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Kaffee zum Sonnenaufgang. Frühmorgens haben diese beiden Beduinen im Wadi Rum ein Feuer angezündet. Von hier starten Kameltouren.

© Sebastian Leber

Jordanien: Sand in Sicht

In Jordanien ist Frieden. Das weiß bloß nicht jeder. Deshalb bleiben seit Jahren die Touristen weg. In der Wüste kann das von Vorteil sein.

Okay, Quizfrage. Was sind das dort für kleine Löcher im Fels? Kreisrund sind sie, vom Umfang passt ein 50-Cent-Stück rein. Erste Vermutung: geheimer Ritualplatz der Beduinen. Zweite Vermutung: Eine seltsame Tierart gräbt Höhlen.

„Beides falsch“, sagt Raed, unser Guide. Schuld trage allein David Lean. So hieß der Regisseur des Films „Lawrence von Arabien“. 1960 wurde das Wüsten-Epos, das später sieben Oscars erhalten sollte, hier gedreht. Um in der schmalen Schlucht zwischen den zerklüfteten Felsen die Kameras rutschfest aufzustellen, haben die Banausen einfach lauter keine Vertiefungen in den Sandstein gebohrt. Wäre heute undenkbar, sagt Raed. Heute nehmen die Touristen alle brav ihre Plastikflaschen mit zurück in den Jeep.

Ansonsten hat der Mensch kaum Spuren hinterlassen im Wadi Rum. Stundenlang kann man durch die rötliche Wüstenlandschaft fahren, über Dünen wandern und die bizarren Krater bestaunen, ohne je einer anderen Reisegruppe zu begegnen. Womöglich ziehen ein paar Kamele am Horizont entlang, das war’s aber auch.

Wie angenehm, denkt sich der Besucher. Wie dramatisch, sagt der Beduine

Das Zeltlager, das Beduinen für Touristen am Fuß eines Granitplateaus angelegt haben, steht ebenfalls weitgehend leer. Nach Einbruch der Dunkelheit hocken Einheimische und Gäste nebeneinander auf Decken am Lagerfeuer und teilen sich Kaffee und Zigaretten. Aus einem Kofferradio quietscht Musik. Die hat ein Beduine selbst mitgeschnitten, auf der Hochzeit seines Cousins, im Hintergrund hört man Füße stampfen. „Da haben wir getanzt“, sagt der Mann in feinem Englisch. Ganz wunderbar sei das gewesen.

Dann schaut man gemeinsam hinauf zum Sternenhimmel und glaubt, man sei am Ende der Welt angelangt, abseits jeder Zivilisation, und man ist froh darüber. „Noch ein paar Datteln?“, fragt der Beduine. Aber gern.

Wie im Wadi Rum, das geologisch gesehen in Wahrheit keine Wüste, sondern ein riesiges ausgetrocknetes Flussbett ist, ergeht es Reisenden derzeit auch an vielen anderen Orten Jordaniens: Die Touristenhorden, die man angesichts der spektakulären Ausblicke ringsherum erwarten könnte, sind nicht existent. Wie angenehm, denkt sich der Besucher. Wie dramatisch, sagt der Beduine.

Früher war es anders. Noch in den Nullerjahren boomte der Tourismus Jordaniens. Doch das Dilemma dieses Staates ist seine geografische Lage. Die Tatsache, dass es im Norden an das kriegsgebeutelte Syrien und im Osten an den ebenso notleidenden Irak grenzt. Der „Islamische Staat“ ist keine Flugstunde entfernt.

Gerasa wurde nun noch ein zweites Mal verlassen

Jordanien selbst ist vom Terrorismus verschont geblieben. Obwohl es auch hier innenpolitische Spannungen gibt und die Muslimbrüder in den Armenvierteln beliebt sind, gilt das Land als Stabilitätsanker in der Region. Bloß was nützen Frieden und Sicherheit, solange die Touristen das nicht wissen? In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der ausländischen Gäste um 70 Prozent zurückgegangen.

Besonders plastisch wird der Schwund in Gerasa, einer Ausgrabungsstätte 40 Kilometer nördlich der Hauptstadt Amman. Jahrzehntelang wurden hier Tempelanlagen, Stadtmauern, Wohnbauten und Kolonnaden aus der Zeit der Römer freigelegt. Das Amphitheater sowie der dreiteilige, aufwendig restaurierte Triumphbogen gelten als archäologische Sensationen. Das Problem ist nur, dass kaum einer mehr diese Sensationen bestaunen möchte.

Die wenigen Gäste sind Einheimische aus Amman und Umgebung. Das Hippodrom, in dem Touristen vor drei Jahren noch mehrmals täglich mit Wagenrennen und Gladiatoren-Schaukämpfen bespaßt wurden, ist verwaist, auf der Rennbahn wuchert Unkraut. Jetzt grasen dort zwei freilaufende Pferde. Sie waren früher Teil der Show. Gerasa ist ein trauriges Kuriosum: eine verlassene Stadt, die wiederentdeckt und hübsch hergerichtet und nun noch ein zweites Mal verlassen wurde.

Trubelig wird es nur einmal kurz, als eine Schulklasse das gepflasterte Forum am Fuß des Zeus-Tempels stürmt und die einzige Besuchergruppe aus dem Ausland umringt. Jedes Kind will jetzt sofort ein Handyfoto mit den exotischen Europäern machen oder zumindest Hände schütteln. Der Lehrer versucht, seine Schüler durch wildes Geschrei zu disziplinieren, resigniert dann aber und setzt sich am Wegesrand in den Schatten.

Am Toten Meer ist ein Sonnenbrand ausgeschlossen

Tausende Gläubige pilgern jedes Jahr an den Ort, wo Jesus im Wasser des Jordan Christian getauft worden sein könnte.
Tausende Gläubige pilgern jedes Jahr an den Ort, wo Jesus im Wasser des Jordan Christian getauft worden sein könnte.

© Jasmal Nasralla/dpa

Ein wichtiges Standbein des jordanischen Fremdenverkehrs ist eigentlich der Gesundheitstourismus am Toten Meer, durch das die Grenze zu Israel verläuft. Das Ostufer ist jordanisches Staatsgebiet, hier reiht sich inzwischen ein Luxushotel ans nächste. Der extrem hohe Salzgehalt des Meerwassers mildert Hautleiden, die Kessellage 430 Meter unter null verhindert jeden Sonnenbrand – die UV-Strahlen schaffen es nicht durch die Atmosphäre bis zum Boden.

Während die Badegäste wegen der Unruhen und Kriege im Nahen Osten in Scharen fortbleiben, hat eine andere Stütze kaum Einbrüche verzeichnet: der Bibeltourismus.

Das liege schlicht am Gottvertrauen der Gäste, mutmaßen die Hotelbetreiber. Pilger fühlten sich eben von höherer Macht beschützt, wenn sie ihren Urlaub mit biblischer Spurensuche verbrächten. Jordanien möchte sich als Wiege des Christentums präsentieren – und steht auch hier in Konkurrenz zu seinem Nachbarn Israel.

Das Wetteifern um die authentischeren, die historisch belegbareren Stätten hat komische Züge. Zum Beispiel die Sache mit der Taufstelle Jesu. Aus dem Matthäus-Evangelium ist bekannt, dass der Initialakt am Ufer des Flusses Jordan geschah – und dass sich anschließend der Himmel auftat, wobei Johannes der Täufer den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren sah. Aber wo genau war das?

Der Jordan ist zu einem Rinnsal geschrumpft

Lange pilgerten Christen ausschließlich zum von Israel kontrollierten Westufer. Inzwischen beansprucht Jordanien den wahren Taufort auf der gegenüberliegenden, östlichen Uferseite, also auf eigenem Territorium. Gestritten wird mit Gutachten und Gegengutachten, Vermessungen und Ausgrabungen.

Einig sind sich die Kontrahenten nur darin, dass der einst so prächtige Jordan längst zu einem unansehnlichen Rinnsal geschrumpft ist. Diese Restbrühe würde man heute keinem Religionsstifter mehr zumuten. Die Israelis entnehmen dem Fluss einfach zu viel Wasser für die Landwirtschaft, heißt es – oder aber die Jordanier, je nachdem, welche Seite man fragt.

1994 haben Israel und Jordanien Frieden geschlossen. Als Deutscher hört man in Jordanien ständig, bei den Israelis handele es sich um „Cousins“. Das klingt nach Vertrautheit, ja beinahe liebevoll. Und nach der Versicherung, dass Antisemitismus, der in so vielen Nachbarstaaten grassiert, in Jordanien erfreulich selten vorkommt.

Auf dem Berg Nebo soll Moses gestorben sein

Aber auch um die einstige Lage der alttestamentarischen Stadt Sodom gibt es Differenzen. Und sowohl Israel als auch Jordanien schmücken sich mit einem Felsen, dem man mit viel Fantasie von Weitem die Silhouette einer Frau andichten könnte. Dies ist die zur Salzsäule erstarrte Ehefrau von Lot, behaupten beide Lager.

Früher stapelten sich hier die Touristen: Heute stehen nur einzelne Grüppchen staunend vor der weltberühmten Grabkammer der Felsenstadt Petra in Jordanien.
Früher stapelten sich hier die Touristen: Heute stehen nur einzelne Grüppchen staunend vor der weltberühmten Grabkammer der Felsenstadt Petra in Jordanien.

© Simone A. Mayer/dpa

Ganz exklusiv hat Jordanien dagegen den 800 Meter hohen Berg Nebo. Dort auf dem Gipfel soll Moses gestorben sein. An vermuteter Stelle steht heute eine kleine Kirche, Papst Benedikt XVI. war schon zu Besuch. Dessen Foto entdeckt man hier häufig. Natürlich nicht annähernd so oft wie das Konterfei des omnipräsenten Abdullah II. bin al-Hussein. Er ist der König und so populär wie Günther Jauch und Joachim Gauck in Deutschland zusammen.

Es gibt 1001 Geschichten über seine Heldentaten, und als Tourist wäre es unhöflich, deren Realitätsgehalt infrage zu stellen. So heißt es etwa, Abdullah II. habe sich vergangenes Jahr persönlich in einen F-16-Kampfjet gesetzt, sei ins Nachbarland Syrien geflogen und habe dort Terroristen des „Islamischen Staates“ bombardiert. Er soll auch direkt vom Propheten Mohammed abstammen. Belegt ist sein Gastauftritt in der Science-Fiction-Serie „Star Trek Voyager“. Abdullah II. hat in Großbritannien und den USA studiert und gilt als Freund des Westens. Das Herz seiner Ehefrau Rania gewann er durch das Auftischen belgischer Schokolade.

Harrison Ford und Matt Damon drehten im Wadi Rum

Bundespräsident Joachim Gauck, der jordanische König Abdullah II. und Königin Rania unterhalten sich vor einem gemeinsamen Abendessen bei Gaucks Besuch 2015 in Jordanien.
Bundespräsident Joachim Gauck, der jordanische König Abdullah II. und Königin Rania unterhalten sich vor einem gemeinsamen Abendessen bei Gaucks Besuch 2015 in Jordanien.

© Sandra Steins/Bundespresseamt/dpa

„Das ist ja wie im Film.“ Dieser Satz erweist sich in Jordanien erstaunlich oft als richtig, denn nach dem Welterfolg des „Lawrence von Arabien“ entdeckte Hollywood das Land für sich, immer wieder nutzen Filmteams die rauen Landschaften als Kulisse. Seinen jüngsten Auftritt hatte Jordanien 2015 im Blockbuster „Der Marsianer“. Bei der staubigen Marslandschaft, auf der Matt Damon ums Überleben kämpfte, handelte es sich in Wahrheit ums Wadi Rum.

Und dann ist da natürlich die Felsenstadt Petra, Kulisse in Steven Spielbergs Kinohit „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“. Eine Reise durch Jordanien wäre nicht komplett ohne einen Abstecher dorthin. Vor 1500 Jahren war Petra die Hauptstadt der Nabatäer, eines besonders handelstüchtigen Nomadenstamms. Sie liegt versteckt in einer Schlucht, und das Unfassbare: Die Nabatäer hauten ihre Gebäude in den nackten Stein. Wie das technisch möglich war, ist umstritten, jedenfalls sind etliche Fassaden, viele von ihnen 20 Meter hoch, noch heute gut erhalten.

Die Felsenstadt ist Unesco-Weltkulturerbe, wurde 2007 zu einem der „neuen sieben Weltwunder“ ernannt. Wer sie besichtigen möchte, muss erst den 1,2 Kilometer langen, aber nur wenige Meter breiten Hohlweg durchlaufen. Früher drängelten sich hier die Touristen, heute kann man sich gut aus dem Weg gehen. Am Ende der Passage blickt man dann plötzlich auf den imposantesten Bau der gesamten Anlage: das „Khazne al-Firaun“, das Schatzhaus des Pharaos, wie die Beduinen heute sagen.

In der Schatzkammer fand Indiana Jones den Heiligen Gral

Tatsächlich handelt es sich um eine Grabkammer. Im Film traut sich Indiana Jones ins Innere, um dort den Heiligen Gral zu finden. In der Realität versperren Eisengitter den Eingang, aber wer möchte, kann abends auf dem Vorplatz eine Showdarbietung erleben, die im Wesentlichen aus einem Kerzenmeer (sehr beeindruckend) und einem Beduinen mit Panflöte (kein bisschen beeindruckend) besteht.

Die Fassade des Khazne al-Firaun ist übersät mit kleinen Löchern. Schon wieder Filmteam-Spuren? Nein, hier haben Beduinen einst ein Goldversteck vermutet und wild drauflosgeschossen, in der Hoffnung, sie fänden vielleicht die Öffnung zu einer verborgenen Kammer. Zum Glück hatten sie nur Gewehre und kein TNT.

Rechts vom Schatzhaus führt ein Weg in die eigentliche Schlucht. Zu beiden Seiten reiht sich eine Felsenfassade an die nächste. Schilder warnen davor, den hier bettelnden Kindern Geld zu geben. Solange diese Einnahmequelle nicht versiegt, werden die Eltern ihre Schutzbefohlenen nicht in die Schule schicken, glaubt die Regierung. Auch vom Mieten eines Esels wird dringend abgeraten. Die Tiere werden schlecht behandelt, müssen stundenlang in der Sonne ausharren.

Die Jordanier sind grandiose Geschichtenerzähler

Eine Menge Rätsel müssen die Archäologen in Petra noch lösen. Bis ins 19. Jahrhundert war nicht einmal die Existenz der Felsenstadt bewiesen, Petra galt als Gerücht wie Atlantis. Erst 1812 entdeckte der Schweizer Jean Louis Burckhardt den Zugang zur Schlucht.

Bei sämtlichen in Stein gehauenen Gebäuden handelte es sich um Grabkammern, glaubt man heute. Und dass alle übrigen Bauten herkömmlich errichtet wurden und deshalb die Zeit nicht überdauerten. Die Nabatäer hatten hier ein Handelszentrum. Glaubt man den heutigen Beduinen, waren die Nabatäer die zuverlässigsten, umtriebigsten und stärksten Menschen der Erdgeschichte.

Ob das so war? Man weiß es nicht. Die Jordanier sind grandiose Geschichtenerzähler. Es kann einem passieren, dass ein Beduine todernst behauptet, die deutschen Rennfahrer-Brüder Schumacher seien bloß zur Hälfte deutsch, weil sie eigentlich einen jordanischen Vater hätten – das sei ja wohl bekannt! Und man selbst sitzt da und kann nicht mal den Gegenbeweis ergoogeln, weil das Smartphone in der Wüste keinen Empfang hat.

Mitten in der Schlucht von Petra ertönt plötzlich eine Sirene, ein Krankenwagen fährt vor, auch Polizei. Etwa doch ein Terroranschlag? Von wegen, eine Touristin hat bloß den abgesteckten Weg verlassen und sich dann im Geröll den Fuß verknackst. Sofort ist Hilfe da. Die Jordanier wissen, dass dies ihr wichtigstes Kapital ist: die Sicherheit.

Nonstop von Frankfurt nach Amman

KLIMA
Die beste Reisezeit sind die Monate März bis Mai sowie Oktober bis November. In den Sommermonaten kann es leicht über 30 Grad warm werden, wobei die Temperatur nachts um bis zu 20 Grad abfällt. In Akaba am Roten Meer kann man das ganze Jahr über baden.

ANREISE
Jordaniens nationale Fluggesellschaft Royal Jordanian Airlines fliegt Amman nonstop von München und Frankfurt an. Lufthansa fliegt nonstop von Frankfurt.Ticketpreise: ca. 500 Euro.

VISUM
Das Touristenvisum kann bei Einreise am Flughafen erworben werden. Preis: 51 Euro.

VERANSTALTER
Stern-Tours bietet achttägige Rundreisen für 1170 Euro pro Person, Marco Polo für 1300 Euro. Bei Oasis kosten neun Tage 1600 Euro.

SICHERHEIT
Wegen der Kriege in der Region rät das Auswärtige Amt dringend von einer Reise in das syrisch-jordanische Grenzgebiet sowie in den Nordosten in die Grenzregion zum Irak ab.

SPRACHE
Englisch ist als Verkehrssprache weit verbreitet.

WÜSTENNÄCHTE
Im Wadi Rum Night Luxury Camp schläft man in komfortablen Zelten, es gibt Duschen, ab 115 Euro pro Nacht und Paar. Andere Anbieter sind jedoch deutlich preiswerter.

REISEFÜHRER
Walter M. Weiss u. Julietta Baums: Jordanien, Verlag Polyglott on Tour, 2015, 12,99 Euro.

AUSKUNFT
Jordanisches Fremdenverkehrsamt.

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