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Inspiration. Chefkoch Opocensky streift oft und gern über die Märkte der Stadt.

© Stefanie Bisping

Asiatische Küche: Hongkong hat Geschmack

Hart und lang sind die Arbeitstage in der asiatischen Metropole. Das gilt auch für Köche. Und die zaubern Bestes.

Bei Duddell’s herrscht frohe Geschäftigkeit. Neben dem Strahlen auf den Gesichtern des Personals erinnert ein Strauß roter Rosen an den zweiten Michelin-Stern, der seit dem Vortag die Arbeit von Küchenchef Siu Hin Chi krönt. Mit diskreter Eile werden die Mittagsgäste an ihre Tische geleitet. Man weiß, sie haben wenig Zeit, aber viel Appetit.

Sechs Gänge umfasst das schnelle Lunch-Menü: Einer Dim-Sum-Platte aus Krabben-Teigtasche, Frühlingsrolle und gegrilltem Schweinefleisch in süßer Soße folgt eine leichte Entensuppe. Dann werden gebratener Hummer mit einer Soße aus schwarzen Bohnen, geschmortes Gemüse mit Bambusmark, schließlich gebratener Reis mit Hackfleisch und Knoblauch aufgetragen.

Zum Abschluss ein Parfait, flankiert von zweierlei Gebäck. Zwischendurch schenkt die Kellnerin Jasmintee nach. Er soll die Verdauung anregen und die Aromen der einzelnen Speisen neutralisieren, bevor der Gaumen es mit neuen Eindrücken zu tun bekommt.

Gutes Dim Sum muss nicht teuer sein

Fünf mit drei, dreizehn mit zwei und vierundvierzig mit jeweils einem Michelin-Stern ausgezeichnete Restaurants zeugen vom Stellenwert, den Menschen in Hongkong dem Essen beimessen. Im Herzen der Stadt findet sich im Radius von 15 Gehminuten üblicherweise die Wahl unter einem Dutzend besternter Restaurants. Dabei ist die Schlemmerei nicht zwingend ein elitäres Vergnügen.

Mak Kwa Pui, einstmals Chefkoch für Dim Sum im schicken Four Seasons Hotel, beschloss im Jahr 2009, dass sehr gutes Dim Sum – in Hongkong äußerst beliebte Häppchen, die erst in der Summe nicht mehr leicht sind – nicht teuer sein müsse. Er eröffnete mit „Tim Ho Wan“ ein Restaurant, in dem ein üppiges Mahl für den Gegenwert von zehn Euro zu haben ist, und schickte seine Teller in gewohnter Qualität aus der Küche. Lohn waren ein Michelin-Stern und ein rasch wachsendes Imperium – mittlerweile hat Mak Kwa Pui bis nach Singapur expandiert.

Reservieren kann man hier nicht, weshalb die Menschen auf dem Bürgersteig vor der Tür auf freie Plätze warten. Am Sonntagmittag ist es brechend voll, jeder Stuhl ist besetzt, auf den Bänken wird’s eng. Einheimische und Touristen sitzen Seite an Seite und schwelgen in gefüllten Teigtaschen, gebratenen Hühnerfüßen und mit gegrilltem Schweinefleisch gefüllten Brötchen.

Der Geräuschpegel ist eindrucksvoll. Je lauter in China eine Konversation abläuft, desto freundlicher sind sich die Gesprächspartner gesonnen. In den meisten Restaurants herrscht daher ein Höllenlärm. Lediglich in sehr gediegenen Häusern haben sich ruhigere Verhaltensmuster durchgesetzt.

Gruß aus der Mandarin-Küche: Hummus aus dem Kern der Jackfrucht

Es ist nicht lange her, dass die Hausfrauen Hongkongs zwei Mal täglich den Markt ihres Viertels besuchten, um für Mittag- und Abendessen frisches Fleisch und Gemüse zu kaufen. Von anderen Spezialitäten gar nicht zu reden: Auf dem Wanchai Wet Market gibt es Schildkröten, gewöhnliche Kröten, in Aquarien schwimmende sowie auf Tischen zappelnde Fische, zusammengezurrte Krebse und ganze (immerhin schon tote) Spanferkel.

Es ist auch das Nebeneinander von futuristischer Architektur und exotischen Gepflogenheiten, das die Faszination dieser Stadt ausmacht – neben Überraschungen wie dem „Hong Kong Trail“, einem Wanderweg, der auf der Hauptinsel Hongkong vom Victoria Peak bis zur Big Wave Bay, einer Badebucht an der Ostküste führt.

Kleine Köstlichkeiten. Dim Sum gibt es in ungezählten Variationen.
Kleine Köstlichkeiten. Dim Sum gibt es in ungezählten Variationen.

© Stefanie Bisping

Uwe Opocensky, Herrscher über die zehn Restaurants des legendären Hotels Mandarin Oriental (und somit auch über insgesamt vier Michelin-Sterne), hat selten Gelegenheit, die Naturschönheiten Hongkongs zu würdigen. An freien Vormittagen streift er über Märkte, kauft hier allerdings nicht für seine Küchen ein, sondern lässt sich vornehmlich inspirieren. Im „Mandarin Bar & Grill“, dem Liebling aus der Schar seiner zehn Kinder, bordet seine Kreativität über Tellerränder, wenn er als Dessert eine Sinfonie aus Schokoladen in allen Formen und Aggregatzuständen über dem ganzen Tisch ausbreitet.

Auf die Idee, frische Kräuter auf Hummus aus dem Kern der Jackfrucht als Gruß aus der Küche zu servieren, brachte den 42-jährigen Norddeutschen die Marktplauderei mit einer 80-jährigen Einheimischen. Zwei bis drei Stunden muss der Kern kochen, bevor er sich auf diese Weise verarbeiten lässt. Opocensky, der im spanischen Baskenland und in Paris mit den Großen seiner Zunft kochte und während seiner Zeit in London das Menü zur Feier der Goldenen Hochzeit von Elizabeth II. und Prinz Philip zubereitete, hat im vom Essen besessenen Hongkong das ideale Umfeld für seinen kulinarischen Forschungsdrang gefunden.

Wenig Platz zum Lagern, Schnippeln, Hacken

Noch immer herrscht auf den Märkten reges Treiben, doch die Kunden sind älter geworden. Fast jeder arbeitet, um in einer der teuersten Städte der Welt finanziell über die Runden zu kommen, und die langen Arbeitstage verlocken zum Einkauf vorgefertigter Lebensmittel im Supermarkt – und noch mehr zum Ausgehen.

Schon die Enge von Hongkongs Wabenwohnungen erschwert ausgedehnte Kocharien am heimischen Herd. Das Wohnkonzept Klo-mit-Klappbett lässt wenig Platz zum Lagern, Schnippeln, Hacken, Anbraten, Warmstellen und Dünsten. Eine Reihe Ein-Zimmer-Apartments nach vorne, eine nach hinten raus – aus diesem sparsamen Grundriss entstehen die superschlanken Hochhäuser, die wie Giraffen über den Straßenschluchten wachen. Mit Dankbarkeit denken Bewohner und Touristen gleichermaßen daran, dass die Inselstadt zumindest kein hochbrisantes Erdbebengebiet ist.

Die hochentwickelte Arbeitsmoral und die aus ihr resultierenden langen Stunden außer Haus beeinflusst nicht nur die Esskultur, sie muss auch als Rechtfertigung dafür herhalten, dass zwischen 200 000 und 300 000 philippinische und indonesische Dienstmädchen mit häuslichen Verrichtungen betraut sind. Sie stellen die größte Gruppe von Expats, die indessen nicht die Privilegien der Banker aus Übersee teilt.

400 Euro Lohn erhalten sie im Monat, dazu Bett und Verpflegung sowie ein Mal im Jahr ein Flugticket in die Heimat.

Die Kluft zwischen Arm und Reich ist groß

Schon angesichts der allgemein beengten Wohnverhältnisse – wer von einem Haus mit Garten träumt, muss dafür locker den Gegenwert von rund 25 000 Euro im Monat zahlen – leuchtet ein, dass die Hausmädchen den freien Sonntag außer Haus verbringen (müssen). Zu Tausenden picknicken sie auf Gehwegen und Grünstreifen der Innenstadt, eine friedliche Belagerung, die die Bewohner der Stadt daran erinnert, dass Geld haben und nicht haben auch das wohlhabende Hongkong in zwei Lager teilt.

Seit Hongkong 1997 an China zurückgegeben wurde, ist die Bevölkerung internationaler geworden. Die Glücksritter, zumeist aufstrebende Banker, strömen aus allen Teilen der Welt hierher. Aber auch Festland-China weiß um die Attraktivität des Inselreichs, das nicht zuletzt als Heiratsmarkt Chancen bietet.

Die Geschichten derer, die es in Hongkong geschafft haben, werden erzählt wie Mythen: die von Tung Ho, der sein Geld in der Schwerindustrie machte und sich ein Haus auf dem Victoria Peak baute, dem Hausberg von Hongkong Island, dort, wo ab 1842, als China die Insel an Großbritannien abtrat, kein Chinese wohnen durfte.

Geld ist der Motor der Stadt

Oder vom legendären Li Ka-shing, einem Selfmademan vom Festland ohne Schulabschluss, der seinen Wohlstand auf die Herstellung von Plastikrosen gründete, bevor er mit Grundstücken ein Vermögen machte und heute Kopf eines Imperiums ist, zu dem Elektrokonzerne, Flughäfen und Häfen, Banken und Beauty-Produkte gehören. Unter anderem. Zu erkennen ist der Mann an seiner alten Seiko- Uhr und der 20 Jahre alten Brille, weiß man in Hongkong. Und ehrfürchtig wird erzählt, dass er mit seinen 86 Jahren nicht nur Golf spiele, sondern auch noch täglich ins Büro gehe.

Geld ist der Motor der Stadt und eigentlicher Antrieb ihrer Bewohner. Die architektonischen Wunderwerke sind mit Werbeplakaten gepflastert, Einkaufszentren wie Harbour City auf der Halbinsel Kowloon, wo Kreuzfahrtgäste unmittelbar in die 450 Geschäfte gespült werden, sind groß wie Kleinstädte.

Konsum ist hier ein Imperativ, dem sich kaum jemand entziehen kann. Wer es dennoch schafft, kann etwas Wunderbares erleben. Denn während die Lichter der Geschäfte funkeln und die Kreditkarten glühen, taucht die Abendsonne Meer, Hafen und die vom 88 Stockwerke hohen International Finance Center dominierte Skyline Hongkongs in goldenes Licht.

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