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Die Eltern von Stefan J., einem der ermordeten Jungen.

© dapd

Update

Prozess um Jungenmörder: "Maskenmann" begegnet Eltern der Opfer

Der mutmaßliche Mörder von drei Kindern, unter ihnen Dennis K., begegnet den Eltern seiner Opfer. Der so genannte "Maskenmann" soll drei Jungen getötet und mehr als 20 Kinder missbraucht haben.

Stade. Die schwarze Maske hat er durch einen dichten Vollbart ersetzt. Martin N., der mutmaßliche Mörder dreier Kinder, scheut den Blick der Öffentlichkeit. Sein Gesicht verbirgt er hinter einer rosafarbenen Aktenmappe. Er tut es noch, als die Fotografen und die Kameraleute den Schwurgerichtssaal des Landgerichts Stade am Montag bereits verlassen haben und er längst Platz genommen hat auf der Anklagebank. Einer seiner beiden Verteidiger legt ihm schließlich die Hand auf den Arm, drückt ihn sanft herunter. Erst jetzt zeigt der „Maskenmann“ sein Gesicht.

Michael R. will es ganz genau sehen. Er sucht den Sichtkontakt, versucht an Familie J., Babette K. und den Anwälten vor ihm vorbei zu blicken. R. ist der Vater von Dennis. Der schlaksige über 1,90 Meter große Mann in der Jeansjacke und der Jeanshose, der keine 20 Meter vor ihm sitzt, soll sein achtjähriges Kind im Juli 1995 aus einem Zelt am Selker Noor in Schleswig-Holstein verschleppt und in ein Ferienhaus nach Dänemark entführt haben. Als Dennis im Haus auf dem Fußboden spielte, habe Martin N. entschieden, ihn zu töten. Er sei von hinten an ihn herangetreten und habe ihn mit seinen Händen erwürgt. Die Leiche verbuddelte er an einer Düne. So trägt es der Staatsanwalt gestern in seiner Anklage vor. Dennis' Vater schüttelt den Kopf, hält sich die Hand vor seine Augen.

Vor Michael R. sitzt Familie J. Vater, Mutter, Bruder. Nur Stefan fehlt. Seit 19 Jahren. Sein kleiner Bruder, der mit den Eltern als Nebenkläger am Prozess teilnimmt, war fünf Jahre alt, als Stefan aus einem Internat nahe Scheeßel in Niedersachsen verschwand. Martin N. hat nach Erkenntnis der Staatsanwaltschaft auch Stefan missbraucht, verschleppt und erwürgt.

„Der lässt mich kalt“, sagt Ulrich J. nach der Verhandlung über Martin N. Was das für ein Mensch ist, der fähig ist, mindestens drei Kinder zu töten und Dutzende sexuell zu missbrauchen, interessiert den 68-Jährigen nicht. Ihm geht es um „die Wahrheit“. Er will ganz genau wissen, was damals mit seinem Sohn geschehen ist. Die Anklage geht ihm nicht weit genug, sagt er hinterher vor dem Gerichtsgebäude. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Stefan sterben musste, damit er den sexuellen Missbrauch nicht verrät. Ulrich J. ist hingegen überzeugt, dass Martin N. aus Mordlust und zur sexuellen Befriedigung getötet hat. Der Vater deutet an, dass es Anzeichen gebe, dass N. sich auch am toten Kind noch verging.

Babette K. ist zwischen ihren Anwältinnen kaum zu sehen. Auch sie schaut N. nicht an, sondern hält den Blick gesenkt. Ihr Sohn Dennis K. ist nach Stand der Ermittlungen das letzte Opfer von N. gewesen. Der Neunjährige schlief noch, als Martin N. ihn im September 2001 aus seinem Bett aus einem Schullandheim nahe Bremerhaven hob. Vier andere Kinder schliefen im selben Zimmer. N. soll den Jungen in den Aufenthaltsraum getragen und dort sexuell belästigt haben. Dennis wachte auf. Er werde seiner Lehrerin Bescheid geben, soll er gesagt haben. Da habe N. ihn erwürgt, die Leiche aus dem Haus geschafft und an einem Feldweg abgelegt.

Auf der nächsten Seite: Wie der Angeklagte im Prozess reagiert.

Martin N., der 40-jährige Pädagoge, hört sich das alles an. Er wirkt unruhig. Seine Augen finden keinen Halt auf dem Tisch vor ihm. Er blickt mal an die Decke, mal zum Richtertisch. Nur nach vorne zur Bank der Nebenkläger schaut er nicht.

Dort sitzt auch Martin W. Im Februar dieses Jahres gab der 26-Jährige den entscheidenden Hinweis, der zur Festnahme von Martin N. führte. Der junge Mann sah einen Fahndungsaufruf der Soko „Dennis“. Er erinnerte sich an einen seltsamen Jugendbetreuer, der ihn, als er zehn Jahre alt gewesen ist, detailliert nach seinem Zuhause ausgefragt hatte. Wenige Monate später stand der Mann mit der Maske an seinem Bett. Seinen Namen erinnerte er auch. Der Mann hieß wie er selbst: Martin.

Martin N. muss sich wegen dreier Morde und 23-fachen sexuellen Missbrauchs verantworten. Er hat die Taten gestanden und noch 20 weitere Missbrauchsfälle, die bereits verjährt sind. Ein Psychiater hat N. bereits begutachtet. Es heißt, er habe ihn für schuldfähig befunden. Damit droht dem gebürtigen Bremer eine lebenslange Freiheitsstrafe und möglicherweise eine anschließende Sicherungsverwahrung.

„Herr N., es steht Ihnen frei sich zu äußern“, sagt der Vorsitzende Richter. N. nickt. Doch er wird es wohl nicht tun. Seine Verteidiger haben für den nächsten Verhandlungstag eine umfassende Erklärung „zur Person und zur Sache“ angekündigt. Aber N. wird nicht selber sprechen. Seine Anwälte tun das für ihn.

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