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Prozess gegen Costa-Concordia-Kapitän: Die Unschuld vom Strande

Er saß längst auf dem sicheren Festland und sah zu, wie sein Schiff unterging. Im Prozess um die Havarie der Costa Concordia glaubt Kapitän Francesco Schettino immer noch, alles richtig gemacht zu haben.

Da steht er also, an der Bar des Theaters. Da, wo sie alle stehen in diesen Vormittagspausen: die Anwälte, die Journalisten, die Carabinieri, Leute aus dem Publikum. Nur die Richter und die Staatsanwälte nicht. Die halten Abstand.

Er wirkt kleiner als erwartet. Kompakte Figur. Gebräunt. Wie aus dem Ei gepellt: schwarze Lackschuhe, schwarze Hosen. Ein frackartiges, langes Sakko, von dem sich schwer sagen lässt, ob es modisch oder altmodisch ist. Schwarz auf jeden Fall. Schwarz auch die sanft gewellten, nach hinten gekämmten Haare. Kein graues Fädchen drin. Dabei ist Francesco Schettino, der Kapitän des Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia, nun auch schon 53 Jahre alt.

Da steht er also und mümmelt ein Croissant in sich hinein. Gerne scherzt er mit den beiden Frauen hinter dem Tresen, heißt es, immer einen galanten Spruch auf den Lippen. An diesem Morgen aber scheint Schettino nicht dazu aufgelegt. Ob man ihn was fragen kann? Als deutscher Reporter? Mit den einheimischen Kollegen redet er ja auch. Der Kapitän, der kein Kapitän mehr sein darf, schaut mürrisch drein. Er hebt abwehrend die Hand und holt sich erst mal ein zweites Croissant. Dann brummt er in seinem tiefsten neapolitanischen Dialekt etwas, das sich anhört wie: „Was hab ich mit einem ,tedeschku‘ zu schaffen?“ Auf Italienisch setzt er nach: „Fragen Sie meine Verteidiger. Die wissen alles.“ Und dreht sich mit nur mehr halbem Croissant zur Seite.

Heere von Anwälten, 1000 Zeugen

Es ist wieder einmal Verhandlungstag in Grosseto, einer von bisher 20. Für den Strafprozess gegen Francesco Schettino haben die Richter das „Teatro Moderno“ angemietet, das Prunkstück der kleinen toskanischen Kreisstadt. 1000 Sitzplätze. Bei dem öffentlichen Interesse, bei den mehr als 4200 Geschädigten, die als Prozessbeteiligte oder als Zuhörer jederzeit hereinströmen könnten, bei den verschiedenen Heeren von Anwälten, und schließlich: bei den 1000 Zeugen, die Verteidigung und Anklage nach gegenwärtigem Stand aufmarschieren lassen wollen, da reichen die 30 Plätze nicht, die das Tribunal in eigenen Räumen aufzubieten hätte.

Des deutschen Reporters nimmt sich ein freundlicher Anwalt aus der vielköpfigen Riege Schettinos an. Einer von denjenigen, die den Ex-Kapitän nicht nur vor den Richtern verteidigen, sondern – darauf haben die örtlichen Journalistenkollegen hingewiesen – notfalls auch mit juristischen Mitteln dafür sorgen sollen, dass über ihren Mandanten nichts „Diffamierendes“ in der Zeitung steht. Der hochgewachsene Mann also sagt, wie sehr er sich freue, dass man vor Gericht bereits „große Fortschritte“ zugunsten Schettinos erzielt habe. Es sei mittlerweile „akzeptiert“, dass der Kapitän, obwohl einziger Angeklagter, „nicht alle Schuld“ an der Havarie des Kreuzfahrtschiffes trage. „Er hat bisher, auch wenn er es dürfte, keinen einzigen Gerichtstermin versäumt. Er will einfach, dass die Wahrheit über die Costa Concordia herauskommt.“ Dann zerreißt die Theaterglocke die Idylle an der Bar. Drinnen geht’s weiter.

"Ja, wir hatten ein Verhältnis miteinander."

Der Andrang auf der Pressetribüne und den Zuschauerrängen hält sich in Grenzen. Das war vor kurzem noch anders. Ende Oktober beispielsweise, als die heute 26-jährige Domnica Cemortan als Zeugin auftrat: jene platinblonde Hostess aus Moldawien, mit der Schettino unmittelbar vor der Havarie am 13. Januar 2012 diniert hatte, die er, um ihr die malerischen Lichter des Hafens von Giglio aus möglichst großer Nähe vorzuführen, auf die Brücke der Costa Concordia mitgenommen hatte, die ihr für die Kreuzfahrt gepacktes Köfferchen in der Kapitänskajüte abgestellt hatte, aber auf keiner Passagierliste stand. „Wenn du die Geliebte eines wichtigen Menschen an Bord bist, fragt dich keiner nach dem Ticket“, flüsterte Cemortan ihrer Dolmetscherin zu, und als diese das – pflichtgemäß – für das Gericht übersetzte, wusste der ganze Saal, was er immer schon hören wollte, was die Zeugin aber unter Schlucken und mit Händen vorm Gesicht erst dann herausbrachte, als ihr eigener Anwalt sie an die Wahrheitspflicht erinnerte: „Ja, wir hatten ein Verhältnis miteinander.“

Rot leuchten die Sessel im abgedunkelten „Teatro Moderno“; blau leuchten vorne jene Bürostühle, auf denen sich Ankläger, Angeklagter und Verteidiger niederlassen. Giovanni Puliatti, der Vorsitzende Richter, weißhaarig, ist eingerahmt von zwei jungen, sehr schwarzhaarigen Kollegen; die drei sitzen weit enger zusammen, als es die Architektur der Bühne, die Aktenstapel links und der Computer rechts auf dem Podium erfordern würden: Zwischen uns passt kein Blatt Papier, könnte die Botschaft sein. Auch wenn sich Ankläger und Verteidiger noch so streiten. Und Schettinos Riege nebenbei ihr eigenes, privates Gerichtsverfahren betreibt.

"Gehen Sie zurück an Bord, Sie Scheißkerl!"

Zielscheibe ist der Zeuge Gregorio De Falco, diensthabender Chef der Hafenkapitanerie im 75 Seemeilen von Giglio entfernten Livorno und Einsatzleiter in jener Januarnacht. Der 49-Jährige in der perfekt sitzenden Uniform der Küstenwache bestätigt, was die Passagiere gleich nach der Katastrophe und was sämtliche bisher vernommenen Schiffsoffiziere dem Gericht auch schon gesagt haben: dass sie alle nach dem großen Knall um 21.45 Uhr und sieben Sekunden nicht wussten, was auf der Costa Concordia wirklich passiert war. Dass sie auf klare Informationen, auf Entscheidungen des Kapitäns warteten und dass von der Brücke nichts kam. „Die Maschinen, die Generatoren, die Personal-Etage unter Deck null, alles war so überflutet, dass wir schon nach zehn Minuten wussten: Die Costa Concordia ist verloren“, hatte Giovanni Iaccarino, Erster Offizier, ausgesagt. „Doch als ich der Brücke mitteilte, dass die Lage ernst war, kam nur ein ,Okay, verstanden‘ zurück. Was wir tun sollten, sagte keiner.“ Und den Generalalarm, diese erste Warnstufe, diese Folge aus sieben kurzen und einem langen Pfiff, ließ Schettino auch erst nach einer guten Dreiviertelstunde geben. Da neigte sich das Schiff schon immer stärker zur Seite; viele verängstigte Passagiere hatten längst auf eigene Faust Schwimmwesten angelegt.

Die Offiziere drängen: "Geben wir Alarm"

„Für alles mussten wir nachfragen“, sagt De Falco. „Zuerst teilte die Costa Concordia nur einen Stromausfall mit. Dass sie ein Leck und Wasser an Bord hatten, damit rückten sie auf unser Drängen erst nach und nach heraus.“ Und dann lassen die Staatsanwälte jene Nacht in den Gerichtssaal zurückkehren. Sie spielen die Telefonate und Funkgespräche zwischen Schiff und Küstenwache ab und die Videos von der Kommandobrücke. Da laufen in rot-blau flackerndem Warnlicht Schatten durch die Gegend. Da erfüllt das Bimmeln diverser Alarmglocken das Theater. Aufgeregtes Stimmengewirr durcheinander. Schettino offenbar an mehreren Telefonen und Mikrofonen gleichzeitig. Man hört das „Raus! Raus! Raus!“, mit dem der Vize-Chef des überfluteten Maschinenraums seine Leute nach oben drängt, und das „Wie, warum springt nichts mehr an?“, mit dem ein ungläubiger Kapitän den Obermaschinisten anherrscht, der nicht einmal mehr den Notgenerator in Gang bringt, von den Pumpen ganz zu schweigen. Da sind die Stimmen von immer mehr Offizieren, die ihren Kapitän drängen: „Geben wir Alarm! Evakuieren wir das Schiff!“, und ein Schettino, der immer noch zögert: „Warten Sie! Warten Sie! Zuerst noch...“

Schettinos Anwälte und er selbst aber interessieren sich im Gerichtssaal nicht für diese Dramatik. Sie haben mit dem Offizier De Falco noch eine Rechnung offen, und die wollen sie begleichen. Um 1.46 Uhr nämlich, also vier Stunden nach dem Aufprall der Costa Concordia auf die Klippe vor Giglio, hatte De Falcos Küstenwache zwei beunruhigende Dinge erfahren: dass auf dem inzwischen flachliegenden Schiff immer noch etliche hundert Passagiere der Rettung harrten und dass der Kapitän derweil trockenen Anzugs auf der sicheren Insel saß. Dann kam jenes Telefonat, in dem ein wütender De Falco den Kapitän niederschrie: „Sie verweigern sich? Dann kommandiere jetzt ich. Sie nehmen die Strickleiter, gehen zurück an Bord und erstatten mir Bericht über die Lage dort.“ Und als Schettino versuchte einzuwenden, das gehe nicht mehr, schleuderte De Falco ihm den Satz entgegen, der in Italien mittlerweile zum geflügelten Wort geworden ist: „Salga a bordo, cazzo! Gehen Sie zurück an Bord, Sie Scheißkerl!“

Schettino ist sichtlich nervös

Als dieses Telefonat durchs Theater gellt, ist Schettino sichtlich nervös. Er klappt seinen Laptop auf und wieder zu, dreht sich auf seinem Stuhl hin und her. Währenddessen richten seine Anwälte über De Falco: Der habe keine Ahnung, was man bei einer Panik an Bord zu machen habe; er sei in jener Nacht zu weit von Giglio weggewesen, um überhaupt mitreden zu können, er habe dem Kapitän gänzlich unausführbare Anweisungen erteilt. Und nach elf Gerichtsstunden, zum Tagesausklang, liest Schettino eine vorformulierte „spontane Erklärung“ ab: Er habe alles für die Rettung der Passagiere getan, De Falco hingegen sei mit seinem „betrüblicherweise“ um die Welt gegangenen Telefonat „zu einem Negativsymbol für den Kapitän der Costa Concordia, für die Hafenbehörden und für ganz Italien geworden“. Eine Art Hochverrat also.

Bei den Beobachtern im Theater löst Schettino damit nur noch ein „Pffff!“ aus. Denn kurz zuvor hat Martino Pellegrini, der Sicherheitsoffizier der Costa Concordia, im Zeugenstand erzählt, dass der zornige, angeblich viel zu weit entfernte De Falco im Recht und es in jener Nacht durchaus noch möglich war, an Bord zu gehen. Pellegrini hatte das nämlich noch zwei Stunden nach Schettinos Weigerung geschafft: „Gegen drei Uhr morgens fragte die Reederei nach einem Menschen, der das Schiff kannte und bereit war, oben die Suche nach den letzten Passagieren zu koordinieren. Ich saß zu dem Zeitpunkt neben Schettino auf Giglio. Er hat mir das Handy weitergereicht, und ich habe Ja gesagt. Dann bin ich hoch.“

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