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Begegnung auf dem Irrawaddy. So, wie die Mönche in ihrem Kahn über das weiße Schiff staunen, haben die Kreuzfahrtgäste immer wundersame Aussichten.

© laif

Birma: Am Strom der Sehnsucht

Birmas Norden wird wenig bereist. Doch mit einem Kreuzfahrtschiff kommt man auf dem Irrawaddy bis an die Grenze zu China.

„Mingalaba!“ – „Willkommen!“, jubeln die Kinder, vor Freude hüpfend. „Mingalaba“, grüßen auch die Erwachsenen mit lachenden Gesichtern, allerdings etwas zurückhaltender. Die Passagiere der „Road to Mandalay“ werden im sogenannten Töpferdorf Nwe Nyein schon erwartet. Während das schöne weiße Schiff in der Flussmitte ankert, werden die 56 Passagiere von zwei Tenderbooten zum Ufer gebracht. Hier genau so wie an anderen Stellen auf der langen Reise auf dem Irrawaddy von Mandalay bis Bhamo nahe der Grenze zu China. Der Fluss ist eine der wichtigsten Verkehrsadern des Landes, wo es nur wenige, obendrein meist schlechte Straßen gibt.

„Achtung, das Geländer!“, warnt Mimi, eine der vier putzigen birmanischen Reiseleiterinnen an Bord, als das forsche Paar aus Potsdam mutig über die zwei nebeneinandergelegten Bretter ans Ufer balancieren will. Schnell wird eine lange Bambusstange herbeigezaubert, die von zwei kräftigen Männern gehalten wird. Schon ist die Gangway komplett. Hier spricht niemand mehr Englisch. Touristen sind selten, denn geballte kulturelle Sehenswürdigkeiten wie in Mandalay und Bagan gibt es hier ebenso wenig wie Straßen.

Über ausgefahrene Lehmwege stolpern die Passagiere dem Dorf entgegen. Die Töpfer arbeiten in den aus Palmblättern kunstvoll geflochtenen Hütten. schweißüberströmt drehen sie mit den Füßen ihre Töpferscheiben, formen riesige Gefäße, die sie bei knapp 40 Grad einfach vor der Hütte in der Sonne trocknen lassen. Einige der Gebrauchstöpfe werden gerade auf Ochsenkarren verladen und zum Ufer gebracht, von wo aus sie zum Verkauf nach Mandalay oder Yangon verschifft werden. „Einen Euro verdient jeder Töpfer am Tag.“ Schiffsarzt Hla Tun übersetzt. Er begleitet übrigens alle Ausflüge und improvisiert in den abgelegenen Dörfern im Norden eine „fliegende“ Praxis. Kostenlos, versteht sich.

So ein Besuch stimmt nachdenklich. Gleichwohl genießen die Passagiere den Komfort ihres Schiffes, wie ein Bad im Pool auf dem Oberdeck. Die „Road to Mandalay“, einst als „Nederland“ auf dem Rhein für die Köln-Düsseldorfer unterwegs, war 1994 von Orient Express gekauft und für sechs Millionen US-Dollar in ein Luxusschiff verwandelt worden. Per „Huckepack“ kam es auf einem Frachter vor mehr als zehn Jahren nach Birma und fährt unter neuem Namen auf dem Irrawaddy. „Road to Mandalay“ wurde sie in Anlehnung an das gleichnamige Epos des britischen Dichters Rudyard Kipling genannt, in dem er seine Sehnsucht nach diesem Land und seinen Menschen schildert.

Nur zwei- bis dreimal im Jahr ist der Fluss bis Bhamo befahrbar, weil bei zu hohem Wasserstand die drei Schluchten im Norden nicht passierbar sind. Ab August/September gebärdet sich der Irrawaddy weniger ungestüm. Breite Sandbänke haben sich gebildet, auf denen die am Fluss lebenden Menschen vorübergehend Stelzenhütten bauen, während sie den niedrigen Wasserstand nutzen, um schnell wachsendes Gemüse zu ziehen. Das Staunen an Bord über diese Art der Landwirtschaft ist meist größer als das auf der Sandbank über das so riesig erscheinende Schiff.

„Ich hab mir die Flussfahrt zwar schön vorgestellt. Aber es ist ja wie im Märchen – das kann man nicht mal träumen!“, seufzt ein Passagier aus Wien und lehnt sich entspannt in die weichen Kissen des Rattansessels zurück. Sein Blick schweift über die Uferkulisse: luftige Stelzenhäuschen zwischen Palmen, über deren Gipfel sich sogar hier die vergoldeten Spitzen kleiner Pagoden erheben. Kein Passagier kann sich dieser besonderen Stimmung entziehen. Graziösen Schrittes naht Ma Lay in ihrem Longyi genannten langen Rock, der birmanischen Nationalkleidung für Frauen und Männer, und serviert kühle Drinks – wie immer mit einem von Herzen kommenden Lächeln.

Katha, wo George Orwell 1924 als britischer Kolonialbeamter stationiert war, ist umgeben von Reisfeldern und dichtem Regenwald. Auch hier auf dem quirligen Markt – nur strahlende, lachende Gesichter, weiß mit der vor Sonne schützenden Thanaka-Paste verziert. Besucher sind hier noch seltener als in Mandalay oder Bagan. Von Yangon ganz zu schweigen. Als „Langnase“ wird man bestaunt.

Zurück im schwimmenden Hotel staunt der Passagier einmal mehr über den Verkehr auf dem träge fließenden Strom. Voll, zum Teil übervoll beladen mit Fässern, Säcken, Gütern aller Art, Vieh und Menschen bewegen sich Schiffe und kleinere Boote, mit oder ohne Segel, flussauf- und -abwärts. Im Ort Tigyaing wird eben sogar ein Lkw mit Elefantenladung auf eine Fähre bugsiert. Wahrscheinlich werden die Arbeitstiere anderenorts von der Forstwirtschaft gebraucht. Lange Teakholzflöße schwimmen vorbei, auf denen die Flößer während der Reise mit ihren Familie in Binsenhütten wohnen. Am Ufer waschen Frauen sich und ihre Wäsche. Auch sie nehmen sich einen Moment, um den Fremden fröhlich zuzuwinken. Der Kapitän lässt kräftig das Schiffshorn ertönen.

Alles Leben der Menschen scheint sich entlang dem Fluss abzuspielen. Immer wieder sieht man kleine Ansiedlungen mit einfachen Stelzhäusern. In unmittelbarer Nachbarschaft dazu sorgsam angelegte Reisfelder und Gemüsegärten. Kein Wunder, denn Bargeld bekommen die Menschen auf dem Land selten in die Hand. Was sie benötigen, zahlen sie in der Regel mit ihren selbst produzierten Lebensmitteln. Und die Kreuzfahrer dürfen staunen, wenn sie eins dieser Dörfer besuchen: Blitzsauber sind Höfe und Häuser. Darstellungen von Nats, übernatürlichen Wesen oder Geistern, die im Zusammenhang mit dem Buddhismus in Birma hoch verehrt werden, zieren jeden Wohnraum. Statussymbole sind Ochsenkarren und Fahrräder, die neben kleinen Booten die einzigen Verkehrsmittel sind.

Weiter geht’s auf dem Fluss nach Norden. Vor der zweiten der angesagten drei Schluchten sind mitten im dichten Teakwald unvermutete Aktivitäten zu beobachten. Neben provisorischen Unterkünften auf Pontons liegen am Ufer Röhren mit gewaltigem Durchmesser. Vor der Westküste Birmas werden Öl und Gas gefördert. Das muss transportiert werden. Nach China, dem Abnehmer der allermeisten Bodenschätze Birmas. Baumaschinen und Bagger sind im Einsatz. Gabelstapler schaffen zersägte Teakstämme herbei. „Alles ist made in China“, sagt der Erste Offizier und vermutet, hier werde eine stabile Brücke gebaut. An Bord beginnt ein großes Spekulieren.

In Bhamo erfahren die Passagiere mehr. Von hier führte schon vor 300 Jahren eine Karawanenstraße nach China für den Handel mit Rubinen. Heute ist der Ort eindeutig ein chinesischer Handelsposten. Alles außer landwirtschaftlichen Produkten kommt aus China: Kleinlaster, Fahr- und Motorräder, Maschinen, Plastikzeugs und Spielwaren. Im einsamen Norden Myanmars, nur 80 Kilometer von der chinesischen Grenze entfernt, stehen prachtvolle Villen. „Wir machen hier Geschäfte“, sagt Chen Yanwei aus Tengchong stolz vor seinem Prachthaus, das er eben zusperrt. Er spricht passabel Englisch. „Ich und mein Kompagnon Zhao Jiajun hoffen, dass ihr Westler euren Boykott gegen Myanmar nicht aufhebt. Denn was die Menschen brauchen, bekommen sie von uns – und sogar mehr.“ Er reibt sich die Hände, lacht schallend und zeigt stolz auf sein Haus. „Wir sind die Gewinner.“

Einmal mehr stellt sich bei den Kreuzfahrern Nachdenklichkeit ein. Viel Zeit, das zu verdauen, bleibt vorerst nicht. In abenteuerlichen Vehikeln geht es auf einer – oh Wunder – recht ordentlichen Straße in Richtung China zu den Ausläufern des Yunnan-Gebirges. Dort dürfen im Teakwald einige Arbeitselefanten zur Abwechslung die leichte Last von Touristen auf ihrem Rücken durch die Gegend schaukeln. Sonst haben die Dickhäuter hier ungleich härtere Arbeit zu verrichten: Gewaltige Holzstämme sind mit Stoßzähnen und Rüssel an die richtige Stelle zu bugsieren oder an Ketten zum Ladeplatz zu ziehen.

Abschied vom Schiff, Abschied von einem zauberhaften Land. Zwei Reisende aus den USA verraten, sie seien bereits zum vierten Mal an Bord. „Aber nicht das letzte Mal“, beteuern sie. „Birma macht süchtig.“

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