zum Hauptinhalt
Langeneß – Einsamkeit, Weite und Leere, dazu viel Himmel und Weidevieh als Sommergäste.

© Daniela Martens

An der Küste Nordfrieslands: Wer protzen will, wird ausgelacht

Auf der Hallig Langeneß ist nichts los. Nur Ruhe und Schafe. Nicht jeder hält das aus. Immerhin gibt’s nun ein Vier-Sterne-Hotel.

Die Möwen kreischen über dem Kielwasser der „Hilligenlei“. „Nach Langeneß fährt man doch nur, um Einsamkeit zu erleben“, sagt ein Passagier auf der Fähre, der sich als Bewohner der Insel Amrum zu erkennen gibt. Er selbst habe noch keinen Fuß auf die Hallig gesetzt. „Was soll ich da?“ Ja, was soll man da?

Die Fähre legt in Langeneß an. Der Hafen gehört zur Rixwarf ganz im Westen der Hallig. Nur ein knappes Dutzend Passagiere steigt aus – viel weniger als auf Amrum oder der Hallig Hooge, die das Schiff ebenfalls ansteuert. Der Amrumer bleibt auf der „Hilligenlei“ sitzen und hebt grüßend die Hand, als das Schiff wieder ablegt.

Die wenigen Ankömmlinge gehen schnell ihrer Wege – und schon wirkt das flache Stückchen Land im Meer wieder, als sei es nur von Schafen bewohnt. Man darf diesen Flecken Erde um Himmels willen nicht etwa eine Insel nennen. Wer das auf Langeneß tut, muss einen ausgeben. Denn eine Hallig ist eben eine Hallig – und keine Insel. Das lernen die Besucher schnell von den Einheimischen.

Es sind Menschen, die etwas anders ticken als Festlandsbewohner. Schließlich leben sie an einem Ort mit nur einer Straßenkreuzung. Keiner schließt hier seine Haustür ab. Polizei, Arzt? Fehlanzeige. Stattdessen viel Einsamkeit, Weite und Leere, dazu Himmel, Schafe und Stacheldraht, Wasser, Wind und Wetter wie sonst kaum irgendwo. An 365 Tagen im Jahr. Und an 15 bis 20 davon wird „Land unter“ gemeldet. Dann ragen nur noch 18 künstliche Hügel, die sogenannten Warften oder Warfen, auf denen die Häuser der Hallig in kleinen Grüppchen stehen, aus dem Wasser.

„Wer es hier nicht schafft, über das Leben nachzudenken, schafft es nirgendwo. Hier gibt es keine gestressten, oberflächlichen und eitlen Menschen, die sich hinter Fassaden verstecken wie in Kiel, Hamburg, Berlin oder Sylt“, sagt Johann Petersen. Er ist Mitte vierzig und Vater von sechs Kindern. Er trägt einen langen, wirren Vollbart und eine Strickmütze auf dem Haarkranz, der über den Kragen wallt. „Die Hallig ist echt und die Menschen hier auch.“ Und der echteste, uneitelste von allen rund 100 Halligbewohnern ist wohl er, Petersen, der Hallig- Kaufmann, der ursprünglich von der Nachbarhallig Oland stammt, die nur einen Quadratkilometer groß und damit die kleinste bewohnte Hallig ist. Petersen trifft man in seinem kleinen Laden auf der Hillenswarf, in der Mitte des zehn Kilometer langen, aber nur einen Kilometer breiten Langeneß. Dort verkauft er seit dreieinhalb Jahren mit seiner Frau Irina selbst gestrickte Mützen, Gummistiefel natürlich, Lebensmittel und Postkarten – an Einheimische und Touristen.

Selbst die Feriengäste seien hier normalerweise etwas „echter“ als an anderen Urlaubsorten, erklärt Petersen. Das liegt an der Landschaft, dem fehlenden Sandstrand – und vor allem den Einheimischen: „Wer hier mit Sportwagen und so protzen will, wird ausgelacht. Neulich hatten wir mal einen Börsenmakler als Gast – die arme Sau!“, sagt Petersen, schüttelt sich vor Lachen und schiebt die Strickmütze auf dem Kopf vor und zurück. „Am zweiten Tag war der Typ derartig leer im Kopf, dass er sich einen neuen Job suchen wollte. Ich hab’ ihm vorgeschlagen, es mal als Reetdachdecker zu versuchen.“

Petersen hat selbst eine Zeit lang in diesem Beruf gearbeitet, nachdem sein Rücken zu kaputt war für seine ursprüngliche Arbeit beim Küstenschutz. In dieser Zeit lebte er auf dem Festland – und hatte großes Heimweh: „Das war eine schlimme Zeit. Ich wollte immer zurück. Wenn Sie wissen wollen warum, dann müssen Sie sich hier mal nachts draußen hinsetzen, den Austernfischern und dem Wind lauschen, in den klaren riesigen Sternenhimmel gucken, und den Geruch des Wassers einatmen.“ Petersen krault seinen Bart. Das tut er oft.

Hallig ist nicht gleich Hallig

Hallig-Kaufleute: Irina und Johann Petersen.
Hallig-Kaufleute: Irina und Johann Petersen.

© Daniela Martens

Fast alle, die die Hallig verlassen, kommen irgendwann wieder. Aber: Auf den Halligen gibt es nicht allzu viele Möglichkeiten, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die Gelegenheit zur Rückkehr ergab sich für Petersen, als sein Schwager, der vor ihm den Laden auf Langeneß betrieb, einen Nachfolger suchte.

Zehn Halligen liegen im Wattenmeer zwischen Föhr im Norden, Amrum im Westen und Pellworm im Süden. Aber Hallig ist für Petersen nicht gleich Hallig. „Auf Hooge ist das Touristenghetto. Da landen alle, die mal eben kurz eine Hallig sehen wollen.“ Nach Langeneß dauert die Anreise mit dem Schiff immerhin eine halbe Stunde länger. Hier landen nur diejenigen, denen es ernst ist mit der Weite und der Einsamkeit.

Irina Petersen erklärt, wie das Leben auf der Hallig funktioniert: „Hier müssen die Menschen netter zueinander sein als in der Großstadt, schließlich muss man beim nächsten Land unter gemeinsam das Pensionsvieh auf die Warf treiben.“ Bei einer richtigen Sturmflut bleiben dazu in der Regel nur zwei Stunden. „Das schafft man nicht, wenn die Menschen nicht miteinander reden.“ Deshalb gilt auch: „ Lässt sich hier ein Paar scheiden, verlässt einer der beiden die Hallig.“

Manchmal besuchen die Petersens abends Virginia und Malte Karau auf der Mayenswarf, um bei einem Teepunsch mit Köm in winzigen Porzellantässchen ein bisschen zu plauschen. Die Karaus haben dort vor zwei Jahren etwas eröffnet, das eigentlich nicht nach Langeneß passt – zumindest nicht zu Petersens Bild von der Hallig: das Vier-Sterne-Hotel „Ankers Hörn“. Oder zumindest eine Hallig- Version davon.

„Die anderen Hallig-Bewohner waren zunächst nicht begeistert von unserem Hotel“, sagt Virginia Karau. Inzwischen kämen sie allerdings manchmal zum Essen. Virginia Karau ist wie ihr Mann Mitte dreißig und wie Irina Petersen stammt sie vom Festland, hat sich in den Ferien zunächst in die Hallig und später auch in einen Hallig-Mann verliebt. Malte Karau stammt von der Warf Hilligenley, wo sein Vater seit Jahrzehnten einen Gasthof betreibt.

Auf der Hallig verdienen fast alle selbstständig ihren Lebensunterhalt – etwa mit Pensionsvieh – das ebenso wie die Pensionsgäste für den Sommer – mit der Fähre kommt. 340 Gästebetten gibt es auf Langeneß. 15 000 Übernachtungen zählen sie hier pro Jahr. Um von diesen Ruhesuchenden zu profitieren, muss allerdings erst mal investiert werden. Sowohl die Karaus als auch die Petersens haben sich Geld geliehen, um ihre Hallig-Existenz überhaupt erst möglich zu machen. „Es ist hier ganz besonders schwierig, einen Kredit zu bekommen, weil die Banken glauben, dass die Halligen in Zeiten des Klimawandels irgendwann untergehen“, sagt Petersen.

Die Karaus brauchten gleich mehrere Kredite, um aus einem alten Bauernhof ihr Sternehotel mit Aussichtzimmern, Sauna und Restaurant zu machen. Auch wenn Virginia Karau gern zum Besten gibt, sie habe die Banker mit ihrer Friesentorte überzeugt – in Wirklichkeit ging das nur mit einer Bürgschaft des Landes Schleswig-Holstein. Ebenso bei den Petersens. Und die Karaus mussten akzeptieren, dass die Bank als Garantie für den Erfolg des Hotels eine spezielle Unternehmensberatung einschaltete, die ein Marketingkonzept erarbeitete – gleichzeitig für drei Nordsee-Hoteliers mit großen Plänen.

Deshalb gibt es jetzt auch eine Art Dreierpack-Reise nach Langeneß, Amrum und in das 750-Einwohner-Dorf Bohmstedt zwischen Husum und  Schlüttsiel, dem Hafen, von dem aus man nach Amrum und zu den Halligen aufbrechen kann. „Insel–Hallig–Festland-Hopping“ haben sie das Konzept genannt. So richtig konnten sich die Experten von der Unternehmensberatung wohl nicht vorstellen, dass Vier-Sterne-Gäste es einen ganzen Urlaub lang in der Einsamkeit von Langeneß aushalten. Da muss man auch noch ein bisschen Strandleben und Kurkonzerte auf Amrum hinzupacken.

Amrum sei ja verglichen mit dem Touristenmoloch Sylt noch ganz in Ordnung, sagt Hallig-Kaufmann Petersen. Aber so aus Spaß müsse er da trotzdem nicht hin. In Urlaub fahren er und seine Frau ohnehin nicht. Schließlich ist schon die Fahrt zum Festland immer eine Art Weltreise.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false