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Künstlerviertel 798: Systemkritik teilweise erlaubt.

© Christina Franzisket

Reise-Tagebuch: China per Bahn live (2): Schweinefleisch süß-sauer

Christina Franzisket erkundet Peking und ist zu Gast in einer Berufsschule, besucht das Künstlerviertel 798 und die Hutongs. Entspannung findet sie schließlich am Houhai See, wo zahlreiche Bars zum Verweilen einladen.

Die Flammen zügeln einen halben Meter hoch aus dem Gasherd, Meister Wung schmeißt seinen riesigen Wok hin und her. Es dampft und zischt, die Luft ist voller schwerem Fettgeruch. Mit großen Augen schauen seine beiden Lehrlinge, meine Reisegruppe und ich ihm dabei zu. Der Meisterkoch hat soeben demonstriert, wie er ein Schweinefleisch süß-sauer zubereitet. Mit hoher Kochmütze, weißem Hemd und ernster Mine schnellte sein Messer gekonnt durch Fleisch, Paprika und Annanas. "Zack", da haut er auf eine Knoblauchzehe. Platt wie eine Flunder liegt sie da. "Hack, hack, hack", nun sind es perfekte kleine Knoblauchkrümel. "Alles mit einem Messer", sagt unser Guide Lu, "das ist Harmonie."

Wir sind heute zu Besuch in einer Berufschule. Hier werden junge Chinesen in handwerklichen Berufen ausgebildet. Nach der Kochshow dürfen sich einige der Mädels aus meiner Gruppe von Auszubildenden Kosmetikerinnen die Fingernägel lackieren lassen. Hier in der Schule sind wir keine "Aliens". Im Treppenhaus treffen wir auf eine andere deutsche Reisegruppe und im Klassenzimmer der Kosmetik stecken plötzliche noch mehr Deutsche neugierig die Köpfe hinein.

Auf dem Pausenhof sind Basketballfelder und es kommt zu einem Match zwischen uns und einigen Schülern. Dass wir Langnasen nicht den Hauch einer Chance gegen die agilen, flinken Chinesen hatten, versteht sich eigentlich von selbst. Wie Flummies sprangen die Dünnen zum Korb hoch, um den Ball darin zu versenken. Die robusteren Kerle unten ihnen waren dafür treffsicher aus der Ferne. Nach dem Mittagessen verließen wir die Vorzeigeschule und machten uns mit der U-Bahn auf zum Künstlerviertel 798. In den ehemaligen Industierhallen wurden Waffen hergestellt. Nach der Stilllegung zogen Künstler in die Hallen und es wurde ein beliebter Ort für Einheimische und Touristen.

Barviertel am Houhai: Endlich angekommen in China.
Barviertel am Houhai: Endlich angekommen in China.

© Christina Franzisket

Eine Stunde Zeit ist einfach zu wenig für dieses gigantische Viertel

Das erkannte auch die Regierung und investierte in das Projekt. "Sie wollten auch etwas Buisness machen", sagt Lu. Mehr und mehr Künstler zogen ein, um ihre Werke zu verkaufen. In den Ateliers und Verkaufsräumen der Künstler findet man wohl die einzige öffentliche Systemkritik in Peking überhaupt. Die Kunstwerke prangern zum Beispiel die Gewalt des Militärs an oder halten den Kommunismus hoch. Eine Stunde Zeit ist einfach zu wenig für dieses gigantische Viertel, dass wie ein eigenes Dorf aufgebaut ist. Doch wir ziehen weiter.

Ich mache mich mit meiner Mitreisenden Sabine auf ins "echte Peking". Wir besuchen die Wohngegend der Einheimischen, die Hutongs, was übersetzt Seitenstraße bedeutet. Nicht mal ein Meter breit sind die Wege, die zu den Bungalows führen. Tür an Tür wohnen hier Chinesen und teilen sich WC und Dusche. "Ni Hao", werden wir freundlich an jeder Ecke begrüßt. Aus einem Hauseingang duftet es nach frisch Gekochtem und vor einem anderen sitzen drei Männer und trinken Bier. Sie möchten, dass wir bleiben.

Wir erreichen zu Fuß den Houhai See. An seinem Ufer finden wir zahlreiche Bars und Restaurants. Junge, modische Chinesen kommen uns in Scharen entgegen. Paare sitzen verschlungen auf Steinbänken. Snoop Dog und Lady Gaga dröhnt aus Boxen, überall blinken Leuchtschriften. Wir nehmen Platz auf einer Dachterrasse, trinken ein Tsing Tao, ein chinesisches Bier, und beobachten das Treiben. Die Geräuschkulisse aus krächzender Musik, Klingeln der Fahrradrikschas, Hupen der Autos, Geplapper der Einheimischen - die Gerüche nach Fett und Gegrilltem, der Trubel - ich liebe ihn und genieße mit allen Sinnen. Jetzt bin ich angekommen in China.

Morgen fahren wir zur Chinesischen Mauer. Noch bin ich nicht so begeistert, mich interessieren eher die Menschen hier. Doch ich lasse mich gerne umstimmen…

Christina Franzisket

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