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Protest der Umweltschützer: Das Milliardending: Ein Tunnel schürt die Angst auf Fehmarn

„Der Tunnel wird uns alle reicher machen“, sagt der dänische Projektentwickler. Er soll eine Verbindung nach Fehmarn bauen. Aber viele Insulaner trauen den Plänen nicht.

Kreuz und quer fahren Nikola Vagts Hände über die Karte. Sie prophezeit: „Wir werden große Probleme bekommen.“ Sie sagt das über ein Projekt, das Probleme beseitigen will.

Nikola Vagt ist Sprecherin des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu), der auf Fehmarn ein Vogelreservat betreibt. Die Zugvögel legen hier auf ihrer Reise eine Pause ein. In einer Ausstellung zeigt der Nabu auf der Insel ganz genau, welche Vögel das sind, woher sie kommen und wohin sie fliegen. Das Erdgeschoss des Hauptgebäudes ist vollgestellt mit Schautafeln, die Kormorane, Gänse oder Reiher vorstellen. Vagt steht an einer dieser Schautafeln, gestikuliert und argumentiert – gegen den Tunnel, der in Zukunft das deutsche Fehmarn mit dem dänischen Rödby verbinden soll. Und es geht ihr dabei keineswegs nur um die Vögel. Ein 20 Kilometer langer Tunnel soll auf den Boden der Ostsee gelegt werden, das ist der Plan. Der Staatsvertrag zwischen Deutschland und Dänemark ist bereits in den 90er Jahren unterzeichnet worden, in zwei Jahren soll mit dem Bau begonnen werden. Bezahlt wird der von Dänemark. Das Land bürgt mit Staatsgarantien für die Kredite.

Vagt fürchtet um das Ökosystem in der Ostsee. Eineinhalb Jahre werden allein die Baggerarbeiten für die Rinne dauern, in die der Tunnel gelegt wird. Das wirbelt Sedimente auf, der Lärm vertreibt die Schweinswale, die Renaturierung wird Jahrzehnte dauern. Und ob die Schweinswale dann zurückkommen, weiß niemand. „Es gibt keine Langzeitstudien dazu“, sagt Vagt.

An einer Wand in der Ausstellung sind hunderte flauschiger Federn angeklebt. Vagt fährt mit der Hand darüber, sie tritt hinaus in den eisigen Wind und zündet sich eine selbst gedrehte Zigarette an. Das Reservat liegt direkt am Deich, dahinter das Meer. Der Wind peitscht über den Deich und weht über eine Landschaft kleiner Teiche. Das Vogelreservat ist ein ehemaliges Fischzuchtgebiet. Der Wind ist der Grund, warum hier keine Fische mehr gezüchtet werden: Er hat die Tiere glatt erschlagen. Daraufhin kaufte der Nabu das Gelände.

Vagt hat hier vor vielen Jahren einen Freiwilligendienst absolviert. Nun ist sie zurückgekehrt, um das Reservat zu bewahren. Vagt fürchtet auch um die Menschen auf Fehmarn. Die leben vornehmlich von drei Dingen: dem Tourismus, der Landwirtschaft und den Fähren, die im Halbstundentakt nach Rödby pendeln. Sechseinhalb Jahre sollen die Bauarbeiten insgesamt dauern. Wenn sich herumspricht, dass eine riesige Baustelle die Insel beherrscht, kommt doch kein Urlauber mehr, meint Vagt.

Mit einem Infocenter werben die Dänen für den Tunnel

Sie stemmt sich gegen den Wind und läuft über den matschigen Boden hinüber zu einem Bretterverschlag. Durch schmale Fenster kann man hier die Teiche überblicken und die Vögel beobachten. Nicht nur der Nabu ist gegen den Tunnel: Auf Fehmarn hat sich ein Aktionsbündnis gegründet, das seit fast zwei Jahrzehnten erbittert gegen den Tunnel kämpft. Es war auch einmal eine Hängebrücke zwischen Fehmarn und Dänemark geplant. Den Zugvögeln wären die Stahltrossen der Aufhängung ein Hindernis geworden. Aber nicht deswegen wird die Brücke jetzt nicht gebaut. Vagt kneift die Augen zusammen und lässt den Blick über die Teiche schweifen. Was genau passieren wird, wenn der Tunnel einmal fertiggestellt ist, weiß sie auch nicht. „Wir sagen lediglich, dass der Eingriff groß genug ist, um unvorhersehbare Auswirkungen zu haben.“

Es gibt aber auch Zustimmung auf der Insel. Nadja Mohrenz lebt vom Tourismus, sie betreibt ein Gästehaus in Burg auf Fehmarn, und sie will den Tunnel trotzdem. Ihre kleine Pension hat nur eine Handvoll Zimmer, schreiend gelbe Fliesen aus einer längst vergangenen Zeit schmücken das Bad, im Essraum liegen Spitzendeckchen auf den Kommoden und Schränken. Im Sommer, zur Hochsaison, stauen sich die Autos quer über die ganze Insel – von Puttgarden im Norden, wo die Fähren anlegen, bis zurück zur Fehmarnsundbrücke, die Fehmarn im Süden mit dem deutschen Festland verbindet. „Dann“, sagt sie, „fahre ich gar nicht runter von der Insel, weil ich Angst habe, nicht mehr raufzukommen.“

Dabei ist nicht klar, ob der Tunnel dieses Stau-Problem lösen wird. Die Fehmarnsundbrücke ist uralt, sie ist in den 60er Jahren gebaut. Nach einem Gutachten der Bahn ist sie dem prognostizierten Verkehrsaufkommen nicht gewachsen. Weiter verkompliziert wird die Situation dadurch, dass sie unter Denkmalschutz steht und deshalb nicht so einfach umgebaut werden darf. Wie eine Lösung aussehen könnte, weiß niemand: Eine zweite Brücke nebenan? Ein weiterer Tunnel?

Unweit von Mohrenz’ Pension in einer Kopfsteinpflasterstraße hinter der Kirche steht das Haus, das Femern A/S gekauft hat und in dessen Erdgeschoss es ein Infocenter eingerichtet hat. Femern A/S ist die dänische Firma, die den Tunnel baut und plant. Von Stellwänden lächeln glückliche Menschen, radeln durch sonnige Landschaften. Und sie künden von der guten Zeit, wenn der Tunnel endlich gebaut ist. Es gibt auch einen Fahrsimulator, der einen mit auf die Reise durch den Tunnel nimmt. Klinisch sauber ist der, reibungslos rauscht die Fahrt dahin.

Dieses Infocenter ist der Versuch von Femern A/S, mit den Deutschen ins Gespräch zu kommen. In der Mitte des Raumes steht ein lang gezogener Tisch, der eine Satellitenaufnahme von Fehmarn und Rödby zeigt. Beide Orte verbindet eine dicke Linie – so soll der Tunnel verlaufen, schnurgerade zum Nachbarn hinüber. Obinna van Capelleveen sitzt an diesem Tisch. Er ist Sprecher von Femern A/S auf deutscher Seite, groß gewachsen und sehr bedacht. Der Tunnel wird kommen, daran hat er keinen Zweifel. Er spricht von dem „klaren Auftrag“, den Tunnel zu bauen. Über fünf Milliarden Euro soll das kosten, in 40 Jahren durch die Maut refinanziert.

Van Capelleveen spielt einen Film ab, der auf einem kleinen Bildschirm an der Wand läuft. Es sind Bilder vom Bau der Öresundquerung, halb Tunnel, halb Brücke, die das dänische Kopenhagen mit dem schwedischen Malmö verbindet. Es sind schöne Bilder, die von einer technischen Meisterleistung erzählen. Der Film hakt manchmal.

Bei Femern A/S arbeiten viele Menschen, die schon an der Öresundquerung beteiligt waren. Während die Deutschen ein Bündnis gegen das Vorhaben gegründet haben, stehen die Dänen dem Megaprojekt bei Weitem nicht so kritisch gegenüber. Der deutsche Nabu ist Teil des Aktionsbündnisses, die dänische Gesellschaft für Naturschutz hat sich der Entscheidung für den Bau gefügt – vornehmlich, weil es auch politisch kaum Gegenstimmen gab, nahezu das gesamte dänische Parlament befürwortet den Tunnel.

„In Deutschland hat man mit solchen Großprojekten eben schlechte Erfahrungen gemacht“, sagt van Capelleveen. Er spielt auf Baustellen wie den Flughafen Berlin-Brandenburg an, dessen Eröffnungstermin niemand kennt, oder den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs, der sich zum Debakel für die Deutsche Bahn entwickelte.

Die Insulaner quält die Angst vor der Zukunft

So etwas will Femern A/S unbedingt vermeiden. Ein ausgefeiltes Kommunikationskonzept soll dabei helfen. Die Firma schreibt sich auf die Fahnen, besonders transparent zu sein. Die Kommunikation sei ein integraler Bestandteil des Projektes und laufe nicht einfach nebenher, sagt van Capelleveen. „Wir kommunizieren auch Zwischenschritte.“

Es gibt ein Dialogforum, in dem Befürwortern und Gegnern die Fortschritte der Arbeit präsentiert und aktuelle Gutachten vorgestellt werden. Es gibt regelmäßig Meinungsumfragen, in denen Zustimmung und Ablehnung erhoben werden. „Hundertprozentigen Konsens kann es nicht geben“, sagt Capelleveen. „So ehrlich muss man sein.“ Doch Schritt für Schritt wolle man immer mehr Bürger dafür begeistern.

„Viel Ablehnung rührt daher, dass die Menschen einfach noch nicht mit den Details vertraut sind“, meint Ajs Dam. Er ist van Capelleveens Kollege auf dänischer Seite und ein sehr freundlicher Herr. Feine Linien haben sich um seine Augen gebildet. Wenn er über den Tunnel redet, strahlen sie. Er spricht dann von einem der größten Infrastrukturprojekte in der Europäischen Union und von Warenströmen, die viel schneller und leichter nach Deutschland geleitet werden können. Anstatt die Waren gemütlich mit dem Schiff über den Belt zu schippern, sollen sie in nicht einmal zehn Minuten durch den Tunnel nach Deutschland katapultiert werden. Mit dem Zug. „Das entlastet die Straßen“, verspricht Dam. Er schlägt die Beine locker übereinander. „Der Tunnel wird uns alle reicher machen.“

Dass die Dänen den Tunnel wollen, verwundert Nikola Vagt nicht. „Schauen Sie sich Rödby an – da ist doch nichts!“ Jede Investition in die Infrastruktur und nicht zuletzt die Arbeitsplätze seien dort höchst willkommen, sagt sie über einen Ort, der aus einigen Windrädern und Vogelschwärmen besteht, sowie hie und da einem Hof, auf das platte Land gestreut. 2000 Arbeitsplätze sollen hier in der Fabrik entstehen, die die Tunnelelemente baut.

Solchen Zahlen und den Gutachten von Femern A/S glaubt Vagt nicht. Das Unternehmen kommuniziere „nur Wohlfühlfakten“, sagt sie. Sie streicht sich ihre kurzen Haare hinters Ohr. Dann referiert sie eigene Zahlen und die Einschätzungen des Aktionsbündnisses. Es geht um die Kosten des Tunnels, um das zu erwartende Verkehrsaufkommen, um die Folgen für die Umwelt und um die Frage, ob sich der Bau überhaupt lohnt.

Das ist die Frage, um die am heftigsten gestritten wird. „Nicht jeder fährt gern durch einen 20 Kilometer langen Tunnel“, sagt Vagt. Und tatsächlich hat Scandlines schon angekündigt, seine Fähren weiter pendeln zu lassen – das würde man nicht tun, wenn es sich nicht bezahlt machen würde, heißt es von dort.

Die Öresundquerung hingegen ist so gut ausgelastet, dass es schon Überlegungen gibt, eine zweite Brücke hinüber nach Schweden zu bauen: ein wenig weiter im Norden, zwischen Helsingör und Helsingborg. Öresund ist so erfolgreich, weil hier zwei Metropolregionen miteinander verbunden werden. Ganz anders zwischen Fehmarn und Rödby. „Hier werden zwei Rapsfelder miteinander verbunden“, sagt Vagt.

Nach all den Jahren der Planung, nach ungezählten Gutachten und Erhebungen, nach zahllosen Diskussionsrunden gibt es noch immer wenig, bei dem beide Seiten sich einig wären. Aber geht es noch darum, immer mehr Informationen anzuhäufen und darüber zu diskutieren? Vielmehr doch wohl um die Frage, wie viel Veränderung erträglich und zumutbar ist. Die Menschen auf Fehmarn haben Angst vor einem großen Projekt. Vielleicht fürchten sie auch um die Schweinswale, vor allem aber fürchten sie um sich selbst und um ihre Zukunft. Nikola Vagt dreht sich eine neue Zigarette und schiebt den Stuhl zurück. Gleich wird sie sich wieder gegen den Wind stemmen.

Erschienen auf der Reportage-Seite.

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