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Prozessbeginn: Kachelmann unter Hochdruck

Keine souveräne Geste, kein triumphaler Blick. Jörg Kachelmann, der Selbstgewisse, ist an seinem ersten Prozesstag die Demut in Person. Und doch zeigt der Auftakt des Verfahrens: Hier wird mit harten Bandagen zu Werke gegangen.

So benimmt sich einer, der vor Gericht alles richtig machen will. Kurz nach neun Uhr betritt Jörg Kachelmann den fensterlosen Saal 1 des Mannheimer Landgerichts . Als freier Mann, gekleidet in Anzug und Krawatte, die Haare gekürzt, den Blick gesenkt. Schüttelt Hände, bleibt sonst wortlos, die Lippen schmal, verschränkt die Arme hinter dem Rücken, schiebt den Kopf nach vorne, macht sich kleiner, als er ist. Keine souveräne Geste, kein triumphaler Blick. Der selbstgewisse Wettermann, der das Drama der Isobarenlinien zu lesen verstand, das war er mal, heute ist er die Demut in Person.

Es sind nur kurze Minuten, die Jörg Kachelmann erstmals in seinem Leben auf einer Anklagebank Platz nehmen muss. Dann fährt ein Befangenheitsantrag seiner Verteidiger dazwischen. Und das Gericht unterbricht den spektakulären Prozess gleich wieder. Bis nächsten Montag. Doch man spürt, wie Kachelmann seine neue Rolle ausfüllen wird. Sorgfältig vorbereitet. In geübter Haltung. Seriös will er sein. Glaubwürdig.

Der angeklagte Kachelmann wird wieder ein neuer Kachelmann sein, ein anderer als Kachelmann, der entlassene Untersuchungshäftling, der von Knastkumpeln schwärmt, und ein ganz anderer als der manchmal tapsig wirkende Fernsehliebling mit dem Naturburschenbonus. Er wird jetzt auch ein neues Publikum haben, Richter und Sachverständige, die sein Verhalten studieren, einen Staatsanwalt, der ihn für einen verlogenen Verbrecher hält, enttäuschte und verlassene Frauen, die als Zeuginnen aussagen, die prominente Frauenrechtlerin Alice Schwarzer, die in der „Bild“ die Opferseite sprechen lassen will, während draußen vor Gericht der Comedian Oliver Pocher als falscher Kachelmann herumkaspert. Ein solches Publikum hatte er noch nie. Auch nie ein so geteiltes, das ihn schon jetzt entweder für schuldig oder unschuldig hält.

Ein schwieriger Stand. Kachelmann ist Profi, und doch macht er einen Fehler, einen kleinen. Sein Blick wandert ins Publikum, als Richter Michael Seidling die Anwesenheit der Prozessbeteiligten feststellt, eine verzeihliche Unbotmäßigkeit. Keinen Blick hat er für das mutmaßliche Opfer, die frühere Freundin, die Hauptbelastungszeugin, die Nebenklägerin, manche sagen: die Lügnerin. Sie, eine Radiojournalistin aus Schwetzingen, die in den Medien bisher als „Sabine“ oder „Simone“ kursiert, sitzt kerzengerade neben ihrem Anwalt Thomas Franz, blickt starr geradeaus zur Richterbank.

In ihrer Wohnung soll Kachelmann sie im Februar vergewaltigt haben, mit einem Messer in der Hand. Kachelmann bestreitet das und wirft ihr vor, ihn aus enttäuschter Liebe zu verleumden. Sie sagt nichts, als das Gericht sie zunächst „als Vertreter“ der Nebenklage vorstellt. Später darauf angesprochen, meint sie zu einem Journalisten: Ich bin, was Sie wollen. Die schlanke, sportliche Frau im schwarzen Kostüm war in den Minuten bemüht, souverän und standhaft aufzutreten. Es wollte nicht recht gelingen.

Der erste Prozesstag ist, weil kurz, ein Tag der Verteidigung. Nicht mal die Anklageschrift wird verlesen. Stattdessen ein Befangenheitsantrag, verteilt von Kachelmanns Anwalt Reinhard Birkenstock. Es ist ein Konvolut von 67 Seiten, dazu Anlagen, das sich gegen den Vorsitzenden Richter Michael Seidling und die beisitzende Richterin Daniela Bültmann wendet. „Herr Kachelmann hat die Sorge, die Richter könnten nicht unvoreingenommen entscheiden“, sagt der Verteidiger. Die Gründe wolle er nicht in der Hauptverhandlung vortragen. „Mir geht es nicht um Richterbeschimpfung“, sagt er. In welcher Weise sie voreingenommen seien, sagt er nicht. Er habe seine Argumente „sachlich und pointiert“ dargelegt.

Überraschend kommt der Antrag nicht. Vor dem Prozess war bekannt geworden, dass der Sportverein von Richter Seidling eine gemeinsame Handballgruppe mit dem Schwetzinger Sportverein vom Vater des mutmaßlichen Opfers unterhält. Man lebt in benachbarten Dörfern, es soll gemeinsame Bekannte geben. Beide seien sich aber nie persönlich begegnet, heißt es.

Der Antrag könnte auch andere Gründe haben. Die Mannheimer Richter hatten Kachelmann nicht aus der Untersuchungshaft entlassen. In ihrem Beschluss, den das Karlsruher Oberlandesgericht später aufhob, legten sie ihren Verdacht mehr als deutlich dar, schlossen ihn auch aus der „Persönlichkeit“ des Angeklagten. Schließlich soll Richter Seidling in einer Erklärung, die seine Unbefangenheit untermauern sollte, vom „Opfer“ gesprochen haben, zu dem er nie Kontakt gehabt habe. Richtig wäre „mutmaßliches Opfer“ gewesen. Möglich, dass Verteidiger Birkenstock darauf abhebt. Weshalb es dann aber nur zwei der Berufsrichter und nicht alle drei traf, bleibt unklar. Die Strafkammer will bis Montag entscheiden, ob die Neutralität gewahrt ist. Die beiden abgelehnten Richter nehmen an den Beratungen nicht teil.

So zeigt der Auftakt des Verfahrens, dass auch weiterhin mit harten Bandagen zu Werke gegangen wird, nachdem schon vor dem Prozessbeginn das meiste, um das es in der Verhandlung gehen sollte, öffentlich vorweggenommen worden ist. Es tobt der Kampf um das Bild eines Mannes, dessen altes Leben zerbrochen ist und viele Rätsel aufgibt, und der, da man sich über das alte klar zu werden versucht, eine rasante Wandlung durchläuft.

Kachelmann war nie ein TV-Erstligist, er moderierte die MDR-Talkshow „Riverboat“, hatte eine kleine TV-„Spätausgabe“, er kochte und quatschte, gab den Sidekick bei den Olympischen Winterspielen. Er ließ einen Flusenbart über sein Großejungengesicht wachsen, das in früheren Zeiten mit Rundbrille aussah wie das eines Musterschülers. Die Haare wurden länger, das Gesicht fülliger, er wirkte jetzt noch harmloser, uneitler als sonst, wie einer, der seinen Bubencharme über die Zeit retten wollte.

Mit seinen Wetterberichten von Berg, Tal und Küste wirkte er fröhlich und neugierig wie ein ewiges Kind, das die Welt entdeckt. Kein ganz Unverbrauchter mehr, aber doch einer, der mit der Natur und sich im Reinen ist. Sollte das alles nur Show gewesen sein?

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Kachelmann war immer ein Geschäftsmann, alles in allem auch ein erfolgreicher. Einer, der früh erkannte, dass die Gesetzmäßigkeiten der Medien und die Wechselhaftigkeit des Wetters hervorragend zueinander passten. Eine Neugier im Publikum, die stabiler war als Hochs und Tiefs, ein Thema, das verlässlich Unerwartetes bot, und mittendrin er selbst als gemütliches Orakel mit der beruhigenden Botschaft, dass auf Regen Sonnenschein folgt, wenn auch noch nicht morgen.

Echt daran war wohl immer die Leidenschaft für das Wetter. Seine Eltern besaßen ein Boot am Bodensee, und immer, wenn sie den einzigen Sohn mit auf Törn nahmen, atmete der die Faszination, was sich am Himmel tat. Ein Geografiestudium brach der aus Lörrach Gebürtige ab, er arbeitete beim Radio, machte Boulevardgeschichten, ehe er seine Bestimmung fand. Er gründete Meteomedia, sein Wetternetzwerk mit hunderten von Messstationen, tauchte auf dem Bildschirm auf, wurde prominenter, und „Kachelmann“ die Marke, unter der er seine Wetterdaten und sich selbst vermarktete.

Der Vater starb früh, der Sohn tat viel, um keine Wurzeln zu schlagen. Zwei geschiedene Ehen, zwei Kinder, die er selten sieht, keine feste Adresse in Deutschland, dafür eine Bleibe in Kanada. Ein Vielflieger, Autofahrer und Hotelschläfer, wenn nicht in der Luft, dann auf Achse. Und so hätte es bleiben können, wenn Kachelmann nicht ein verhängnisvolles Spiel in Gang gesetzt hätte.

Sein Privatleben war tabu. Er reagierte abweisend, sprach man ihn darauf an. Sogar seine Ehen hielt er geheim. Mit den Vorwürfen gegen ihn geschah etwas, das er immer gefürchtet hatte. Eine andere Seite kam zum Vorschein, die so gar nicht zum Klischeebild des tüchtigen Wettermannes passt. Selbst wer ungebundenen Lebensweisen vorurteilslos und sexuellen Eskapaden verständnisvoll begegnet, den kann das Kachelmann’sche Arrangement befremden. Mit Partnerinnen in drei Ländern und auf zwei Kontinenten unterhielt der Vielbeschäftigte Kontakt. Der Eisenbahnersohn, dessen Vater es zum Oberinspektor am Endbahnhof Schaffhausen gebracht hatte, entwarf ein komplexes Beziehungsgeflecht, in dem er vielgleisig verkehrte und alle Züge in Bewegung hielt. Seine Frauen ließ er Runden drehen, bis er bei ihnen einen Stopp einlegte, dann war er weg und pendelte zur nächsten. Keine der Frauen wusste von der anderen, nur er selbst stellte Weichen und Signale, wie es ihm passte. So kommt die elektronische Korrespondenz zwischen „Sabine“ und ihm allein in vier Jahren auf beeindruckende 1400 ausgedruckte Seiten, berichteten Medien. Es war ihm offensichtlich auch bei anderen Affären ein Bedürfnis, ständig und viel zu kommunizieren.

Als das komplexe Netzwerk aufflog, fügte sich in zahllosen Medienberichten das Bild eines Mannes, der jedenfalls nicht nur das eine wollte, sondern wohl auch anderes: mit den Lebensplänen seiner Partnerinnen zu spielen, ihre Verfügbarkeit zu genießen, sie warten und sie vielleicht auch leiden zu lassen.

Es sind diese Geschichten, die die Öffentlichkeit stärker gespalten haben als der womöglich unberechtigte Vergewaltigungsvorwurf. Sein Leben erscheint ungewöhnlich, aber mit den Gefühlen, um die es geht, kann sich jeder identifizieren. Ein Drama der Geschlechterverhältnisse.

Tatsache ist, dass nach kriminologischen Untersuchungen die wenigsten Vergewaltigungsvorwürfe Falschbeschuldigungen sind. Doch um Wahrscheinlichkeit kann es in diesem Prozess nicht gehen. Auch wenn sich die Staatsanwaltschaft im Vorfeld ungewöhnlich sicher war. „Ich bin nicht der Befindlichkeitssprecher von Herrn Kachelmann“, sagt Anwalt Birkenstock vor den Fernsehkameras im Gerichtsflur. „Aber er ist eine Person, die in der Öffentlichkeit steht. Sein Ruf ist ihm wichtig“. Es habe eine „Hetzjagd“ stattgefunden. Die Staatsanwaltschaft habe „weit vor uns“ die Öffentlichkeit gesucht und falsche Informationen verbreitet; die Bundespolizei habe Kachelmanns Namen erstmals genannt. Birkenstock nannte die Arbeit der Behörden eine „Verunglimpfungspolitik“. Kachelmanns Medienanwalt Ralf Höcker hält die Pressemitteilungen der Staatsanwaltschaft für „rechtswidrig“.

Seit Kachelmann bei seiner Rückkehr von den Olympischen Winterspielen in Vancouver am 20. März noch auf dem Flughafen von der Polizei erwartet wurde, ringt die Justiz um das richtige Maß in diesem Fall. Die Falle war zugeschnappt, es folgten mehr als 130 Tage Untersuchungshaft, und den Behörden entglitt das Geschehen. Nicht nur wurde öffentlich die Tatnacht rekonstruiert, sondern sogar die Persönlichkeitsprofile der Beteiligten diskutiert. Und bald schon zeigte sich das Bemühen der Behörden zur Aufklärung so verworren und undurchsichtig wie die Tat selbst.

Erst spät – viele Strafverteidiger sagen zu spät – hat Kachelmanns Verteidiger auf eine Haftbeschwerde gedrungen, die vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe schließlich erfolgreich war. Die Karlsruher Richter verneinten, anders als die in Mannheim, einen „dringenden“ Tatverdacht. Es stehe Aussage gegen Aussage, und die Aktenlage gebe nicht genug her, den Beschuldigungen des möglichen Opfers zu glauben. Ein Paukenschlag und gewiss auch eine Überraschung, zumal der Prozess, der Kachelmanns Unschuld beweisen kann, kurz bevorstand.

Nach anfänglichem Kopfschütteln über Beziehungsgepflogenheiten hat sich, wie Umfragen bestätigen, die Stimmung etwas zu Kachelmanns Gunsten gedreht. Rechtswissenschaftler sprechen indes von einem „Justizskandal“.

Die Mannheimer Richter sind jetzt an das Karlsruher Votum nicht gebunden. Sie urteilen selbst, und wenn es zu einer Revision kommen sollte, findet sie vor dem Bundesgerichtshof statt. Die Karlsruher Oberlandesrichter, denen Kachelmann seine Freiheit verdankt, werden sich in den Fall nicht mehr einschalten. Doch um eine Verurteilung zu begründen, müssen die Mannheimer Richter mehr aufbieten als Mutmaßungen über Kachelmanns Persönlichkeit. Und die Aussage des angeblichen Opfers muss sich als hundertprozentig belastbar erweisen.

Gerade daran gibt es Zweifel, woraufhin – nach Medienberichten – ein Gutachten der Bremer Psychologin Luise Greuel hinweisen soll. Auch sie sitzt am Montag in der Riege der vom Gericht bestellten Gutachter, dem Gericht direkt gegenüber. Mit dem angeblichen Opfer hat sie elf Stunden lang geredet, jetzt bekommt auch sie einen persönlichen Eindruck, wie Kachelmann wirkt. Greuel ist eine anerkannte Expertin auf dem Gebiet der Aussagepsychologie, gerade im Zusammenhang mit Aussagen vergewaltigter Frauen. In einer Studie aus den neunziger Jahren berichtet sie, dass Opfer immer noch gegen „Vergewaltigungsmythen“ anzukämpfen hätten. Dazu gehöre, dass die Motivation der Täter deren Sexualtrieb sei. Ein Irrtum, meint Greuel und sieht sich durch die Empirie von Kriminologen und Psychologen bestätigt. Tätern gehe es meist um Kontrolle, Machtausübung und Demütigung ihrer Opfer. Auch davon könnte im Kachelmann-Prozess noch die Rede sein.

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