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Prozess: Jacquelines Hungertod wird neu aufgerollt

Aufgrund lückenhafter Beweisführung wird der Prozess gegen die verurteilten Eltern der verhungerten Jacqueline neu verhandelt. Beiden Angeklagten drohen nun Verurteilungen wegen Mordes und somit lebenslange Haftstrafen.

Der Prozess gegen die Eltern der verhungerten Jacqueline aus Bromskirchen (Hessen) muss neu aufgerollt werden. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) am Mittwoch in Karlsruhe entschieden. Beiden Angeklagten drohen nun eine Verurteilung wegen Mordes und damit eine lebenslange Haftstrafe. Das 14 Monate alte Mädchen war im März 2007 verhungert und verdurstet, nachdem seine Eltern die Pflege und Versorgung des Kindes binnen weniger Wochen weitgehend eingestellt hatten.

Das Marburger Landgericht hatte die Mutter im Januar lediglich wegen Totschlags durch Unterlassen und Misshandlung Schutzbefohlener zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Gegen ihren Ehemann waren drei Jahre und drei Monate Haft wegen fahrlässiger Tötung und vorsätzlicher Körperverletzung verhängt worden.

Fehler und Lücken in der Beweisführung

Der BGH hob nun das Urteil wegen Rechtsfehlern und Lücken in der Beweiswürdigung auf. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die von der Bundesanwaltschaft vertreten wurde, war damit erfolgreich. Die Revisionen der Eltern verwarf der zweite Strafsenat als unbegründet.

Aus Sicht des BGH hält die Beweiswürdigung, mit der das Landgericht eine Verurteilung der Mutter wegen Mordes verneint hatte, der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Ebenso fehlerhaft sei es, dass ein Tötungsvorsatz des Vaters ausgeschlossen wurde. Die Sache wurde zur Neuverhandlung an das Landgericht Gießen zurückverwiesen.

Tatmotiv: "Rücksichtslose Eigensucht"

Im Marburger Urteil hieß es, die damals 21-jährige Mutter Judith H. habe aus einer massiven Überforderung heraus keine Hilfe geholt. Sie war abermals schwanger, unglücklich in ihrer Ehe und lethargisch. Die Bundesanwaltschaft sah bei ihr jedoch "rücksichtslose Eigensucht" als wahres Tatmotiv. Sie habe sich nicht um ihre Tochter gekümmert, um eigene Bedürfnisse ausleben zu können - darunter ihren Drogenkonsum.

Aus Sicht des BGH könnten zumindest bei der Mutter drei Mordmerkmale erfüllt sein. Der BGH hält es für möglich, dass Jacqueline "grausam", "aus niedrigen Beweggründen" und aus "Verdeckungsabsicht" getötet wurde, also um die vorangegangenen elterlichen Pflichtverletzungen zu verdecken.

Jacqueline wog zum Schluss nur noch sechs Kilogramm

Dem 34-jährigen Vater Guido H. hatte das Landgericht zugute gehalten, die Vernachlässigung des Kindes nicht mitbekommen zu haben. Der BGH sah nun aber mehrere Indizien dafür, dass er die Mangelversorgung durchaus erkannt hatte, aber bewusst nicht zur Kenntnis nahm und verdrängte.

Das Kleinkind wog zum Schluss nur noch sechs Kilogramm - etwa die Hälfte dessen, was für ein Kind in diesem Alter üblich ist. Den Feststellungen zufolge war es zum Todeszeitpunkt am 24. März 2007 "extrem abgemagert, hatte ein Greisengesicht und bestand nur noch aus Haut und Knochen". Etwa zwei bis drei Wochen vor dem Tod hatten die Eltern dem kleinen Mädchen kaum mehr etwas zum Essen und Trinken gegeben.

Der Vater kümmerte sich nicht um seine Tochter, dafür um seine Tiere

Das Haus, in dem die Eltern von Jacqueline lebten, war im März 2007 verwahrlost und vermüllt. Der Vater kümmerte sich zwar nicht um seine Tochter, aber dafür um seine Tiere. Er hatte 30 Aquarien im Haus und hielt mehrere Hunde.

Der Fall unterscheidet sich laut BGH vom Fall des verhungerten Dennis aus Cottbus, weil die Mangelernährung bei Jacqueline anders als bei Dennis in einem "relativ kurzen Zeitraum von wenigen Wochen" erfolgt sei. Die Eltern von Dennis waren nicht wegen Mordes, sondern lediglich wegen Totschlags zu 13 und 11 Jahren Haft rechtskräftig verurteilt worden. (kk/ddp)

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