zum Hauptinhalt
Viehherden auf den Straßen im Hinterland von Aserbaidschan sind nicht die einzigen Hindernisse für Touristen.

© Joern Haufe

Aserbaidschan: Ökotee im Kaukasus

In Baku sind alle Lieder gesungen. Nun, so hoffen Aserbaidschaner, sind Touristen neugierig geworden aufs ganze Land.

Schon wieder blockiert eine Schafherde die Fernstraße in den kaukasischen Bergen von Aserbaidschan. „Schafe, Schafe, Schafe“, flucht der Fahrer und haut auf die Hupe. Auf dem Weg nach Scheki, einst berühmte Station der Seidenstraße, braucht man Geduld. Aserbaidschan will sich von der Abhängigkeit vom Öl- und Gasgeschäft befreien und setzt dabei auch auf Tourismus. Neben der Hauptstadt Baku werden dazu kaukasische Landschaften, idyllische Bergdörfer und historische Stätten im Norden des Landes beworben.

Dorthin führt eine typische Route vom Kaspischen Meer aus zunächst rund 200 Kilometer über eine Autobahn durch flache, karge Gegenden. Später tauchen in flirrender Hitze Gebirgszüge auf, die Straßen werden schmaler und holperig, die Landschaft üppig grün. Wenn es im Sommer in Baku 40 Grad heiß wird, fliehen viele Hauptstädter in höher gelegene Regionen. „Frische Luft, tolle Ausblicke, authentische Küche – fahren Sie nach Scheki“, schwärmt, nicht ganz überraschend, der Vizeminister für Tourismus, Nazim Samadow.

Am Straßenrand locken alle paar Kilometer einfache Gartenrestaurants. Die Kanne Tee kostet umgerechnet einen Euro, ein Teller Grillfleisch fünf Euro. An den Nebentischen spielen alte Männer Domino oder Nardi (Backgammon). „Welcome“ oder „Hello“ begrüßt man die westlichen Besucher auf Englisch. Doch die Konversation bleibt schwierig, in der Provinz spricht man fast ausschließlich Aserbaidschanisch. „Wie gefällt Ihnen unser Land?“ und „Wo kommen Sie her?“ übersetzt der Fahrer typische Fragen.

Vom Glamour der aufgemotzten Hauptstadt Baku sind die Bergregionen weit entfernt. Hier ernährt die Landwirtschaft die Menschen. Weinstöcke, Granatapfelbäume und Getreidefelder säumen den Weg dort, wo keine Wiesen oder Weiden die Landschaft prägen. Vom Wohlstand, der früher entlang der Seidenstraße herrschte, zeugen noch Burgruinen. Außerdem fehlt es an touristischer Infrastruktur. Zu möglichen Sehenswürdigkeiten muss man sich mühsam durchfragen. Hinweisschilder, Touristeninformationen und fremdsprachige Erklärungen sind Mangelware auf dem Land.

Die Touristen haben es nicht leicht

In Holz geschnitzte Davidsterne an der Synagoge der Bergjuden von Oguz.
In Holz geschnitzte Davidsterne an der Synagoge der Bergjuden von Oguz.

© dapd

Wie in Oguz, wo die Synagoge der kleinen Minderheit der Bergjuden mit Geld aus Israel frisch renoviert wurde. Von den 2500 Gemeindegliedern seien nach der wiedererlangten Unabhängigkeit Aserbaidschans von der Sowjetunion die meisten nach Israel gezogen, erzählt Teymuz Natalinow. Als eine Art Küster betreut er das Gebetshaus und öffnet die Türen. „70 Gläubige sind wir noch hier“, sagt Natalinow. Nur zu hohen Feiertagen reist ein Rabbi an. „Vor 300 Jahren gab es in Oguz eine Taldmudschule“, sagt Natalinow.

Kulturell Interessierte würden wohl in Oguz gerne mehr erfahren über die Bergjuden – doch die Chance dazu ist alleine wegen der Sprachbarriere gering. Natalinow schloss die Synagoge nur auf, weil Nachbarkinder ihn eigens für die Besucher herbeigeholt hatten. Noch ist Oguz nicht auf ausländische Gäste vorbereitet.

Als Vorzeigeprojekt für den Tourismus draußen im Land gilt Scheki. Im empfohlenen Hotel „Sheki Saray“ spricht an der Rezeption niemand Englisch. Zum Einchecken muss ein Kollege herbeigeholt werden. Die Zimmer sind indes luxuriös, kosten umgerechnet aber auch 100 Euro pro Nacht. Dafür schläft man gleich gegenüber der historischen Altstadt. Nach Scheki kamen laut Statistik 2010 gerade einmal 2110 ausländische Übernachtungstouristen, davon 310 aus Deutschland.

Weit und breit sind keine anderen Touristen zu sehen. In den Läden wird als lokale Spezialität vornehmlich das örtliche Halva verkauft, eine Süßigkeit aus Honig und Nüssen. Anders als erwartet gibt es jedoch keine Seidenschals zu kaufen, trotz der Seidenfabrik am Ort, die schon zu Sowjetzeiten produzierte und dann vorübergehend brachlag. „Ja, die Fabrik arbeitet wieder“, bestätigt der Mitarbeiter im Hotel, „aber sie ist nicht für Besucher geöffnet, und es gibt auch keinen Laden.“

Die eine oder andere Fassade in der Altstadt wird zwar ausgebessert, wirklich gut gepflegt erscheint das Kulturerbe allerdings nicht. Zeugnis von der Geschichte Schekis legen einzig noch der Khan-Palast im osmanischen Stil oder die alten Karawansereien ab. Geöffnet hat an diesem Tag nur das Fußballstadion, in dem der Rasen indes einen unbespielbaren Eindruck macht. Die örtliche Galerie bietet handgemalte Porträts des umstrittenen Staatspräsidenten Ilham Alijew an.

Ein Kilo Tee zum Abschied

Im nahen Zaqatala soll es eine Teefabrik geben, die man besichtigen kann. Und tatsächlich: Die Straße davor ist zwar eine einzige Baustelle, doch im Hof kommen die Arbeiter freundlich auf die unangemeldeten Gäste zu. „Seit 1950 wird hier Tee produziert“, sagt Fabrikchef Saban Junuksow stolz. Mit den alten Maschinen verarbeite man jährlich immer noch bis zu 20 Tonnen Tee, der auf den umliegenden Gebirgshängen angebaut wird. „Fünf Sorten haben wir und decken damit den örtlichen Bedarf“, erklärt Junuksow.

Auf die Idee, die Fabrik für Besucher zu öffnen, sei man durch die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) gekommen. Seitdem produziere man eine Sorte Tee auch nach Ökokriterien. Geduldig führt Junuksow durch die Hallen und den Garten, wo zum Eigenbedarf Kartoffeln gepflanzt sind. Gerne verkauft er zum Abschied noch ein Kilo Tee und empfiehlt ein Gartenrestaurant außerhalb der Stadt, in dem sich schmackhaft speisen lässt.

Vize-Tourismusminister Nazim Samadow spricht von umgerechnet etwa zwölf Millionen Euro, die der Staat jährlich in die Entwicklung des Fremdenverkehrs stecke. Nach Baku mit mittlerweile etwa 200 000 ausländischen Touristen pro Jahr sei Scheki bereits das am zweithäufigsten angesteuerte Reiseziel, sagt Samadow. Von Juni an sollen für Aserbaidschan-Touristen vereinfachte Visaregeln gelten. Doch es dürfte noch einige Jahre dauern, bis Individualtouristen aus Westeuropa die kaukasische Gebirgslandschaft von Aserbaidschan ohne größere Hürden genießen können. (dapd)

Jakob Lemke

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false