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Santo Antao, eine der Kapverdischen Inseln. Wer im breiten Ribeirao-Tal wandert, lernt das Leben der Einheimischen aus nächster Nähe kennen.

© laif

Kapverden: Melancholie in Grün

Fünfzehn Inseln bilden die Kapverden. Und jede hat ihren Reiz: zum Baden, Wandern, Schlemmen – und Singen.

Der Wind fährt in das Segel, das sie aus alten vietnamesischen Reissäcken zusammengenäht haben, bläht es zu einem übergroßen Bauch und schiebt das Boot hinaus auf den tiefblauen Atlantik rund um die Kapverdischen Inseln. Kapitän Alfonsin steckt das Ruder ins Heck und zurrt den Mast mit einem alten Tau fest. Es gibt kein blinkendes Messing an Bord, kein elektronisches Instrument, und wenn er nach einer Wende die Basaltbrocken, die als Ballast dienen, zur anderen Seite wuchtet, heißt es gut auf die Zehen aufpassen. Das Boot ist ganz aus Holz. Es wäre eine Zierde für jedes Museum, und doch fährt sein Besitzer damit Tag für Tag hinaus, um vor Santa Luzia den Fisch aus dem Meer zu holen. Heute allerdings hat er Touristen an Bord, und das ist etwas Neues. Die Fischer von Salamansa auf der Insel Sao Vicente haben sich einem Projekt des WWF angeschlossen: Es soll Besuchern, jedoch auch vor allem kapverdischen Schülern die Schönheiten ihrer Heimat nahebringen. Vor dem kleinen Segeltörn schnorcheln die Gäste also eine halbe Stunde entlang einer Leine durch das flache Küstengewässer. In regelmäßigem Abstand liegt in vier, fünf Metern Tiefe eine Metallplakette verankert: Sie zeigt Algen, Schildkröten, tote und lebende Korallen und weist knapp auf ihre Bedeutung hin: „Schwämme filtern das Wasser.“ Dazwischen flitzen kleine Fische, ragen tote und lebende Korallen hoch, wiegen sich Algen wie auf der Abbildung – ein lebendiger Aufklärungsparcour. Vor und hinter der Gruppe schwimmt je einer der Männer mit den Ledergesichtern und behält den Überblick. Und nach dem Segeltrip servieren sie den Besuchern frischen Thunfisch vom Grill. Es gibt Neues auf den Kapverden, den 15 Inseln 500 Kilometer westlich vor der Küste Senegals. Und es sind wahrlich nicht nur die All-Inclusive-Burgen der Riu-Hotelkette auf Sal und Boavista. Es ist auch nicht allein das Retortendorf „Vila Verde“ auf Sal mit seinen 1260 Apartments, von denen mehr als die Hälfte schon zu Preisen zwischen umgerechnet 180 000 und 200 000 Euro verkauft sind – zwei Prozent übrigens an Bürger der Kapverden. Neu ist etwa ein Naturschutzprojekt auf Sal, bei dem Freiwillige aus aller Welt die Nester von Meeresschildkröten einzäunen und bewachen und Touristen dabei sein können, wenn frisch geschlüpfte Panzerträger wie aufgezogen ins nahe Meer wuseln. Auf Santo Antao verkauft man neuerdings heimische Marmelade aus Guave oder Papaya und aromatische Bergkräuter für Küche und Gesundheit. Auch neue Musik ist zu hören: Zwischen die alten Mornas und Caldeiras, die Cesaria Evora weltweit berühmt gemacht hat, mischen sich etwa die Klänge des jungen Hernani, der melodiöse Gitarrenmelodien auf die alten afrikanischen Rhythmen setzt. Schon mehr als ein Jahrzehnt versucht die Regierung, den Tourismus als Wirtschaftsmotor anzuwerfen. Große Pläne, etwa die Kanarischen Inseln als Winterziel für kälteempfindliche Mitteleuropäer abzulösen, sind bisher gescheitert. Auch die Ambitionen mancher Reiseveranstalter sind bisher im Ansatz stecken geblieben. Doch immerhin: Die Zahl der Übernachtungen ist kräftig gestiegen, von 290 000 im Jahr 2006 auf mehr als zwei Millionen im vergangenen Jahr. Wobei vom Geld der Touristen auf den Inseln relativ wenig hängen blieb. Gleichwohl haben die Anstrengungen nicht nachgelassen. Viele Straßen wurden inzwischen asphaltiert, Sao Vicente hat einen neuen internationalen Flughafen, drei Universitäten bieten touristische Ausbildung an. Und: Jeder gastronomische Betrieb hat neuerdings ein Beschwerdebuch zu führen. Etwa 80 Prozent aller Besucher zieht es an die Sandstrände von Sal und Boavista. Solange sich der Tourismus größeren Stils auf die „Sandinseln“ konzentriert, bleiben die anderen halbwegs intakt. Fogo mit seinem schwarzen Vulkan. Die Sierra Malagueta auf Santiago, eine zerklüftete Berglandschaft mit spektakulären Felsabbrüchen, die nach der ergiebigen Regenzeit von einem grünen Pelz überzogen ist. Und nicht zuletzt das Schmuckstück der Kapverden – zumindest aus Sicht von Wanderern: die Insel Santo Antao. Dort öffnen sich Täler, Schluchten, Klüfte. Flüsse haben Canyons geschnitten wie mit dem Seziermesser, Drachenzähne ragen in den Bergen auf, und hinter blauen Zacken und Zinnen leuchtet es, als schmiedeten geheimnisvolle Bergvölker glühendes Eisen: grandioses Felsentheater in wolkenverhangenen Kesseln. Der Weg zum Pico da Cruz steigt zwischen Bananenhainen, Zuckerrohrfeldern und strohgedeckten Steinhäusern steil an. Rufe schallen von Feld zu Feld, die Fischverkäuferin mit dem Korb auf dem Kopf ist schon unterwegs und hält eine Makrele in der Hand wie eine Flagge. „White“, der 32-jährige Führer, der seinen Spitznamen trägt, weil er weniger schwarz ist als seine Kumpel, mahnt zur Bedächtigkeit: Nur langsam und stetig sind die fünf Stunden Zeit und der 1500-Meter-Anstieg zu bewältigen, hinauf zu der Baumgruppe, die so trügerisch nah erscheint. Stein für Stein wurde der Weg einst im Auftrag der portugiesischen Kolonialherren gepflastert. Ein alter Mann jätet seine Tabakpflanzen. Ob man vielleicht die Wasserflaschen …? „Kein Problem“, sagt Anton Fonseca und zeigt den Wanderern seinen Tank. Zerschlissene Maisstrohbetten liegen zum Trocknen aus. Vitoria, seine Frau, wischt sich die Hände an der Schürze ab. Seit 1985 leben die beiden hier und haben fünf Kinder großgezogen. Alle wohnen sie jetzt auf Santiago: Polizist ist der Erste, Moment, wir haben doch ein Fotoalbum ... Sicher ist das ein wunderschöner Flecken Erde, mit diesem Blick ins Grün rundum, und ganz weit vorne, ganz weit unten liegt das blaue, blaue Meer. Doch das Leben in der Idylle ist hart. Der Grundbesitzer, dem fast alles Land hier gehört, will regelmäßig seine Pacht. Eben haben wieder mal die Tausendfüßler die Maissaat aufgefressen. Und ein Ende der Plackerei ist nicht in Sicht: „Vitoria ist 70, ich bin 74 – aber wir müssen weitermachen, was sollen wir sonst tun?“ Der ganze Hang ist jetzt ein riesiges Treibhaus ohne Glas. Zucchini wachsen auf Beeten in 45-Grad-Schräge, Süßkartoffeln ranken wie Efeu über die Mauern, und wo sich kein Guavenstrauch, keine Feige, keine fedrige Akazie festgesetzt hat, leuchten die orange-gelben Blütenknöpfe der Wandelröschen wie kleine Juwelen. „White“ hat inzwischen seine Sportschuhe gegen Flipflops getauscht und macht immer mal wieder Halt, um seinen Wintervorrat an Zitronenthymian einzusammeln: gut gegen Erkältung, das Kraut! Der Mann aus Ribeira Grande, der den Berg lieben lernte, als er seinem Vater das Frühstück auf die Felder bringen musste, und der schon als Jugendlicher Touristen herumgeführt hat, gibt das perfekte Klischee eines Kapverders ab. Er ist das jüngste von zwölf Geschwistern, die längst in alle Welt verstreut sind. Und er hat drei Kinder von drei Frauen.

Nach anstrengenden vier Stunden steht beim letzten Haus eine Pause an. Die beiden Jungs Amils und Cledir, 14, 15 vielleicht, sind allein daheim. Cledirs ist soeben mit der Zubereitung von Ziegenkäse beschäftigt. Bedächtig gießt er die Molke ab und schaufelt die Käsemasse auf einem Holzbrett in einen Metallring. Wieder und wieder knetet und drückt er den weißen Brei fester und immer dichter. Hühner laufen den Besuchern zwischen den Beinen herum, an der Mauer trocknet ein Ziegenmagen, der Lab für die Käseherstellung liefert. Der halbblinde Amils wippt mit den Füßen zu „Staying alive“ aus dem Kofferradio, wippt in seinen hundertfach geflickten, viel zu großen und schon wieder zerrissenen Schuhen.

Abends, am Hafen von Punta do Sol, hat der Wirt einen Tisch unter freiem Himmel aufgestellt. Zu gegrilltem Seehecht gibt es Platten mit Jams, Maniok und Mangold sowie all dem anderen schmackhaften Grünzeug, das oben auf den Hängen wächst. 50 Meter weiter donnert der Atlantik gegen den Fels, Jungs aus dem Dorf spielen wieder einmal „Saudade“, das Lied der Melancholie, die heimliche Hymne der Inseln.

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