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Mauritius

© Caro

Mauritius: Alle Sinne bunt

Auf Mauritius ist Platz für viele Kulturen. Man feiert gemeinsam. Tolerant und stolz auf die kreolischen Wurzeln.

Nahe der Ile aux Bénitiers vor Mauritius mischen sich im glasklaren Wasser Schnorchler-Formationen mit Delphinen. Die Schnorchler sind eindeutig in der Überzahl. Jean-Joseph Permal schaut dem Treiben lieber vom Boot aus zu. Wie viele Inselbewohner hat er das Schwimmen erst spät im Leben gelernt, mit 35 Jahren. Das in vielen Schattierungen Türkis schimmernde, warme Meereswasser, das Zebrafische, Delphine und europäische Urlauber wie weichgespült umhüllt und entzückt, kennt der Chefredakteur der bedeutendsten Tourismus-Webseite des Landes von Kindheit an als Selbstverständlichkeit. „Aber meine Töchter schwimmen wie die Fische“, sagt er stolz.

Die Felsen im frühen Sonnenlicht, die roten und gelben Hibiskusblüten in der Ferne, der schneeweiße Strand haben eine ungemein friedliche Ausstrahlung. Aber eigentlich kommt der Frieden dieser mehr als 9000 Kilometer von Deutschland entfernt im Indischen Ozean gelegenen Insel von innen. Und es musste viel Unglück überwunden werden, um ihn zu erringen. Auf Mauritius leben Hindus und Muslime und Christen auf engstem Raum entspannt und freundlich miteinander. Auch die Touristen fügen sich harmonisch in den Frieden ein. Es gibt keinen Massentourismus, keine lärmigen Discostraßen, dafür eine außergewöhnliche Kollektion luxuriöser Wellness-Hotels. Trotzdem bleibt man auf der rund 800 Kilometer östlich von Madagaskar gelegenen, etwa elf Flugstunden entfernten Insel nicht dabei stehen, nur ein hochklassiges Ferienziel zu sein. Im Moment sind die Mauritier dabei, ihre kreolischen Wurzeln zu entdecken und mit vielen Aktivitäten, zum Beispiel der Etablierung eines „Festival Kreol“ zum Markenzeichen zu entwickeln.

Jean-Joseph ist ein typischer Kreole, seine Mutter war eine Französin mit blonden Haaren und grünen Augen, sein Vater ein Mauritier mit afrikanischen und indischen Vorfahren. „In mir steckt etwas von allen anderen drin“, sagt er mit Blick auf die vielen Ethnien der Insel. „Gegen wen also sollte ich etwas haben?“ Vielleicht steckt in diesen Worten ja ein Geheimrezept für das friedliche Miteinander in einer durch Globalisierung zusammengewachsenen Welt.

Mauritius wurde 1505 von einem Portugiesen entdeckt, war nacheinander von Holländern, Franzosen und Engländern besetzt. Seit 1968 ist es selbstständig und wegen seines guten Klimas vor allem als Ferienziel von Prominenten bekannt geworden. Das neue Gefühl des Stolzes auf die kreolische Kultur hat ein Zentrum im Südosten der Insel, wo der Fels Le Morne Brabant 556 Meter hoch auf der Landzunge thront. Den Kreolen ist er ein heiliger Ort der Erinnerung an die schattenreiche Vergangenheit der Insel. Im 18. und 19. Jahrhundert war Mauritius einer der wichtigsten Umschlagplätze für den Sklavenhandel im Indischen Ozean. Le Morne steht für den schon früh anhaltenden Widerstand gegen die Sklaverei. Bereits während der holländischen Herrschaft wehrten sich die Sklaven, indem sie ihren Herren entflohen. Ziel war der Fels von Le Morne, der sich wegen einer V-förmigen Kluft nur mit großen Mühen erklimmen ließ. Viele Sklaven suchten von hier aus die Freiheit im Tod, richteten den Blick gen Afrika und stürzten sich dann in den Abgrund. Sie litten an Hunger und der Angst vor Entdeckung. Wer wieder eingefangen wurde, musste fürchten, verstümmelt oder getötet zu werden. Dann schon lieber den Tod als freier Mensch wählen. Später fanden andere Maroons, wie die flüchtigen Sklaven genannt wurden, Unterschlupf in den Höhlen des Berges. Heute gibt es Zeugnisse, dass sie dort von Schafen und Früchten lebten. Inzwischen hat sich ein Verein gegründet, der dafür kämpft, dass dieser Fels ins Welterbe der Unesco aufgenommen wird, als Symbol des Widerstandes gegen die Sklaverei zu allen Zeiten.

Für die Kreolen ist das nicht nur ein heiliger Berg voller Legenden, sondern auch eine Festung, die für alle Menschen den Gedanken von Freiheit und Würde schützen soll, ein Ort der Kontemplation. Vom nahe gelegenen Golfplatz aus kommen die Touristen mit dem Helikopter angeflogen, umkreisen den heiligen Berg und blicken von oben auf die Zuckerrohrfelder und die Riffs, die die Wellen abhalten und das Meer in Strandnähe in eine sanft planschende Lagunenlandschaft verwandeln.

Offiziell spricht man auf Mauritius zwar Englisch, aber die Umgangssprache ist Kreolisch, ein abgewandeltes Französisch. Auch von anderen kreolisch geprägten Inseln, wie Réunion, kommen Abgesandte zum einmal jährlich stattfindenden internationalen „Festival Kreol“, einer Herzensangelegenheit von Tourismusminister Xavier-Luc Duval. Ganz entspannt im langärmeligen weißen Hemd lehnt der Minister an der Bühne, während die Kult-Band OSB bei einem All-Night- Konzert auf der Domaine Les Pailles ihren Auftritt hat. Sie haben Sega, die Musik der Sklaven, die früher zum Austausch geheimer Botschaften genutzt wurde, weiterentwickelt zu einem Sound namens Sega Cassiya, mit dem sie auch bei europäischen Festivals auftreten. Vor mehr als 50 000 Mauritiern singt Leadsänger Ras Ninine rhythmisch stapfend etwas von „Deep, deep, cool Creole“. Der Jubel ist ohrenbetäubend. „Es gibt eine neue nationale Einheit“, sagt der Minister in einer kurzen Pause. „Bislang stand diese Kultur im Hintergrund, aber zu Unrecht. Die kreolische Kultur steht für Offenheit, weil wir etwas von allem in uns haben.“

Bis in die stille Welt vom Hotel Shanti Ananda dringt von den jubelnden Wellen des neuen Nationalstolzes nichts vor. Obwohl auch dieses puristisch elegante Resort für eine Weiterentwicklung der ohnehin schon zukunftsweisenden Hotelkultur der Insel steht. Shanti Ananda heißt „Frieden und Glückseligkeit“, beides sollen die Gäste hier finden, den Frieden von innen und außen. Direkt vor den geräumigen Suiten mit Bädern groß wie Wohnzimmern wartet der Strand. Auch General Manager Alan Stocker trägt nur ein langärmeliges weißes Hemd zum Gästecocktail. Er sieht ein bisschen so aus wie einer dieser jungen Internet-Millionäre, die zweifellos zu seiner Klientel gehören. Formelle Kleidung ist kein Muss mehr in dieser Variante des großen Luxushotels. Manche Gäste sind in den weißen Baumwollanzügen gekommen, die jedem Gast während des Aufenthalts zur Verfügung gestellt werden. „Kurat Pyjama“ heißen sie und sollen, wie Stocker sagt, die Gäste von der Notwendigkeit befreien, darüber nachdenken zu müssen, was man anziehen soll. Wer hier ist, kann sich ganz aufs Wesentliche konzentrieren. „Oft haben wir Gäste, die gekommen sind, um Entscheidungen zu treffen“, sagt Alan Stocker.

An der Bar steht Pramod Mane, der ayurvedische Arzt des Hauses. „Der sorgt dafür, dass sich der Champagnerkonsum heute Abend in Grenzen hält“, witzelt Stocker. Tatsächlich versucht der Arzt, die Gäste ganzheitlich zu erfassen in seiner Sprechstunde und zu einer maßvollen Lebensweise zu motivieren. „Was mögen Sie lieber: Reisen oder Musik hören?“, lautet eine seiner Fragen. Mane rät dazu, künftig um 22 Uhr ins Bett zu gehen, mehr Routine in einen möglichst geregelten Tagesablauf zu bringen, Alkohol und Scharfes zu meiden und niemals beim Fernsehen oder Lesen zu essen .

Scharfes zu meiden fällt allerdings schwer angesichts der vielen Verlockungen der kreolischen Küche mit ihren heißen und fruchtignussigen Currys und Chutneys. Besser, man vermittelt dem Körper Wellness im Jacuzzi oder in den verschieden gewärmten Pools. Am allerbesten ist eine vierhändige Massage, die etwas feierlich beginnt mit einem Hindu-Gebet und kongenial von zwei sanften Inderinnen inszeniert wird.

Das Drumherum stammt allerdings gar nicht von den Inderinnen, sondern von dem Briten Colin Hall, der angetreten ist, das Shanti Ananda zur führenden Wellnessoase der Insel auszubauen. Dazu gehört auch das sorgfältige Wasser-Management. Die nette Hydro-Assistentin Jaymala etwa lässt es nicht zu, dass man sich einfach so an den Pool legt. Rasch bringt sie eine Flasche Wasser herbei. Doctor’s Orders! Überzeugender noch ist frühmorgens der Ingwer-Zitronen-Tee. Eleganter kann man die Spuren des südafrikanischen Weins nicht tilgen, der das köstliche Feuer der kreolischen Speisen löschen sollte.

Die kreolische Kultur ist überaus sinnlich. Das beschränkt sich nicht aufs Essen und auf Wellness. Man kann es am Grand Bassin erleben, dem heiligen See der Hindus mit den farbenfrohen Zeremonien. Aber auch in der alten Kathedrale in Port Louis zeigen die Figuren von Jeanne d’Arc oder Saint Louis eine bunte Lebensfülle. Zwischen der Kathedrale und dem großen Markt gibt es viele kleine Läden, in denen Hindus, Muslime und Christen Tür an Tür ihre Waren verkaufen, geschmackvoll gemusterte Pashminas, Seidenblusen, Cashmere-Pullover für vergleichsweise wenig Geld. In der Moschee ruft der Muezzin zum Freitagsgebet. Die Völkermischung scheint alles zu entspannen.

Das merkt man auch der sympathischen Miss Mauritius an, die schon mal mit Inselbesuchern auf einem großen Katamaran übers offene Meer zur Ile Plate segelt. Es gibt dort einen Leuchtturm und ein Naturschutzprogramm des Tourismusministeriums. Die 19-jährige Olivia ist völlig unkompliziert, auch nicht so spindeldürr wie andere Models. Ihre Familiengeschichte ist französisch-indisch geprägt, aber auch sie sagt stolz: „Wir alle sind Kreolen.“ Abends plaudert sie mit goldenen Creolen an den Ohren und einem frischen Lächeln beim Jazz-Konzert auf der Zitadelle mit den Gästen der Insel. Allüren pflegt man anderswo.

Die Legenden der Kreolen werden beim Storytelling weitergegeben. Was eigentlich ist der Unterschied zwischen Französisch und Kreolisch? „Kreolisch ist anschaulicher“, sagt Jean-Joseph Permal. „Auf Französisch sagt man ‚Ich gehe in die Stadt‘. Auf Kreolisch heißt das: ‚Ich gehe an einen Ort, an dem viele Dinge passieren‘.“ Auf seiner Webseite www. mauritiusupdate.com liest man nicht nur über die lichten Seiten der Insel, sondern auch mal über Probleme, über Orte, die anfällig sind für Unfälle oder Kriminalität zum Beispiel. Davon sind Touristen allerdings nur in Ausnahmefällen betroffen. „Unter den Indern gibt es aber immer wieder Delikte aus Leidenschaft.“

Typisch für die Insel ist jedoch auch, dass ihre Bewohner die unterschiedlichen religiösen Feste gemeinsam feiern, nicht nur das muslimische Fastenbrechen und das christliche Weihnachten. Im Februar wird fünf Tage lang zu Ehren des Gottes Shiva Maha Shivaratree gefeiert. Das chinesische Neujahrsfest wird auch als Frühlingsfest gefeiert, dem chinesischen Mondfest, und dem Gedenken an den katholischen Heiligen Père Laval im September folgt im Oktober Divali, das hinduistische Lichterfest. Und immer wieder sagen die Inselbewohner mit diesem netten Lächeln: „Wir haben alles in uns.“ Also können sie an allem partizipieren.

Auf der Ile aux Bénitiers werfen die Köche am Strand den Grill an, um an diesem sonnenreichen Mittag Langusten und Thunfischsteaks zuzubereiten. Später kommen die Händler vorbei.Jean-Joseph Permal lässt sich endlich doch noch ins Wasser gleiten und schwimmt – fast wie ein Delphin. Mit mildem Lächeln sieht er anschließend dem langwierigen Auswahlprozess zu, bis man sich nach ausgiebiger Prüfung von zwanzig T-Shirts für das hellblaue entscheidet, das einem gleich am Anfang gefallen hat. „Jede Frau auf der Welt hätte es genauso gemacht“, sagt er. „Jeder Mann hätte sofort das hellblaue genommen.“ Eine sehr kreolische Art, die Dinge zu sehen. Mit ihren Toleranz-Genen könnten die Inselbewohner lässig zu Rollenmodellen werden .

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