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Pistorius konnte nach dem Urteil das Gericht verlassen - gegen Kaution

© AFP

Prozess gegen Oscar Pistorius: Südafrika hadert mit dem milden Urteil

Die Richterin von Oskar Pistorius glaubte dem behinderten Sportler, dass er seine Freundin Reeva Steenkamp nicht töten wollte. Dass können viele ihrer Landsleute nicht nachvollziehen.

Nick Boulton kann das milde Urteil gegen den Oscar Pistorius noch immer nicht fassen., „Ich bin absolut entsetzt“, sagt der Fotograf, der zwischen 2003 und 2013 vermutlich länger als jeder andere mit dem von Pistorius erschossenen Fotomodell Reeva Steenkamp zusammenarbeitete. „Es ist unglaublich, dass dieser Prozess so zu Ende ging. Viele Menschen sind geschockt, dass die Richterin in den vier Schüssen auf die Tür, hinter der Reeva saß, keine Tötungsabsicht erkennen konnte“.

Pistorius suchte schnell Ablenkung

Boulton ist auch wütend darüber, dass die Welt die junge Frau im Mittelpunkt der Tragödie vergessen hat: „Der Fokus war die ganze Zeit auf Pistorius – sein Schluchzen im Gericht und darauf wie er sonst auf die Vorwürfe reagierte. Gleichzeitig wurde er seit Prozessbeginn immer wieder in Bars gesichtet, wo er angetrunken war und neue Fotomodelle anmachte.“ Boulton sah  Steenkamp das letzte Mal zwei Monate bevor sie Pistorius im November 2012 auf einem PR-Termin kennenlernte. Nur drei Monate später erschoss der an beiden Unterschenkel amputierte Sportstar seine Freundin am Valentinstag hinter der Toilettentür seiner Wohnung. Er selbst behauptet, sie mit einem Einbrecher verwechselt zu haben – eine Version, die ihm Richterin Thokozile Masipa glaubte.

Die Eltern der Toten sind enttäuscht

Ebenso enttäuscht wie Bolton sind auch die Eltern von  Steenkamp über das Urteil: In einem Interview mit einem US- Sender kurz nach dem Urteil  sagten sie, dass ihrer Tochter „keine Gerechtigkeit widerfahren“ sei. Sie wollten  endlich mit dem schrecklichen Geschehen abschließen und hätten Pistorius vergeben, auch wenn sie ihn nach wie vor verantwortlich halten und ihn gerne treffen würden.

Negative Kommentare

Überall in Südafrika hat das milde Urteil Ungläubigkeit und Wut hervorgerufen. Alle großen Zeitungen  veröffentlichten am Samstag wenig vorteilhafte Bilder des Sportlers und machten in Leitartikel deutlich, dass sie schon aus Gründen der Abschreckung auf ein wesentlich härteres Urteil gehofft hätten. Die  Richterin hatte Pistorius zwar wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, weil er bei seinem Vorgehen gegen den vermeintlichen Einbrecher übermäßige Gewalt angewendet und vorschnell gehandelt habe. Gleichzeitig hatte sie den Sportler von allen Mordvorwürfen freigesprochen.

Kritik an der Richterin

Besonders umstritten ist unter vielen Beobachtern die Interpretation der Richterin, dass Pistorius bei seinen vier Schüssen auf die kleine Toilettentür keine Tötungsabsicht gehabt habe. Der Rechtsexperte David Dadic findet es zudem schwer zu verstehen, dass die Richterin den Sportler als einen ausgesprochen schlechten Zeugen beschrieb, aber am Ende in weiten Teilen doch seiner Darstellung des Tathergangs folgte. Ebenso schwer verständlich sei, dass sie seinen hochemotionalen Zustand direkt nach der Tat als Indiz dafür wertete, dass Pistorius mit den Schüssen niemanden töten wollte.

Zehn Jahre Haft oder weniger

Nach der erfolgten Verurteilung erwartet den 27-Jährigen eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren. Allerdings könnte Pistorius weit glimpflicher davonkommen. Da die Richterin bei einer Verurteilung für fahrlässige Tötung freies Ermessen hat, wäre theoretisch  nur eine Geldstrafe  möglich. Ein Berufungsverfahren seitens der Anklage ist nur möglich, wenn bei dem Urteil ein Rechtsfehler vorliegt. Doch genau dies scheint nach Ansicht hochrangiger Juristen der Fall zu sein. Denn angesichts des Tathergangs hätte die Richterin wohl bei einer bestimmten, von ihr erwogenen Konstellation des Mordvorwurfs, auf eine Mordabsicht entscheiden müssen. Sollte es zu einem solchen Verfahren kommen, ginge der Fall an das nationale Berufungsgericht in Bloemfontein, das jedoch nur diesen einen Punkt juristisch bewerten müsste und den Fall dann an das ursprüngliche Gericht zurückverwiesen könnte. Dann müsste Richterin  Masipa ein neues Strafmaß festlegen. Ein Wiederholungsverfahren ist ausgeschlossen.

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