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Wenig Tiefgang. Die „Mekong Explorer“, ganz aus Holz gebaut, kann nahezu überall anlegen. So entdecken Touristen Regionen, die zu Fuß kaum erreichbar sind.

© Barbara Schaefer

Mekong: Am Fluss der Weisheit

Hier Thailand, dort Laos: Die „Mekong Explorer“ pendelt zwischen zwei faszinierenden Ländern.

Für die Nacht haben wir an einer Insel festgemacht. Niemandsland zwischen Laos und Thailand, kaum mehr als eine Sandbank, die sich in eine langgezogene Kurve des Mekongs schmiegt. An den flachen Ufern links und rechts drängt das Grün heran. Im gelblichen Abendlicht glänzt der Fluss. Die „Mekong-Explorer“, unser mahagonifarbenes Holzschiff, braucht keinen Pier und keinen Steg zum Anlegen. Die Mannschaft rammt Eisenpflöcke in den Sand, zieht das zweistöckige Schiff längs, und dort bleibt es dann auch schön liegen.

Während wir ein rustikales Picknick mit Lagerfeuer erwarten, schleppt die Crew Mobiliar an den Strand. Stühle, Grill, Tische, Fleisch und Gemüse und zwei Kisten BeerLao, das einheimische Bier. Wir fahren den Mekong flussaufwärts, von Vientiane in Richtung „Goldenes Dreieck“. Scheinbar gemächlich wälzt sich der Fluss durch sein Bett. Wie wär’s mit einem Bad? Bräunlich und angenehm temperiert ist das Wasser. Zuerst tauchen wir nur die Knöchel hinein, gehen mal bis zu den Knien weiter, und schließlich werfen wir uns mit diesem „ach, was soll’s, wie oft im Leben hat man diese Chance?“ in den Strom. Wir schwimmen im Mekong! Doch so einfach ist es nicht – der Fluss nimmt uns einfach mit. Auch sportliche Schwimmer kommen gegen die Strömung keinen Meter vorwärts. Dabei dünkte der Mekong von Deck aus so gemächlich ...

„Der Bau unseres ersten Schiffes, der ,Mekong Sun‘, war ein Pionier-Projekt“, sagt Phetchamphone Khoundala, der sich der Einfachheit halber als „Herr Oth“ vorstellt. Er stammt aus dem Süden von Laos, hat in Leipzig studiert und begleitet uns auf dieser Reise. Seine Kindheit hat der 51-Jährige unweit des Flusses verbracht. Seine Eltern wollten ihn zum Studium nach Europa schicken. Damit meinten sie: Russland. Oth protestierte, er hatte in der Schule Französisch gelernt, die Sprache der einstigen Kolonialherren, er schrieb also bereits das schnörkelreiche Laotisch, das geradlinige Latein – und hatte keine Lust, sich auch noch mit Kyrillisch, einer dritten Schriftsprache auseinanderzusetzen. Er entschied sich für Leipzig, kam 1989 und blieb bis 1995. Das war zu jener Zeit kein sozialistischer Bruderstaat mehr. Nach der Rückkehr schickte ihn Laos daher drei Monate zur politischen Schulung, „da wurde mir der Kopf gewaschen“.

Zweistöckiges Passagierschiff - eine diffizile Angelegenheit

Er gründete schließlich eine Reiseagentur, und als Hans Engberding, gebürtiger Westfale und Chef des Berliner Veranstalters Lernidee Reisen, ihn 2004 fragte, ob er für Fahrten vom Dreiländereck Laos, Thailand, Myanmar bis nach Luang Prabang ein Passagierschiff bauen könne, sagte Herr Oth: nein. Allerdings versprach er, „sich mal umzuhören“.

Der Neubau war eine diffizile Angelegenheit, denn auf dem nördlichen Mekong verkehrten üblicherweise nur Schiffe mit einem einzigen Deck. Die Balance bei höheren Aufbauten hinzubekommen, sei nicht so einfach gewesen, sagt Herr Oth, da Schiffe hier kaum Tiefgang haben dürfen. Denn der Mekong führe vor der Regenzeit wenig Wasser. Der größte Strom Südostasiens entspringt tief im Inneren des Kontinents, in gut 5000 Meter Höhe in Westchina. Er fließt lange durch China, durch Laos, Myanmar und Thailand, bevor er nach mehr als 4200 Kilometern in Vietnam ins Südchinesische Meer mündet. Die Konstruktion des zweistöckigen Schiffes gelang, 2006 war die „Mekong Sun“ mit zwölf Kabinen einsatzbereit, und bereits 2010 folgte die etwas größere „Mekong Explorer“.

An unserer Sandbank legen drei Langboote an. Sie kommen vom östlichen Ufer des Flusses, aus Laos. Der Mekong war in seinem Mittellauf die Lebensader im laotischen Kernland – heute ist er der Grenzfluss zwischen Thailand und Laos. Genauer gesagt zwischen der nördlichen Thai-Provinz Isan und Laos, die wie siamesische Zwillinge an diesem Strom liegen, hier gemeinsam ihre Wurzeln nährten, fast die gleiche Sprache sprechen, die gleichen höllenscharfen Speisen essen, und sich erst in jüngster Vergangenheit, mit Sozialismus im mit knapp sieben Millionen Einwohnern dünn besiedelten Laos und boomendem Tourismus in Thailand, auseinanderentwickelten.

Die Langnasen fühlen sich unwohl

Herr Oth erklärt, die Dorfbewohner mit den Langbooten bereiteten jetzt für uns, wie traditionell für Besucher, eine Zeremonie vor. Die etwa ein Dutzend Alte, Junge und Kinder legen Bastmatten im Sand aus. In der Mitte ist eine Etagère mit Opfergaben – Süßigkeiten und Getränken –, obendrauf stehen zwei Kerzen und viele weiße lose Baumwollfäden. Dorfbewohner wie Touristen knien im Sand. Ein alter Mann – er sei Schamane, wird uns erklärt – stimmt einen Singsang an, in Lao und in Sanskrit. Alle Knienden halten ein Ende eines Baumwollfadens und bekommen so eine Verbindung zueinander. Das leuchtet ein und ist wohl das Essenzielle von Religion: Gemeinschaft stiften. Rund um uns leuchtet eine Lichterkette, gespeist von den Generatoren des Schiffes. Als das Licht ausfällt, flackern die Stromsparlampen kurz auf und verlöschen, unbeirrt spricht der Schamane weiter, nun nur noch beleuchtet vom Schein des Lagerfeuers.

Was der Mann spricht, ist nicht etwa ein ritueller Text, sondern er sagt: „Zum Wohle aller Menschen, zum Wohle vor allem der Kinder, seien sie schwarz oder weiß oder asiatisch. Auf dass sie eine gute Zukunft haben mögen.“ Die Langnasen fühlen sich unwohl. Was tun? Wie die Hände halten? Wie betreten sollte man blicken? Plötzliche Heiterkeit, die Frauen werfen Reis. Dann binden die Kinder uns allen die weißen Fäden ums Handgelenk. Bald haben wir ein Gewirr aus Bändern an den Händen.

Täglich tuckern wir weiter gen Norden. Am Morgen liegen die Motten vom Abend wie Wolken welker Blätter auf dem Wasser. Immer wieder legen wir an, können Ausflüge unternehmen, mal links vom Fluss, mal rechts vom Fluss, obwohl auch das Dahinschippern etwas unglaublich Schönes hat. Auf der laotischen Seite gleiten wir in Langbooten den Nebenarm Khading hinauf ins Dorf BagBang. Es geht durch den Dschungel, kleine weiße Vögel und gelbe Schmetterlinge fliegen auf. Siebzig Familien sollen in dem abgelegenen Dorf leben. Aber dies sieht anders aus, als wir erwarten.

Seife, Zahnpasta und gekochte Maiskolben

Schick in Schuluniform. Diesen Mädchen im Dorf steht sie besonders gut.
Schick in Schuluniform. Diesen Mädchen im Dorf steht sie besonders gut.

© Barbara Schaefer

Zwischen verbliebenen typischen Holzhäusern knallen bonbonbunte Betonbauten ins Auge. Überall wird gebaut, gebohrt, gewerkelt. Eine Frau erzählt, sie habe die Teakholz-Balken ihres alten Holzhauses verkauft, das Holz wird nach China und nach Thailand exportiert. Davon konnte sie sich den Neubau leisten. Kinder wuseln in Schuluniformen umher, Mädchen fahren oft zu zweit auf zu großen Rädern, eines vorne, und eines hinten, auf einem zweiten schwarzen Kunstledersattel.

In Thailand bringen uns Busse ins Felsenkloster Phu Tok. Luang Pho Yaeng, seit dreißig Jahren Abt, erteilt eine Audienz. Er sitzt in seiner safrangelben Kutte auf einem niedrigen Hocker, unser Begleiter hat Geschenke besorgt: Seife, Putzmittel, Zahnpasta, gekochte Maiskolben. Alles kommt auf ein großes Tablett, wir knien im Kreis um den Abt, die vordersten überreichen die Gaben, die hinteren fassen die vorderen an, so gilt das Geschenk als von allen gebracht. Vor einem Menschen zu knien, wir machen das nicht gern.

Der Abt sagt, es gehe im Leben darum, Begehren zu unterdrücken, zu vergessen, wie gutes Essen schmeckt, an schöne Frauen nicht zu denken. „Zu wollen ist nicht gut“, sagt er. Das macht dich unglücklich. „Nichts bleibt. Alles kommen und ziehen lassen.“ Dann überreicht er seine Visitenkarte und zündet sich eine Zigarette an. Vorsichtig fragen wir später unseren Begleiter, der sich selbst als gläubigen Buddhisten bezeichnet, wie sich das Zigarettenrauchen mit der Absage an alle Bedürfnisse vereinbaren lasse. Salomonisch antwortet er, Rauchen sei ein neues Laster, das gab es zu Buddhas Zeiten noch nicht, „und deswegen ist es vielleicht keine Sünde“.

„Zu schwierig für die Gäste“

Mit irdischer Müh’ und Plag’, nämlich mit körperlicher Anstrengung in schwülwarmem Dschungelwetter, machen wir gleich noch Bekanntschaft. Wir steigen zum Felsenkloster hinauf. Um einen Sandstein-Monolithen führen Holzplanken aus Teak, mit Bambusrohren und Nägeln vage befestigt, einmal um den Berg. Blicke ins Bodenlose. Immer wieder stehen in Nischen Buddha-Statuen, und daneben kühlschrankgroße Tresore mit Spendenschlitz.

Jedes Mal, wenn wir von einem Ausflug zurückkehren, reicht uns Kellner Joy kleine eisgekühlte Waschlappen, mit denen wir uns den Staub des Tages aus dem Gesicht wischen. Joy ist sein ins Englische gedrehter Spitzname, auf Laotisch heißt er Choy: „Das heißt klein, ich war ein zierliches Kind.“ Mit richtigem Namen heißt er jedoch Xaiyavong Anousone, „zu schwierig für die Gäste“, sagt Joy.

Bald schwimmt die „Mekong Explorer“ weiter flussaufwärts, links breiten sich hinter befestigten Uferböschungen Kautschukplantagen aus. Rechts hingegen, in Laos, zeigt sich die Landschaft grün, hügelig, weniger bebaut. Der Flusslauf war Teil des sogenannten Bambusvorhangs. Doch was so leicht und wie von tropischen Lüften sacht bewegt klingt, war eine Grenze, fast so dicht wie der Eiserne Vorhang in Europa. Sie trennte das westlich orientierte Thailand von der Demokratischen Volksrepublik Laos.

Schmuggel? Ja, das gebe es

Kapitän Khao fährt seit mehr als 30 Jahren auf dem Fluss. Er lehnt an einem hohen Stuhl, hält sanft das Steuerrad aus Holz, und blickt immer geradeaus auf den Fluss. Er arbeitete auf einem Transportboot, wie schon sein Vater. Sie brachten Kleidung, Salz und Waren von Vientiane in den Norden, und von dort Gemüse, Reis und Holz in die Hauptstadt. Sein Navigator Mr. Kang verlässt die Brücke, er hält einen kleinen Teller mit Bananen, Zigaretten und Blüten in der Hand. Wir passieren einen gefährlichen Engpass, und Mr. Kang wirft die Opfergaben in den Mekong. Jeden Abend machen sie das, sagt er. Und sie zünden Räucherstäbchen an und bitten die guten Geister des Flusses, „dass sie auf uns aufpassen, damit wir ruhig schlafen können.“ Andere Schiffe sehen wir kaum. Der Kapitän sagt, früher war der Mekong voller Schiffe, aber nun gibt es Straßen. „Das ist schneller und billiger“.

Tempel in Luang Prabang
Tempel in Luang Prabang

© Rauchweiter/pa

Zudem sei der Mekong schwer zu befahren. In der Trockenzeit lauern Sandbänke, jetzt werden Holzstämme herangeschwemmt, „ich darf den Fluss keine Minute aus den Augen lassen“. Früher habe er Tiere gesehen, Wildschweine und Rehe schwammen im Mekong. Doch das sei vorbei. Der thailändische Dschungel wurde abgeholzt, „dort versteckten sich kommunistische Partisanen“. Schmuggel? Ja, das gebe es. Noch bis vor ein paar Jahren wurden Hunde nach Vietnam geschmuggelt, „die sind dort eine Delikatesse“. Vor allem jedoch werde Tropenholz illegal über die Grenze von Thailand nach Laos gebracht und dann weiter nach China und Vietnam. Zudem, auch wenn es weit weniger sichtbar ist, wird Heroin aus den Anbaugebieten in den Regionen um das „Goldene Dreieck“ geschmuggelt. Das hat Tradition. Als relativ neues Übel ist Jaba hinzugekommen, eine Droge aus dem Abfall von Crystal Meth. Jaba, das bedeute aus schlechtem Grund: Medizin, die dich verrückt macht.

Einfach nur Einheimische

Abend in Pakxan, auf der laotischen Seite des Mekong. Unterm Licht der Neonröhren belebt sich die Promenade, Anwohner bauen ihre Stände auf, stellen bunte Plastikhocker bereit. Nachbarn strömen herbei, junge Frauen zu zweit auf Mofas, Männer mit Mopeds, viele auf Rädern, manche zu Fuß, manche im Geländewagen. Aus Ghettoblastern tönt Thai-Pop. An den Tischen servieren sie Ei mit Huhn, eine Spezialität. Genauer gesagt: Ei mit Huhn drin; die winzigen Küken werden mitgekocht und mit verspeist. Auch gerne gegessen: höllenscharfer Papaya-Salat.

Auf unserem Schiff bereitet die Köchin den „Tham Mak Hung“-Salat mit einer Chili-Schote, wie sie am Nachmittag beim Kochkurs erzählt hatte. An Land nehmen sie sieben Schoten. Sieben. Kein Problem, denn gegessen wird der klein geschnippelte Salat ausschließlich von Einheimischen. Touristen kommen dort nicht vorbei.

Wir wenigen Menschen, die abends die „Mekong-Explorer“ für einen Spaziergang verlassen, sind die einzigen Farang. Die einzigen „Franzosen“, wie Ausländer generell genannt werden. An der Uferpromenade ist noch nicht einmal ein Traveller-Pärchen zu sehen. Keine Rucksacktouristen, keine Studienreisenden, keine weißen Geschäftsleute. Einfach nur Einheimische. Und über ihren Köpfen ziehen sich Stromleitungen entlang, so wirr und gebündelt wie die Bändchen an unseren Handgelenken.

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