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Prozess: Ehrenmord: Lebenslange Haft?

Vor etwas mehr als einem Jahr wurde Hatun Sürücü von ihren Brüdern ermordet, weil sie angeblich "die Ehre der Familie befleckt" hatte. Die Staatsanwaltschaft hat für zwei der Brüder lebenslange Haft gefordert.

Berlin - Der mit 19 Jahren jüngste Bruder und geständige Todesschütze Ayhan Sürücü soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft neun Jahre und acht Monate Jugendstrafe erhalten. Die Brüder hätten ihre Schwester Hatun Sürücü im Februar 2005 durch drei Kopfschüsse auf der Straße hingerichtet, weil ihnen der westliche Lebensstil der 23-Jährigen nicht passte und sie die Familienehre verletzt sahen, hieß es von der Anklage. Die Verteidiger der älteren Brüder streben Freisprüche an. Das Urteil wird voraussichtlich am 13. April verkündet.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hat der 25-jährige Alpaslan in Tatortnähe psychischen Beistand geleistet. Der 26-jährige Mutlu soll nach Überzeugung der Ankläger die Waffe besorgt haben. Der strenggläubige Mutlu habe sich zudem religiösen Rat geholt, wonach es keine Sünde sei, Hatun umzubringen.

Die heimtückische Tat sei eiskalt geplant und besonders verwerflich, sagte Ankläger Matthias Weidling. Ayhan habe sich zum Vollstrecker eines von den Brüdern gefällten Todesurteils erhoben. Strafmildernd sei zu werten, «dass das Verhalten des Vaters und der älteren Brüder gegenüber Hatun Ayhan prägte und er schließlich glaubte, sie habe den Tod verdient». Nicht zu beweisen sei, dass ein klassischer Familienrat ein Todesurteil beschloss.

Hatun, die sich nach einer Zwangsehe von ihrem ersten Mann trennte, lebte mit ihrem kleinen Sohn in Berlin-Tempelhof. Sie hatte Männerbekanntschaften, feierte Partys und legte das Kopftuch ab, erinnerte der Ankläger an die westliche Lebensweise der jungen Frau. Die Brüder befürchteten einen schlechten Einfluss auf ihre jüngere Schwestern und die Erziehung von Hatuns Sohn, argumentierte Weidling.

Zwei weitere Geschwister der Sürücü-Familie sitzen den Angeklagten in dem seit September dauernden Prozess direkt gegenüber. Ihre Anwälte haben für Ayhan mit bis zu zehn Jahren die höchste Jugendstrafe beantragt. Die beiden anderen sollten freigesprochen werden, fordern die Familien-Anwälte.

Auch Alpaslans Anwalt Matthias Kock erklärte, es gebe keine Anhaltspunkte, dass er den Tod seiner Schwester wollte, die Situation sei ihm egal gewesen. Allein auf die Aussagen der Kronzeugin Melek, Ayhans damaliger Freundin, könne kein Urteil gestützt werden. Alpaslan selbst hatte erklärt, er sei zur Tatzeit daheim bei seiner Ehefrau gewesen.

Die Staatsanwaltschaft ist indessen überzeugt, dass Meleks Anschuldigungen auch gegenüber Mutlu und Alpaslan zutreffen. Ayhan hatte sich vor der 18-jährigen Deutsch-Türkin der Bluttat bezichtigt und seine Brüder mitbeschuldigt. Vor Gericht stellte sich der 19-Jährige als Alleintäter dar.

Die Tat war schrecklich, der Prozess aber habe einiges bewirkt und die Öffentlichkeit für Themen wie Zwangsehen sensibilisiert, betonte Ankläger Weidling in seinem zweistündigen Plädoyer. «Straftaten in Familien werden in unserem Rechtsstaat nicht toleriert», fügte der Staatsanwalt hinzu. Aber er bezweifle, dass die Angeklagten «unser weltliches Gericht anerkennen».

Der Prozess wird am 30. März mit dem Plädoyer für Mutlu Sürücü fortgesetzt. (tso/dpa)

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