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Strandverkäuferinnen. Badetouristen müssen tagsüber nicht zum Essen ins Hotel. Häufig werden in einfachen Holzbuden kleine Naschereien angeboten.

© Marc Vorsatz

Gambia: Abenteuer in der Erdnussrepublik

Gambia, Ministaat in Westafrika, hat Probleme im Feriengeschäft. Nun soll’s der Ökotourismus richten.

Wenn Fatou Kujabi am Strand von Banjul Cashewnüsse verkauft, dann schwebt sie quasi über den Sand. So elegant bewegt sich die 20-Jährige. Dass ihr Lächeln insbesondere bei kaufkräftigen Europäern gut ankommt, nützte der dreifachen Mutter in den vergangenen Jahren allerdings herzlich wenig. Es kamen kaum noch Touristen nach Gambia. Was Fatou am Ende eines langen Tages blieb, war zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Ein Euro reicht nicht mal in dem westafrikanischen Land, einem der ärmsten der Welt. Seit ein paar Monaten nun gehen Fatous Geschäfte merklich besser. Denn Europa ist dabei, diesen touristischen Rohdiamanten mit seinem faszinierenden Stammesmix aus Mandinka, Fulbe, Wolof, Diola und anderen Ethnien wiederzuentdecken. Das Touristengeschäft zieht langsam wieder an. Mal wieder ...

Mit seiner kafkaesken Kommandopolitik hatte es Staatschef Yahya Jammeh in seiner Amtszeit zweimal fertiggebracht, den internationalen Fremdenverkehr in Gambia vollständig zu liquidieren: Der in den USA und der Türkei ausgebildete Offizier hatte sich 1994 an die Macht geputscht, seine Militärjunta wandte sich strikt gen Mekka und führte die Scharia ein. Als Folge rief die Ex-Kolonialmacht Großbritannien eine Reisewarnung aus, der Gambia-Tourismus aus Europa brach zusammen. Der nach Erdnuss- und Cashewanbau zweitgrößte Wirtschaftssektor war praktisch nicht mehr existent.

Also bemühten sich die Machthaber um eine menschenrechtliche Schönwetterlage, versprachen demokratische Wahlen und die Pauschalurlauber – wie sollte es auch anders sein – buchten die verwaisten Betten wieder. Als die Münchner FTI dann 1997 die erste All-inclusive-Anlage Gambias, das Sunwing Hotel etablierte, holte Jammeh zum nächsten Paukenschlag aus. Sich scheinbar dem Druck der Straße beugend, verbot der Regent, der ständig ein Schwert mitführt, den Alles- schon-bezahlt-Urlaub kurzerhand. Das war neu für die Welt.

Dumm nur, dass der Zwergstaat zwar dringend auf den europäischen Tourismus, nicht jedoch der europäische Tourismus auf Gambia angewiesen war. Nach einigem Hickhack räumten die internationalen Veranstalter geschlossen die Erdnussrepublik. Für zehntausende Familien – von der Küste bis ins bäuerliche Hinterland – eine existenzielle Katastrophe.

Angesichts der prekären Situation entschieden sich die Regierenden schließlich für ein trendiges Nischensegment, den Ökotourismus. Asset, die „Association of Small Scale Enterprises in Tourism“, wurde eilig gegründet und sollte nachhaltige Projekte flankieren. An und für sich gut. Theoretisch jedenfalls.

Strotzt doch das kleinste Land des afrikanischen Festlandes, das gerade halb so groß ist wie Mecklenburg-Vorpommern, nur so vor kultureller und natürlicher Vielfalt. Insbesondere rund um seine Lebensader, den Gambiafluss. Er ist das Zuhause von Krokodilen und Nilpferden, ja sogar Delfinen. An seinen Ufern zählen Vogelkundler rekordverdächtige 560 Spezies. Kaum kann man das fruchtbare Hinterland besser erkunden als in einem Safariboot. Nur schade, dass es keine gibt. Im Angebot sind allein abenteuerliche Holzkähne ohne sanitäre Einrichtungen, also eher etwas für leidensfähige Hobbyornithologen. Die wenigen Toiletten an Land möchte man auch nicht unbedingt benutzen. Nicht einmal in dringendsten Fällen. Und dies kann im afrikanischen Busch schneller gehen, als einem das lieb sein dürfte ...

Anders ernüchternd sieht heute das Unesco-Weltkulturerbe rund um den sogenannten Roots Heritage Trail aus. Es ist fast symptomatisch, dass erst ein Ausländer das einst mächtige britische Sklavenfort auf James Island weltbekannt machte. Der amerikanische Pulitzer-Preisträger Alex Haley veröffentlichte 1976 seine ganz persönliche Familiensaga „Roots“. Im nahen Dorf Jufureh nahm der Leidensweg seines direkten Vorfahren Kunta Kinte seinen Lauf. Engagierte Afroamerikaner pilgerten daraufhin zu ihren Wurzeln. Dann kam der Putsch, Washington stellte die Entwicklungshilfe ein. Und die US-Touristen blieben aus. Der Natur überlassen, verfielen die symbolträchtigen Orte zusehends. Bis im Jahre 2003 die Unesco zu retten versuchte, was längst nicht mehr zu retten war. Das schlammige Wasser hatte bereits sechs Siebtel der Sklaveninsel unwiederbringlich fortgetragen. Genau wie einst die in Ketten gelegten Männer, Frauen und Kinder.

Aber es geht auch anders. Wie so oft sind es charismatische Lichtgestalten, die berechtigten Grund zur Hoffnung geben. Ida Cham-Njai, die pragmatische Frontfrau der Asset, ist so eine Hoffnungsträgerin und eine Botschafterin echter gambischer Kultur. Ihre Idee war so einfach wie genial: Homecooking. Erst schlüpfen ihre Urlauber in traditionelle Kaftans, dann geht es zum Einkaufen auf einen authentischen Markt in Brufut (nahe Banjul). Spätestens hier erhalten sensible Menschen die Chance, ein wenig von der wahren afrikanischen Seele zu erahnen, von diesem Kontinent der Sehnsucht und der Apokalypse.

Anschließend wird in Idas Haus im Team gekocht. Klasse, am Abend haben alle ein wohliges Gefühl im Bauch und dieses gewisse Leuchten in den Augen. Ida, die ihre Gäste gekonnt für ein paar Stunden in ihr ganz persönliches Afrika zu entführen vermag, bittet zu guter Letzt jeden Einzelnen um einen ganz persönlichen Rat: „Sagt uns, was wir besser machen können. Denn ihr müsst wiederkommen. Wir brauchen euch hier.“

Auch der Makasutu Cultural Forest könnte ein Wegweiser für nachhaltigen Tourismus in ganz Westafrika werden. Seit 1992 hat der Brite Lawrence Williams 15 000 Bäume in den Mangrovensumpf südlich der Hauptstadt Banjul gepflanzt. Inmitten des undurchdringlichen Dschungels thronen Holzvillen an den Seitenarmen des Gambia Rivers. In puncto Geschmack und Komfort lassen die kaum Wünsche offen. Und die Sonne liefert den Strom. Ökologisch korrekt.

Doch da die wenigen funktionierenden Beispiele für alternativen und nachhaltigen Tourismus bei Weitem nicht die erhofften Devisen ins Land schwemmen, plant die Gambia Tourist Association in ihrem neuesten Masterplan die Aufstockung der Bettenkapazität um 3000 auf insgesamt 10 000 – in konventionellen Beherbergungsbetrieben am Strand.

Sandigie Njie, der PR-Manager vom Sunbeach Hotel, dem früheren FTI-Haus, hat seine Schuldigen längst ausgemacht. Touristikkonzerne zahlten den Hotels gerade mal fünf Euro pro Doppelzimmer und Nacht. Gebildete Ökotouristen wären ihm eigentlich aus finanziellen und Imagegründen am liebsten. „Aber was sollen wir denn tun“, fügt er achselzuckend hinzu, „eine hungrige Hand nimmt alles, was sich ihr bietet.“ Ein paar Kronen, Pfund und Euro bringen auch individuell reisende ältere Frauen unters männliche Volk. Empfänger sind durchtrainierte Liebesdiener zwischen zwanzig und dreißig, die es im offiziellen Gambia allerdings nicht gibt, nicht geben darf.

Unter dem Strich bleibt: Alle sind irgendwie willkommen in der Erdnussrepublik, wenn sie etwas Geld dalassen. Na ja, fast alle. Schwule und Lesben sollten das Land verlassen, schnaubt Jammeh, der starke Mann mit dem Schwert. Ansonsten würde er sie eigenhändig einen Kopf kürzer machen.

Marc Vorsatz

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