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Venedig des Ostens wird Suzhou auch genannt. Warum, das können Besucher während einer Bootstour auf den Kanälen erkennen.

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Suzhou: Lotusblumen am Königskanal

In der Millionenmetropole Suzhou blüht das alte China. Noch. Denn auch diese Stadt wird rasant modernisiert.

Im „Garten des bescheidenen Beamten“ gedeihen – man mag es in Anbetracht des Namens kaum glauben – prachtvolle Lotusblumen. Wahre Wälder der gigantischen Wasserpflanzen streben langstielig und für Bewunderer unerreichbar aus einem lang gestreckten Teich, an dessen spitzem Ende sehr malerisch ein Pavillon mit schwingenden Dächern wie eine Pagode thront. Ihre riesigen Blätter bilden ein Dach aus lauter Schirmen, von denen der Regen abperlt. Dazwischen haben sich rosarot dicke Knospen und volle Blüten ihren Weg in die Sonne von Suzhou gebahnt.

Im Gegensatz zu unseren heimischen Seerosen schwimmen Lotusblumen nicht auf dem Wasser. Sie tragen Knospen, Blüten und Samen zugleich. An diesem Ort symbolisieren sie Chinas Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sind die Lotusblumen mal abgeblüht, puhlt der naschhafte Chinese die Eichelfrüchten gleichenden Nüsse aus dem Fruchtstand, schält sie und knabbert. Ihr Geschmack ähnelt dem von Mandeln. Geröstet oder kandiert sind sie besonders köstlich. Auch die Wurzeln der Lotuspflanzen, in Essig, Ingwer und Zitrone gebadet, gelten als Delikatesse.

Der Garten, in dem die Lotusblumen dominieren, gehört zu den sogenannten Literatengärten Suzhous. Er erstreckt sich über 50 000 Quadratmeter im alten Stadtteil der früheren Seidenstadt und wurde im 16. Jahrhundert von einem im Ruhestand befindlichen Beamten angelegt. Während der Zeit der Kulturrevolution wohnten Arbeiterfamilien in den pagodenartigen Gebäuden der historischen Anlage. Seit 1997 ist sie restauriert und seitdem wie andere Gärten in Suzhou für alle Menschen geöffnet.

Mal saßen hier die Töchter reicher Seidenfabrikanten

Zwölf Literatengärten wurden Teil des Unesco-Weltkulturerbes. Der „Garten des bescheidenen Beamten“ gehört jedoch zu Chinas wichtigsten Gartenanlagen. Heute spazieren Chinesen und Touristen über Hügel, durch Bambuswälder, kunstvolle Steingärten und Bonsaianordnungen vorbei an Pagodenhäusern, Pavillons und Wassern. Sie genießen die vollkommene klassische Gartenkunst alter chinesischer Gärtnermeister. Zu deren Zeit saßen hier die Töchter reicher Seidenfabrikanten. Sie stickten oder zupften die Zither. Jetzt füttern Touristen die ohnehin schon dicken Goldfische.

Altes Handwerk: Seidenstickerei
Altes Handwerk: Seidenstickerei

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Suzhou liegt im Osten der Volksrepublik China. Mit dem Hochgeschwindigkeitszug vom Flughafen Nanjing kommend, ist man flugs in Suzhou. Auch das 100 Kilometer weiter östlich gelegene Schanghai ist für chinesische Verhältnisse ganz nah. Als eine der ältesten Städte im Jangtse-Becken und an dem lange als Handelsweg dienenden Kaiserkanal gelegen, wird Suzhou auch „Venedig des Ostens“ genannt: wegen der vielen Stichkanäle, die den Stadtkern durchziehen. Marco Polo, im Reich der Mitte ähnlich allgegenwärtig wie hierzulande der Geheimrat Goethe, soll auch dort vorbeigekommen sein.

Auf jeden Fall ist Suzhou heute Partnerstadt des echten Venedigs. Davon, dass allein im Innenstadtbereich mehr als vier Millionen Menschen leben und unter Einbeziehung der Peripherie sogar elf Millionen, merkt man im Altstadtkern gar nichts.

Die Stadt zieht Touristen magisch an

Neuzeit: „Tor zum Orient“, 302 Meter hoch
Neuzeit: „Tor zum Orient“, 302 Meter hoch

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Suzhou ist heute unter anderem wegen der dort ansässigen Hightech-Industrie und Biotechnologie eine der boomenden Städte des Landes. Sie kann mehr als 20 Universitäten aufweisen und hat unzählige Forschungseinrichtungen. Suzhou zieht Unternehmen und Arbeitskräfte aus aller Welt offenbar magisch an.

Rechts und links der baumbestandenen Fußgängerzone Guanqian Jie ist es eher lauschig. Kleine Geschäfte stehen neben Buden und verkaufen Sonnenschirme, billige Seidenschals, Tuschutensilien und glitzernden Haarschmuck. Fliegende Händler bieten Lotusnüsse, Mirabellen und Trauben feil. Bunte Fächer und Hüte aus Holzplissier sollen die Touristen gegen die sengende Sommersonne schützen.

Jetzt könnte man noch weiter shoppen und in eine der letzten Seidenfabrikationen gehen. Oder Suzhous andere Gärten besuchen, wie den „Garten des Verweilens“ oder den „Löwenwald“. In letzterem hat Ieoh Ming (I.M.) Pei seine Kindheitsjahre verbracht. Der auch bei uns 2002 durch den Neubau am Deutschen Historischen Museum bekannt gewordene chinesisch-amerikanische Architekt Pei wurde in Suzhou in eine der reichen Familien geboren und lebt heute 96-jährig in New York. Der „Löwenwald“ war sein Kinder-Garten, lag auf dem Territorium seiner Ahnen und soll ihn für seine Arbeit inspiriert haben, heißt es.

Ein Museum zeigt kostbare Kunstschätze

I.M. Pei baute seiner Heimatstadt Suzhou 2006 ein neues Museum für die bald 50 Jahre bestehende Sammlung regionaler Kunstschätze, die bis dahin allein in der Residenz des Prinzregenten Zhong aus dem 19. Jahrhundert untergebracht war. 30 000 Keramiken, Reibsteine (für die Herstellung der Tusche), Kalligrafien und Gemälde aus der Region haben seitdem mehr Platz – und Suzhou ein Stück bedeutende Gegenwartsarchitektur.

Weißer Sandstein, umrahmt von grafitfarbenen Fliesen, erweckt den Eindruck, als habe Pei in seiner zackigen Schwarz-Weiß-Bauweise einen chinesischen Schriftzug markieren wollen. Stattdessen nahm er Bezug auf den alten Museumsteil. Drinnen reiht sich Pavillon an Holzwand. Die Schaukästen im Schummerlicht zeigen kostbare Scherben. Der Blick hinaus verliert sich in lichten Bambushainen und in eine Art Atrium. Dort sieht man Fußgänger mit aufgespannten Sonnenschirmen auf der schmalen Brücke übern Goldfischteich tänzeln.

Suzhou heißt „Wasser im Überfluss“

Als sanfter Einstieg zu einer Reise in die Wolkenkratzerwelt Schanghais ist Suzhous Altstadt eine Empfehlung, solange die betagten steinernen Bogenbrücken und historischen Häuser nicht der sich explosionsartig verdichteten Stadtlandschaft Platz machen müssen. Bis jetzt kann man die Kanäle und Flüsse befahren, die mehr und mehr Straßen weichen müssen.

Suzhou heißt übersetzt „Wasser im Überfluss“. Noch trifft das zu. Denn in China verdrängen die Wolkenkratzer wie im Sturmwind die alte Zeit. Denkmalschutz hin oder her. Wie Baumstämme ohne Laub wachsen sie zu Steinwäldern versammelt aus der Erde. Während der Schnellzug mit 300 Stundenkilometern gen Schanghai rast, kann man sie vorüberfliegen sehen.

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