Der letzte Deal mit dem Beton hat ihn dann aber doch beeindruckt: Vor etwa sechs Jahren hatte das deutsch-österreichische Investorengespann Block 1 für 240 000 Euro gekauft – nun wurde derselbe für 2,75 Millionen Euro versteigert. „Von solchen Renditen können Sie und ich nur träumen“, sagt Schneider.

Noch hat sich Grochowiak nicht beim Bürgermeister vorgestellt. Schneider will ihn aber mit offenen Armen empfangen: „Wenn es gut für Binz ist, sind wir auch offen für Vorhaben, die vom gültigen Bebauungsplan abweichen.“ 600 Wähler leben schließlich in Prora. Und die hatten bisher wenig vom Aufschwung an der deutschen Ostseeküste. Der letzte Einzelhändler gab vor kurzem auf. Eine Kita gibt es noch, aber das war es dann auch mit der Infrastruktur. Da sind Investoren willkommen, die Restaurant, Schwimmhalle und, in Block 4, sogar ein schickes „Outletcenter“ für Sportartikel bauen wollen.

Damit es aufwärts geht mit Prora, will auch die Gemeinde helfen und eine neue Uferpromenade bauen, die Prora mit Binz verbindet. Am liebsten sähe Bürgermeister Schneider aber eine Fachhochschule in einem der verbliebenen Prora-Blöcke oder gar eine „Ostsee-Uni“. Träumen muss schließlich erlaubt sein.

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