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Dieses Museum für den ersten Präsidenten Aserbaidschans schuf die kürzlich verstorbene britische Stararchitektin Zaha Hadid. Im Heydar Alijew Kulturzentrum ist es ziemlich leer.

© Tobias Schwarz/AFP

Aserbaidschan: Alles Geld, was glänzt

Baku will um jeden Preis beeindrucken. Und gibt dabei viele Rätsel auf. Wer die Seele Aserbaidschans finden will, muss sich aufmachen in den Kaukasus.

Eine riesige Welle hat sich aufgebaut, um dann zur Seite hin ganz allmählich und raumgreifend zu verebben. Was die Natur zu schaffen vermag, hat die kürzlich verstorbene Zaha Hadid in Beton geformt und schneeweiß umhüllt. 2012 wurde der gigantische Bau in Baku fertig. Damit das Architekturjuwel noch mehr zur Geltung kommt, hat man ihm drum herum viel Platz gegönnt. Über eine hügelige Fläche, so groß wie 15 Fußballfelder, führen geschwungene Wege zwischen kurz geschnittenem Rasen.

Für ihren Bau wurde die britische Stararchitektin mit dem renommierten Preis des London Design Museums ausgezeichnet. Das Gebäude sei, so urteilte der britische Architekt Piers Gough, „so rein und sexy wie Marilyns hochgeblasener Rock“. Doch es hagelte Kritik an der Preisvergabe. Denn: Darf man sich Meriten verdienen in einem Land, in dem Pressefreiheit ein Fremdwort ist und die Menschenrechte missachtet werden?

Die gesunkenen Ölpreise belasten die Wirtschaft

Aserbaidschan ist ein problematisches Land. Dem negativen Image setzt die Regierung, seit 2003 mit Ilham Alijew an der Spitze, teuer arrangierte Events entgegen. 2012 wurde der Eurovision Song Contest in Baku ausgerichtet, 2015 fanden dort die Europaspiele statt und am vergangenen Wochenende rasten die Formel-1-Fahrer durch die aserbaidschanische Hauptstadt. Die Bilder sollen neugierig machen, das Land mit seinen rund 9,5 Millionen Einwohnern möchte mehr Touristen.

Jene, die nach Baku kommen, stehen verblüfft in einer Metropole, die nicht zu fassen ist. Welch ein Sammelsurium von Gebäuden! Die neuen sind hoch und immer höher emporgewachsen, runde und eckige Wolkenkratzer, oft mit spiegelnden Fassaden, wurden scheinbar planlos verteilt. In jüngster Zeit hat sich das Tempo der Bauwut verlangsamt, viele Kräne drehen sich nicht mehr. Die gesunkenen Ölpreise belasten die Wirtschaft Aserbaidschans, die von dem Rohstoff abhängig ist.

Die Altstadt wie ein orientalisches Disney World

In der Abenddämmerung von Baku verschwindet die Krise. Denn dann beginnt die Stadt zu glitzern, so als wolle sie Dubai in den Schatten stellen. An den Fassaden der „Flame Towers“, drei wie Flammen geformte Türme, züngeln blau-weißgrün die Landesfarben empor. Eindrucksvoll zu erleben ist das Schauspiel auf der breiten Promenade am Kaspischen Meer. Zwölf Kilometer lang ist dieser „Bulvar“, bis auf vierzig Kilometer soll er sich einmal ausdehnen. Viel Platz für wenig Flaneure. Auch die zahlreichen Terrassenlokale entlang der Küstenmeile sind nur locker gefüllt. Wer hier sitzt, trinkt Tee.

Abseits der Promenade ist Baku vor allem eine Autostadt. Ausgefahren wird, was Marke und Größe hat: SUVs vor allem, frisch poliert in Schwarz oder Silber. In den schmalen Geschäftsstraßen parken sie – auch in zweiter Reihe – vor edlen Boutiquen wie Louis Vuitton, Prada oder Dolce & Gabbana.

Ein Terrain für reiche business people. Wo lebt die normale Bevölkerung? In der historischen Altstadt vielleicht? Eine beeindruckende Festungsmauer umschließt sie, Unesco-Weltkulturerbe seit dem Jahr 2000. Gassen, krumm wie orientalische Säbel, bilden ein Labyrinth, in dem man sich verlaufen kann. Bauten wie der Jungfrauenturm aus dem 11. Jahrhundert, Badehäuser, Moscheen und Karawansereien wurden perfekt restauriert. Zu perfekt nach unserem Geschmack. Alles wirkt ein bisschen wie ein orientalisches Disney World. Nur die Darsteller fehlen. Wo sind Händler, Handwerker und Schaulustige? Selbst Souvenirläden sind rar.

Die Moscheen sind von Hochhäusern umzingelt

Auf dem Yasil Basar, einem Gemüsemarkt, erfahren Fremde die Freundlichkeit der Aserbaidschaner.
Auf dem Yasil Basar, einem Gemüsemarkt, erfahren Fremde die Freundlichkeit der Aserbaidschaner.

© Hella Kaiser

Auf dem Yasil Basar in der Neustadt jedoch kommen wir den Einheimischen näher. Ein Gemüsemarkt. Händler sitzen hier neben Bergen von Zwiebeln, Paprika, Tomaten und riesigen Melonen. Dürfen wir ein Foto machen? Als Antwort wird lächelnd genickt – jedes Mal. Eine Marktfrau mit herrlichen Runzeln im Gesicht zeigt stolz auf all die grünen Kräuter, die sie vor sich ausgebreitet hat. Spontan öffnet sie ein Marmeladenglas, steckt einen Löffel hinein und hält ihn uns hin. „Bitte unbedingt probieren“, bedeutet sie uns. Wie schade, dass wir uns nicht unterhalten können! Mit Russisch wäre es wohl möglich, auch mit Türkisch vielleicht.

85 Prozent der Einwohner Aserbaidschans sind schiitische Muslime. Natürlich gibt es Moscheen. Aber viele in Baku sind klein und derart von Hochhäusern umzingelt, dass man sie kaum noch wahrnimmt. Selten hört man Muezzinrufe. Um ein Zeichen für den Islam zu setzen, wurde 2014 die riesige Heydar-Moschee gebaut. Ihre Minarette erreichen eine Höhe von 95 Metern. Zentral gelegen aber ist die Moschee nicht.

Kein Frau ist verschleiert

70 Jahre als „Aserbaidschanische Sozialistische Sowjetrepublik“ haben das Land geprägt. Im Geschäftszentrum, vor der gläsernen Fassade des Sozialministeriums, steht ein erstaunliches Denkmal. Eine Frau aus Bronze zieht sich darauf den Schleier vom Gesicht. Seit 1967 steht das Denkmal hier.

Die Statue einer Frau, die ihren Schleier ablegt, wurde 1967 aufgestellt.
Die Statue einer Frau, die ihren Schleier ablegt, wurde 1967 aufgestellt.

© Hella Kaiser

Die Botschaft wirkt wohl noch immer. Wir haben in Baku keine verhüllten Frauen gesehen. Schon gar nicht am geschäftigen Fontänenplatz, wo junge, westlich gekleidete Mädchen dominieren. Rundherum Läden und Lokale, Kentucky Fried Chicken und McDonald’s konkurrieren miteinander. Wir kommen mit einer jungen Frau ins Gespräch, die ein wenig Englisch kann. „Wie finden Sie Aserbaidschan, wie gefällt Ihnen Baku?“, will sie wissen.

„Überraschend“, sagen wir und gestehen, dass wir uns ein islamisches Land anders vorgestellt haben. „Ja“, sagt Ahmad, die ihren richtigen Namen nicht preisgeben will, „wir wissen nicht, wer wir sind und wozu wir gehören.“ Fast flüsternd fügt sie hinzu: „Vielleicht ändert sich das, wenn nicht mehr nur eine Familie hier bestimmt, wenn die Alijews nicht mehr an der Macht sind.“

Das Vorbild war Paris

Heydar Alijew wurde bald nach der Unabhängigkeit 1991 Präsident. Zwischen 1969 und 1982 war er Führer der Kommunistischen Partei. Als er 2003 starb, begann der Personenkult um ihn. Viele Plätze und Gebäude sind nach ihm benannt. Zaha Hadids weißer Bau beherbergt das Heydar-Alijew-Kulturzentrum. Sohn Ilham, der derzeitige Präsident, löste seinen Vater ab.

Baku war immer Schauplatz unterschiedlichster Entwicklungen. Um 1850, nach erfolgreichen Ölbohrungen, witterten Bankiers und Industrielle das große Geschäft. Die Rothschilds, die Nobels und andere kamen – und wurden zu Ölbaronen. Prächtige Villen im europäischen Stil des Fin de Siècle ließen sie sich bauen. Paris war in vielem Vorbild. 1912 entstand ein Casino, das bis auf Details jenem in Monte Carlo glich.

Der Pole Kazimierz Skórewicz, Stadtarchitekt um 1920, klagte: „Die Bewohner von Baku verhalten sich zu ihrer alten Architektur überaus gleichgültig, streben aber unaufhaltsam danach, auf ,europäische Art’ zu bauen.“

Die enge Schlucht durch den Kaukasus nimmt kein Ende

Hohe Bauten wie die "Flame Towers" überragen jede Moschee.
Hohe Bauten wie die "Flame Towers" überragen jede Moschee.

© Hella Kaiser

Nachdem Aserbaidschan 1920 Teil der Sowjetunion geworden war, veränderte sich das Stadtbild erneut. Bauten im eklektischen Neo-Klassizismus entstanden, aber auch uniforme Wohnblocks. Henri Barbusse, der französische Schriftsteller und Kommunist, schwärmte: „Wenn man mich fragte, was das Erstaunlichste, Freund und Feind am meisten Beeindruckende sei, was die Sowjetmacht geschaffen habe – ich würde antworten: Sehen Sie sich Baku an.“ Die herrliche Lage am Kaspischen Meer kam dazu.

In der Metropole wächst die Neugier aufs Land. Auf dem Weg gen Norden nach Quba werden die Autos seltener – und klappriger.

Die Menschen hier leben anspruchslos

Die Krasnaja Sloboda (Rote Siedlung), ein Stadtteil von Quba wird gern von Touristen angesteuert. Hier wohnen noch rund 3000 Bergjuden. An einem Brunnen steht ein Denkmal von Heydar Alijew. „Ohne ihn gäbe es uns hier nicht mehr“, sagt Isokov Pisach (66), der Gemeindevorsteher. „Nach der russischen Revolution wurde unsere Religion verboten“, Synagogen und Talmudschulen seien geschlossen worden. Von ehemals 13 Synagogen existieren heute noch vier, zwei von ihnen gut restauriert.

Pisach trägt eine blaue Kippa. Würde er so auch in Baku herumlaufen? „Warum denn nicht?“, fragt er erstaunt zurück. Aserbaidschan sei ein tolerantes Land.

Wir fahren weiter gen Nordosten – durch den Kaukasus. Die enge Schlucht will gar nicht enden, dann zieht sich die kurvige Straße hinauf bis ins gut 2000 Meter hoch gelegene Xinaliq, das letzte Dorf vor der russischen Grenze. Die Menschen hier leben anspruchslos, Schafzucht und Landwirtschaft bringen nicht viel ein. Von hier aus könnten Wandertouristen starten, doch es gibt kein einziges Lokal am Ort und vor allem: keine annehmbaren Quartiere. Markierte Wege im Gebirge fehlen.

Das echte Aserbaidschan finden man auf dem Land

Hier könnte die Regierung helfen und mit wenig Aufwand sanften Öko-Tourismus fördern. Doch bringt das Prestige? Lieber wird in Shadag, 75 Kilometer von Baku entfernt, ein riesiges Skiresort aus dem Berg gestampft. 10.000 Menschen sollen hier mal übernachten können, drei Luxushotels stehen schon.

Eins davon, das Pik Palace, sieht genauso aus wie das luxuriöse Kulm-Hotel in Sankt Moritz. Hauptsache, die Fassade stimmt. So ist das auch bei Zaha Hadids Prachtbau. Im weiß glänzenden Inneren herrscht gähnende Leere. Die polierten ehemaligen Staatskarossen verlieren sich in der Weite des Erdgeschosses. Eine Etage höher wird die Geschichte des Landes präsentiert. In Erinnerung bleibt jenes Foto, auf dem Heydar Alijew kniend die aserbaidschanische Fahne küsst.

Das echte Aserbaidschan finden man draußen im Land. Bei den alten Männern zum Beispiel, die vor einem Lokal Backgammon spielen. Und die den Touristen einfach so ein Schälchen Nüsse hinstellen – und dazu entwaffnend lächeln.

Raus ins Land - und wandern in zwei Nationalparks

ANREISE

Azerbaijan Airlines fliegt von Berlin-Tegel nonstop nach Baku. Ticketpreis: rund 400 Euro.

VISUM

Das für die Einreise erforderliche Visum kostet 60 Euro. Zu bestellen ist es (möglichst vier Wochen vor Reisebeginn) bei der Aserbaidschanischen Botschaft, Berlin-Grunewald, Telefon: 030/ 206 480 63.

VERANSTALTER

Via Verde hat eine 15-tägige Aserbaidschan Wanderstudienreise „Land der Feuerhügel“ aufgelegt. Die Teilnehmer haben Zeit für Baku, lernen aber sehr viel vom Land kennen und wandern in zwei Nationalparks. Termin: 10. bis 24. September, Preis: 2950 Euro. Enthalten sind Übernachtungen, meist mit Halbpension und Flüge. Telefonnummer: 0228 / 92 61 63 90.

Hauser-Exkursionen haben eine 15-tägige Studienreise „Aserbaidschan und Georgien“ mit leichten Wanderungen im Angebot. Termine: 31. Juli bis 14. August sowie 2. bis 16. Oktober. Im Preis von 2650 Euro sind Übernachtungen, meist mit Halbpension und Flüge inkludiert. Telefon: 089 / 23 50 06 0.

AUSKUNFT

Tourismusbüro von Aserbaidschan in Deutschland, AVIAREPS, Telefonnummer: 089/ 55 25 33 836.

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