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Panorama: Rache ist süß

Die US-Musikindustrie zahlt es Bush heim – die Dixie Chicks sind die großen Grammy-Siegerinnen

Als Natalie Maines den Mund aufmachte, hielt die Masse der Zuschauer im Staples Center in Los Angeles die Luft an. Doch heraus kam zunächst nichts als ein deutlich hörbarer Seufzer. Dann fügte die Sängerin der Dixie Chicks mit einem leicht hämischen Grinsen an: „Nun, um es mit dem großartigen Simpson zu sagen: HA HA!“

Rache war süß an diesem Abend für das Frauen-Trio, das einst als Country Band startete und dann wegen ihrer Opposition zu Präsident George W. Bush aus ihrem Genre und aus ihrer Heimat Texas vertrieben wurde. Mit gleich fünf Auszeichnungen spürte die Band bei der 49. Grammy-Verleihung die warme Umarmung der traditionell politisch liberalen US-Unterhaltungsindustrie.

Schon Joan Baez, die legendäre Protestsängerin der 70er hatte sie in der Show als „mutige Mädchen“ gepriesen und aufgefordert, sich ihren Song „Not Ready to Make Nice“ (Nicht bereit, brav zu sein) genau anzuhören. Darin verarbeiten Maines und die Schwestern Martie Maguire und Emily Robinson ihre denkwürdige Erfahrung mit dem sehr subjektiven Verständnis von Meinungsfreiheit, das viele konservative Amerikaner in diesen Tagen haben.

Die ganze Kontroverse geht zurück auf den einen Satz, den Maines bei einem Konzert in London 2003 am Vortag des Irakkrieges auf der Bühne sagte: „Wir schämen uns dafür, dass der Präsident aus Texas stammt.“

In den folgenden Monaten brach eine Welle von Anti-Patriotismus-Beschimpfungen über die drei herein, Radiostationen weigerten sich, ihre Stücke zu spielen. Die Gemeinde der Country-Sänger verschwor sich gegen sie und dichtete ein Pro-Bush Liedchen nach dem nächsten. Maines erhielt Morddrohungen und entschloss sich schließlich, nach Los Angeles umzuziehen.

Dort nahmen die Dixie Chicks auch ihr jüngstes Album auf, das ihre Abwendung von der Country-Musik markieren sollte, auch der Titel ein Programm: „Taking the Long Way“. Dass es am Sonntagabend dann sogar als „bestes Country Album“ geehrt wurde, zeigte den Sinn der Akademiemitglieder für Ironie. Es war zudem das erste Mal seit 13 Jahren, dass eine einzige Gruppe die drei wichtigsten Preise abräumte. „Ich denke, die Leute haben ihr Recht auf Meinungsfreiheit heute Abend genutzt“, sagte Maines schließlich in einer ihrer Dankesreden: „Wir haben die Botschaft verstanden.“

Auch sonst war es ein Abend der Versöhnungen. Mary J. Blige, die von Drogen und Selbstzweifeln inmitten ihrer Karriere zerfressene R&B-Sängerin, feierte mit drei Auszeichnungen ein tränenreiches Comeback. „The Police“ spielten den Eröffnungs-Gig der pompösen Show, Auftakt für ihre große Wiedervereinigungstour. Und die Red Hot Chili Peppers bekamen in ihrer Heimatstadt für ihr neustes Album endlich die Anerkennung, nach der sie so lange strebten.

Das komplexe Bühnenbild war ein großartiges Feuerwerk aus Lichteffekten und Videowänden. Die Gewinnerin eines Talentwettbewerbs durfte mit Justin Timberlake auf der Bühne ein Duett hinlegen und mit Carrie Underwood wählten die 11 000 Akademiemitglieder die bei „American Idol“ entdeckte Country-Sängerin Carrie Underwood als die beste jünge Künstlerin.

Deren Auftritt nach der Show zeigte allerdings, wie tief der Stachel noch immer sitzt zwischen den Dixie Chicks und der Country-Gemeinde. Befragt nach dem Erfolg ihrer Konkurrentinnen, versuchte Underwood zunächst so zu tun, als hätte sie den Einwurf überhört. Beim zweiten Versuch murmelte sie ins Mikrofon: „Ich bin glücklich für sie. Dabei möchte ich es belassen.“

Und schon zerrte sie ein Helfer hektisch vom Podium. Für das republikanische Red-State-Amerika bleiben die drei Frauen aus Texas ein rotes Tuch. Oder, wie das „Time“-Magazin sie einst auf seinem Titel bezeichnet hatte: „Radical Chicks“ – radikale Hühner.

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