zum Hauptinhalt
167922_0_43d486a8

© Mauritius

Ägypten: Shopping bei den Pyramiden

Der Landgang in Giseh gehört zum ägyptischen Kreuzfahrtprogramm. Früher war da Zauber, heute gibt es Souvenirs.

Dem Anblick Alexandrias von See her konnten 160 Jahre wenig anhaben: Genau wie Mark Twain seinerzeit an Bord der „Quaker City“ sehen die heute Reisenden hundert Minarette und den Ras-et- Tin-Palast gegen das Morgenlicht „ins Blickfeld steigen“ – rechtzeitig zum Frühstück auf dem modernen Keuzfahrtschiff. Die Cappuccinotasse in der Hand, sieht man – ein wenig ergriffen – Arabien als Scherenschnitt im Dunst auftauchen.

Langsam dreht sich das Schiff und wird am Hafenkai vertäut. Auf Twain und die Seinen wartete „eine Armee ägyptischer Jungen ... mit Eseln, nicht größer als sie selbst“, schrieb der Reisejournalist in seinem Buch „The Innocents Abroad“ (Die Arglosen im Ausland). Den lautstarken Angeboten der Träger konnten sie sich damals nicht entziehen, mussten notgedrungen den Weg zu den Pyramiden auf dem unbequemen Rücken der „Omnibusse Ägyptens“ zurücklegen. Und merkten am schmerzenden Hintern, dass sie auf fremdem Boden nicht mehr Herren der Lage und den selbst ernannten Reisebegleitern hilflos ausgeliefert waren.

Die mittelalterlichen Transfers sind passé. Die nordeuropäische Ordnung behält auch auf fremdem Territorium die Oberhand: Sammelstelle zum Landgang auf Deck 4. Berechtigungsticket gegen das Quittungsticket umtauschen. Grellbunte Plastiknummern auf den Anorak kleben. Hinein ins Zollgebäude, Passkontrolle, aufstellen am riesigen Parkplatz. Hier warten 30 nagelneue Mercedesbusse und ihre uniformierten Fahrer. Am Bus Nr. 28 steht Rehan, unsere Reiseleiterin am Ort: eine Ägypterin, die ihre Gäste mit Handschlag und strahlendem Lächeln begrüßt. Blondiertes Haar, Gucci- Sonnenbrille, goldbestickte Jeans.

Los geht die Fahrt. Ägypten huscht jenseits der Panoramascheiben des Busses vorbei: Von den Wohnvierteln Alexandrias sehen wir nur verdreckte Straßenschluchten. Hinterhöfe mit Autowerkstätten. Abgerissen wirkende Männer sitzen in Gruppen vor winzigen Cafés und beobachten, wie die von Polizeiwagen eskortierte Buskolonne durch ihr Viertel braust und braune Staubwolken zurücklässt.

Dann auf die Autobahn nach Süden, ebenes, grünes Gelände mit wechselnden landwirtschaftlichen Anbauflächen: das Nildelta. Überall Taubenschläge aus Lehm: Weiß getünchte, oben abgerundete Türme, durchbrochen von Einfluglöchern, wie Wahrzeichen im flachen Land. Dann kommt die Wüste, rechts und links wird alles staubig, Braun und Gelb changieren die Farben. Draußen muss es jetzt richtig heiß sein, im Bus hält die Klimaanlage die Luft auf 18 Grad.

Rehan hält einen Vortrag über die altägyptischen Dynastien – die Mehrheit der Gäste ist eingenickt. Jetzt wachen alle wieder auf, denn Rehan hat den Tonfall geändert: Mit schmeichelnder Stimme kündigt sie an, nun „die Geheimnisse ägyptischer Frauen“ verraten zu wollen: „Wie Nofretete lieben sie es, Goldschmuck als Zeichen ihres Reichtums zu tragen.“ Um den „oft geäußerten Wunsch der Gäste“ zu erfüllen, ein landestypisches Erinnerungsstück aus Gold mit nach Hause zu nehmen, hat sich Rehan „beim Reiseveranstalter dafür eingesetzt, Ihnen ganz exklusiv eine Kaufoption zu geben“.

Flink reicht sie einige Musterexemplare durch die Reihen: „Goldkartuschen, wie Nofretete sie trug“. Die Orderliste schickt sie gleich hinterher: „Sie können eintragen, welcher Schriftzug eingraviert werden soll. Beim ersten Stopp gebe ich den Auftrag an die Werkstatt weiter, und am Ende der Tour haben Sie Ihr individuelles Schmuckstück.“ Sorgfältig füllen die Kreuzfahrer das Formular aus und zehn Minuten später kann Rehan eine pralle Auftragsliste in Empfang nehmen. Nur wenige haben nichts bestellt.

Es sind noch einige Kilometer bis zu den Pyramiden, so dass Rehan sich Zeit nehmen kann, über zwei andere landestypische Produkte zu erzählen: Da sind noch das „weiße Gold Ägyptens“, also die Baumwolle und das Papyrus, auf dem schon Kleopatra schrieb. Kaum sind die Bestelllisten für T-Shirts und Drucke herumgegangen, stoppt der Bus in einer ansehnlichen Staubwolke: Giseh, alles aussteigen, die Show beginnt!

Rehan warnt: „Seien Sie bitte vorsichtig, jetzt kommen viele Händler, die ein Buch anbieten. Es gibt aber nur einen, der das Originalbuch verkauft, ich zeige Ihnen, welcher.“ Mitten im Menschengewimmel stehen wir ergriffen vor der mächtigen Sphinx, hinter der sich Cheops-, Chephren- und Mykerinos-Pyramide in den blassblauen Mittagshimmel erheben. Es dauert eine Minute, bis die Gruppe von orientalisch gekleideten Männern umstellt ist. Die sind gekommen, um die Besucher mit Tüchern, Mützen, Postkarten und anderer „Originalware“ zu versorgen. Rehan stellt den „ richtigen“ Buchverkäufer vor und erlaubt ihren Schützlingen, „allein herumzulaufen“. Die meisten wollen lieber zusammenbleiben, denn einige der Araber sehen doch sehr finster aus. Für ein Erinnerungsfoto bei den Pyramiden eignen sie sich allerdings recht gut. Ein Schnappschuss mit Eingeborenen ist nicht gratis zu haben. Rehan hilft gern beim Aushandeln des Preises.

Die Geschäfte laufen blendend, die Beduinen strahlen und sind bester Stimmung – manche können sogar Deutsch: „Wollen Sie mein Kamel besteigen? Es ist ganz friedlich.“ Das Ehepaar, geschmückt mit Beduinentuch, vor Pyramide auf Kamel, da wird der Nachbar staunen. Ein freundlicher Handschlag besiegelt das Geschäft: You’re welcome!

Das war bei Mark Twain noch anders. „Ein heulender Bettlerschwarm folgte uns ... und drängte die Gruppe beinahe vom Wege ab.“ Der Korrespondent fand eine Lösung, die sich mit dem uramerikanischen Prinzip vereinbaren ließ, „keinen Cent Bakschisch“ zu geben. Twain und seine Kollegen „kauften einen Scheich“, der die Bettler gegen ein Paar Dollar mit Prügeln vertrieb: „Die Überzeugungskraft dieses ungebildeten Wilden war bemerkenswert“, schrieb Twain, „binnen zwei Minuten waren wir allein.“

Die Einheimischen sich selbst sortieren lassen, dieses Prinzip hat sich bewährt. Heute übernimmt Ägyptens Obrigkeit diese Aufgabe: Die Touristen zahlen Eintrittsgeld und bleiben im Schatten der Monumente unter sich.

Twains Begleiter waren begeistert, in den Gesimsen der Pyramiden Unmengen von Souvenirs zu finden: Mit Hammer und Meißel hebelten sie ihre „Reliquie“ heraus. So etwas wird heute hart bestraft. Aber man kann sie immer noch bekommen, die „echten“ Pyramidensteine – allerdings nur gegen Bares. Und hinterher darf sich nicht ärgern, wer auf den Steinen den Hinweis „Made in China“ entdeckt. So wird die altägyptische Substanz geschützt, und die Pyramiden werden auch morgen noch in den Himmel ragen.

Das wäre durchaus nicht sicher, hätten es alle Besucher wie Twain gemacht. Er und die Seinen fanden Spaß daran, sich von „den Wilden“ auf die Cheops-Pyramide stemmen zu lassen, „über Stufen, hoch wie Esstische, ein erheiternder, zerfleischender, Knochen verdrehender Zeitvertreib“. Heutige Touristen können dankbar sein, dass der Staat diesem Treiben bald ein Ende setzte.

Eine Stunde für die Pyramiden ist knapp bemessen: Nur wenige aus Rehans Gruppe haben sich entfernt und das große Gelände östlich der Chephren in Augenschein genommen. Dabei ist der Blick von dort wahrlich eindrucksvoll. Die Massen und die Souvenirstände verschwinden in einer Bodensenke. Nur noch Palmenreihen und gelber Wüstensand sind zu sehen, die massiven Dreiecke schieben sich unverstellt in den Himmel.

Keine Muße, hier zu verweilen, der Zeitplan ist unerbittlich: Am Ausgang hat Rehan ihre erschöpften Schützlinge zusammengetrommelt, rasch geht es zum Busparkplatz. Und weiter auf der Ausflugsroute durch Kairo. Besuch in der Papyrusfabrik, danach zum Imbiss in ein „landestypisches Restaurant“ – und zurück auf die Autobahn. Am Stadtrand von Kairo der letzte Halt: Ausgabe der bestellten Schmuckstücke in der Goldfabrik. Weit draußen leuchten die Pyramiden im allerschönsten Licht. Am Überseekai in Alexandria liefert Rehan ihre Gruppe ab.

Twains Schlusswort wird manchem Kreuzfahrer aus der Seele sprechen: „Es war ein Königreich wert, wieder auf See zu sein … jede Besorgnis fallen zu lassen … zwischen bekannten Gesichtern. … Die völlige Zufriedenheit und das Gefühl, wieder zu Hause zu sein, das wir erlebten, … als wir nach dieser ermüdenden Wallfahrt an Bord der ‚Quaker City‘ gingen.“

Andreas Fischer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false