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Mit traurigem und heiterem Blick. Reinhard Mey.

© promo

Reinhard Mey: In Drachenblut gebadet

Liedermacher Reinhard Mey hat eine neue CD herausgebracht – mit einem Lied für seinen Sohn, der seit über einem Jahr im Wachkoma liegt.

Auch das neue Album von Reinhard Mey enthält ein großes Liebeslied. Es heißt „Drachenblut“, und gewidmet ist es seinem Sohn Max. Eigentlich ist es ein Schlaflied für das Kind, das nicht mehr einschlafen kann. Im vergangenen Herbst hat Reinhard Mey in Reinhold Beckmanns Talkshow öffentlich gemacht, was für ein Schicksalsschlag die Familie ereilt hat. Infolge einer Lungenentzündung war der 27-jährige Sohn Maximilian, das mittlere seiner drei Kinder, im März 2009 in ein Wachkoma gefallen. Einmal nur wollte er öffentlich darüber sprechen, und dann nicht wieder. Deutschlands erfolgreichster Liedermacher wollte einfach nicht mehr lügen müssen auf die Allerweltsfrage, wie es ihm geht.

In „Drachenblut“ gelingt ihm die Transformation dieses Dramas in die Sphäre der Kunst: „Ein Lidschlag nur, ein Augen-Blick, ein Zeichen ist geblieben / Und die Entschlossenheit, dich in die Welt zurückzulieben.“

Dem kleinen Max hat er einst zugesungen „Du bist ein Riese Max, sollst immer einer sein“. Und: „Liebe macht dich unverletzbar / wie ein Bad im Drachenblut“. Dieses Motiv nimmt er jetzt wieder auf. Das neue Lied ist gewissermaßen aus diesem „Drachenblut“ komponiert, und es macht klar, was zeitlose Kunst von dem modischen Exhibitionismus der Superstar-Welt unterscheidet. Mit diesem leisen, melodiösen Lied zeigt er unabhängig vom eigenen Schicksal, wie Hoffnung Menschen auch durch unvorstellbare Herausforderungen des Schicksals tragen kann. Ohne eine tiefe Gelassenheit, die das Leben in all seinen Facetten wirklich annimmt und bejaht, ließe sich ein so vielschichtiges, berührendes Lied, das gleichwohl Distanz hält zu allem allzu Persönlichen, sicher nicht schreiben.

„Mairegen“ heißt die neue CD. Sie hat zwei Teile. Dazwischen steht im Textheft wie eine Brücke das Bekenntnis: „Lieder sind meine Chronik. Sie sind Erlebtes und Erdachtes, aus Hoffnungen und Ängsten entstanden, aus Beobachtungen, Glück und Unglück gemacht.“

Reinhard Mey hat seine Fans bei den Tourneen immer um den großen imaginären Küchentisch der Familie versammelt, hat sie Anteil nehmen lassen an seinem Leben, ohne sie dabei in die peinliche Situation von Voyeuren zu drängen. Es ist ihm gelungen, Banales und Erhabenes gleichermaßen poetisch zu verfremden. So drastisch er in lustigen Liedern sein kann, so feinfühlig zeigt er sich in den traurigen. Es ist ja nicht das erste Mal, dass die dunklen Seiten des Schicksals zur Sprache kommen. Von der ersten Stunde an hat er seine enthusiastische und überaus treue Fangemeinde an der Gefühlswelt eines passionierten Vaters teilhaben lassen, hat in den tiefsten Winkeln seines Herzens erforscht und überhöht, was Kinder bedeuten und auslösen können. In dem 2005 erschienen Buch „Was ich noch zu sagen hätte“, geht es an einer Stelle darum, dass er sich um seinen Sohn Max Sorgen macht. Da sagt er: „Ich weiß nicht, was das Leben uns alles noch bringt, was alles kommen mag. Aber schwere und tragische Situationen müssen wohl auch sein.“ In gewisser Weise lehrt er in seinen Liedern auch den Umgang mit solchen Situationen. Vor vier Jahren widmete er die CD „!Ich kann“ seinem früh verstorbenen Freund Peter.

Aus dem unverstellten Blick für die scheinbaren Nebensächlichkeiten, die zur Summe des Lebensganzen aber Erhebliches beitragen, sind auch auf dieser CD ganze Lieder entstanden. Man braucht Menschen, die einen auf schwierigen Wegen begleiten. Manchmal sind es Unbekannte, die womöglich gar keine Ahnung von ihrer Rolle haben und sie doch perfekt ausfüllen. „Antje“, die Imbissverkäuferin an der B 10, scheint so ein Fall zu sein. Wer immer auch ihr Vorbild ist, Antje sieht, „wenn eine Träne in deine Pommes rollt“.

Der Titelsong „Mairegen“ läutet den zweiten Teil ein, eine melodiöse Bitte darum, dass alles wieder gut wird, dass ein Kinderreim hält, was der unbeschwerte Anfang des Lebens versprochen hat. In dieser leichteren Hälfte setzt Reinhard Mey sich in bewährter, kritischer Weise mit Zeiterscheinungen auseinander. In „Larissas Traum“ geht es um den grassierenden Superstar-Wahn und die an den kindlichen Kandidaten begangenen Grausamkeiten. Er behandelt das Thema weniger aggressiv als vergleichbare Stoffe auf früheren Alben, aber gerade darum nicht weniger überzeugend.

„Rotten Radish Skiffle Guys“ ist ein heiteres Lied, erinnert an den Fuchsbau in Reinickendorf, an die erste Band, deren Mitglied er 1957 wurde, an die Mädchen, die auf die Stars in Nord-Berlin standen, an die erste Gitarre, die das ganze Taschengeld verschlungen hat: „Die Musik war einfach, die Musik war gut.“

Die Hommage ans Butterbrot ist typisch Reinhard Mey, ein liebevoller Blick auf scheinbar kleine, aber nicht wirklich profane Dinge des Alltags. „Was keiner wagt, das sollt ihr wagen“, singt er zusammen mit Konstantin Wecker im 14., letzten Lied. Das erklärt in gewisser Weise, warum er die Nummer sieben, „Drachenblut“, gesungen hat. Auch die Schlussnummer lebt von der Kombination aus einer schönen Melodie und einem geradezu fröhlichen Rhythmus. Sie endet mit den Worten: „Wo alles dunkel ist, macht Licht.“ Im kommenden Jahr geht Reinhard Mey mit dem Album auf Tournee.

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