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Südafrika: Schöner träumen in der Kalahari

Die Tswalu-Lodge ist purer Luxus in Südafrika. Ausschlafen aber verbietet sich. Wildtiere warten.

Silbergrau und flaschengrün leuchtet das Savannengras der Kalahari, ein schwaches Lüftchen streicht über die hüfthohen Halme. Ein Blinzeln später taucht die Sonne alles in zähflüssigen Bernstein, und Jo de Wilde, der bärtige Ranger, lässt mit einer Zange Eiswürfel ins Gin-Tonic-Glas gleiten. Klick-klack-klack.

Das ist der Moment, in dem man die Anreise nach Tswalu vergessen haben sollte. War da was? Ja: Ein eigentlich schmaler Fluss war aus seinem Bett gesprungen, und mit einem schuhschachtelgroßen Wagen, so diktierte es der Menschenverstand, sollte man keinen reißenden Fluss durchqueren, sondern besser einen Umweg fahren.

Zitat aus der original Orientierungs- SMS von Ranger Jo, die trotz löchrigen Netzes ihren Weg fand: „Hi Ester. At Kuruman look for the R31 to Hotazell. You will only see the turn off to Hotazell, not the town. +-10 km passed the Hotazell turn off you will turn left, you will see a sign for Tswalu and Van Zylsrus. Drive for +- 30 km, the road will become dirt. Turn left at 6 km, you will see me at the gate.“

Zum Verständnis:

1) Eine „Dirtroad“ ist eine unbefestigte Straße mit Schlaglöchern, die ein Schuhschachtelauto verschlucken könnten.

2) Für die Anreise nach Tswalu empfiehlt es sich daher, nicht zu knausern und den Air-Shuttle von Johannesburg zum Reservat zu nutzen.

3) Ist man so starrsinnig, mit dem Auto zu fahren: ein, zwei Reservekanister mit Benzin, reichlich Wasser, gute Musik und Sonnenschutz einpacken, denn ...

4) ... den Ort Hotazell spricht man tatsächlich „Hot as hell“ aus.

Zurück zum Savannengras, dem Farbspiel der untergehenden Sonne und dem Gin Tonic. Wir befinden uns im Dreiländereck Südafrika-Namibia-Botsuana, im Reservat eines der reichsten Südafrikaner. Nicky Oppenheimer, Chef des Diamantenkonzerns De Beers, hat die mehr als 100 000 Hektar 1998 gekauft und von Zäunen, Straßen und maroden Gebäuden befreit. Er lässt das Land nun langsam in seinen ursprünglichen Zustand zurückwachsen. Hier leben Löwen, Giraffen Spitzmaulnashörner, 230 verschiedene Vogelarten – und nur maximal 30 Touristen gleichzeitig. Tswalu ist ein Extrem in einem Land, wo der Unterschied zwischen Arm und Reich kaum größer sein könnte. Die Oppenheimers haben eine kleine Klinik, eine Grundschule und Gemüsegärten für ihre Angestellten gebaut.

Vor dem Haupthaus warten zwei Männer mit duftenden Handtüchern, als wir von der abendlichen Pirschfahrt zurückkommen. Typisch: Noch bevor sich ein Wunsch im sonnengegarten Gehirn des dauerüberwältigten Gastes materialisiert, wird er in Tswalu („Neuer Anfang“) bereits erfüllt. Dazu trägt auch Theresa Fehrsen bei, die 28-jährige Köchin, die abends nur bei geschlossenen Fenstern arbeiten kann, weil ihr sonst die dicken Kalahari-Käfer, angelockt vom künstlichen Licht, in die Töpfe fliegen. Sie bringt erstaunliche Varianten von Kudu und Spingbok auf den Tisch – manchmal sogar mit den seltenen Kalahari-Trüffeln, die ihre Helfer an Glückstagen „im Feld“ finden. Nur einmal pro Woche werden Lebensmittel an diesen Ort geliefert: Theresa muss gut planen und zur Not improvisieren.

Drei Nächte in der Kalahari sind eine Sache, vier Jahre Kalahari eine andere: „Früher glaubte ich, ich sei ein Großstadtmädchen“, sagt Theresa Fehrsen. „Heute weiß ich: Ich habe mir was vorgemacht. Eigentlich will ich Ruhe und Frieden um mich herum. Die Gedanken sind hier klarer, und ich träume schöner.“

Wenn es in Tswalu überhaupt ein Problem gibt, dann dieses: Wie um alles in der Welt schafft man es, möglichst wenig zu schlafen? Denn in der Kalahari hat jede Tages- und Nachtzeit ihren Reiz. Ist es dunkel, lädt das Sofa auf der Veranda zum Studium des bombastischen Sternenhimmels ein. In den ersten Morgenstunden kann man in balsamartiger Luft Erdmännchenfamilien beim Aufwachen beobachten – und dann klopft Jo de Wilde an die Tür. Eine frühe Pirschfahrt steht an.

Es gibt Ranger, die spulen einen mittellustigen Scherz nach dem anderen ab. Und es gibt Jo. Er weiß eine spannende Geschichte zu jedem noch so kleinen Insekt, zu jedem Strauch, ja, sogar zu jedem fein behaarten Blättchen. Er weiß auch, wann es besser ist, nichts zu sagen. An diesem Morgen will er uns gemeinsam mit seinem Kollegen, einem Spurenleser, die Nashörner zeigen. Nach etwa einer halben Stunde Fahrt im offenen Geländewagen bremst Jo, holt sein Gewehr aus der Schutzhülle und bedeutet uns, ganz still zu sein. Für eine Weile lauschen wir gespannt, dann bebt die Erde: ein Spitzmaulnashorn! 1500 Kilo traben vorbei.

Dann sagt Jo endlich etwas: „Wie wär’s, wenn wir jetzt alle aussteigen und mal zu dem Wasserloch da vorne schlendern?“ Er erklärt, dass wir immer hinter ihm bleiben und im Notfall auf sein Kommando in die Kronen der Akazien klettern sollen. Als er unsere skpetischen Gesichter sieht, ergänzt er: „Doch, das könnt ihr!“ Der Mann scherzt nicht! So schleichen wir durch das Kalahari-Gras, immer dem Wind entgegen, damit Familie Spitzmaul kein Menschenblut wittert. Jetzt erst fällt uns Jos Gurt auf – mit Patronen groß wie Männerdaumen. Die Akazien wirken vom Boden aus viel größer als vom Geländewagen – und haben spitze Stacheln. Das also muss Stefan Raab mit „Ich hatte Gänsehaut im Gesicht“ gemeint haben! Weitere Spitzmaulnashörner sehen wir zwar nicht, aber es war die Aufregung wert. Halb erleichtert, halb enttäuscht klettern wir in unser Gefährt zurück. Wenig später beobachten wir noch zwei Löwenschwestern. Etwa einen Meter von uns entfernt dösen sie in der Sonne. Wir verfluchen unsere surrenden, piepsenden Kameras. Am besten, wir gucken bloß. Diese Bilder brennen sich auch so in die Diashow unserer Erinnerung.

An diesem Abend fährt Jo uns nicht zur Lodge zurück, sondern auf eine kleine Anhöhe, von wo aus man das weite Land überblicken kann. Hier begrüßt uns eine strahlende Theresa. Sie trägt eine Stirnlampe, die Grillkohle glüht schon – wir werden unter freiem Himmel essen. Doch zuerst gibt es Stockbrot mit gesalzener Butter zum kühlen Rosé. Theresa hat recht: In der Kalahari träumt man schöner.

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