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Frankreich: Auf dem Wasserweg durch die Vogesen

Seemannsknoten und Schiffshebewerk: Eine Tour mit dem Hausboot hat ihre Tücken - doch schöner lässt sich das Elsaß kaum entdecken.

Es klingt wie die Zündung eines alten Ford 12 M, der nicht anspringen will. Immer wieder ein kurzes Aufjaulen, dann ein abruptes Ende. Batterie leer? Ein zu kalter Morgen? Was da jault, ist das Bugstrahlruder eines Hausbootes. Unseres Hausbootes. Die „Habicht“ soll uns auf dem Rhein-Marne-Kanal eine Woche durch Lothringen und das Elsaß schippern. Vater, Mutter und zwei Kinder. Wenn der Kapitän es nautisch auf die Reihe bekommt. Aber da sehe ich keine Probleme, schließlich bin ich der Kapitän. Das habe ich der restlichen Besatzung schon bei der Anreise unmissverständlich klargemacht.

Und der Kapitän kämpft soeben mit dem Bugstrahlruder – trotz Einweisung durch erfahrenes Fachpersonal. Da hier führerscheinfrei gefahren werden darf, ist das Pflicht für alle Hobbykapitäne. Drei Stunden Bord-Briefing: Wie ein Seemannsknoten, wie das Schleusen funktioniert, welche Pumpe beim WC benutzt wird. Und eben, wann das Bugstrahlruder hilft. Im Moment tut es das nicht.

Höchste Kapitäns- Konzentration beim Ablegen in der Marina Niderviller. In dem kleinen Hafen liegt ein knappes Dutzend „Kormorane“, wie die Baureihe unseres Hausbootes heißt. Wir haben uns für diesen Klassiker entschieden, der nach Boot und nicht nach Playmobil aussieht. Hier hat alles Sinn und Verstand, was auf 11,40 Meter Länge untergebracht ist: zwei Kabinen, zwei Nasszellen, Salon mit Steuerstand, Pantry, Sonnendeck mit zweitem Steuerstand. Die Kinder sind die Matrosen (auch wenn sie beide eine Kapitänsmütze tragen), Ehefrau ist Smutje und Staff-Captain. Und ich habe den Hut auf. So einfach funktioniert die Hausboothierarchie. Das steht übrigens auch im Bordhandbuch. Falls es eine Meuterei geben sollte.

Nach dem Ausparken der „Habicht“ die erste Kapitäns-Krise. Nicht mal ein Kilometer ist gefahren, da steht das Boot vor einem Tunnel. „Bitte zügig durchfahren, damit Sie das Schiffshebewerk noch erreichen!“ Wie bitte, was hat der Lotse aus Lothringen gesagt? Schiffshebewerk? Tunnel? So was erlebt der Kapitän der „Queen Mary“ in 40 Dienstjahren nicht. Im spärlich beleuchteten Tunnel (475 Meter) gelingt es dem Schiffsführer allerdings selten, die Spur zu halten.

Der Smutje kocht dem Kapitän eine Tasse Beruhigungstee. Er braucht eine Kanne, denn nach diesem Tunnel kommt bereits der nächste. Und der ist 2,3 Kilometer lang – wir sind in den Vogesen. Beruhigend: Der Tunnel ist eine Einbahn-Wasserstraße, die Fahrtrichtung wird mit Signalen geregelt, Kollision unmöglich.

Einst wurden die Schiffe hier mit Schleppbooten durchgezogen, dann mit elektrischen Winden, und jetzt darf es jedes Boot aus eigener Kraft. Und die gilt es nun noch einmal zu bündeln: Vor uns liegt ein monumentales Bauwerk des europäischen Kanalwesens: das Schiffshebewerk Saint-Louis-Arzviller. Auf der Müritz dümpelt man tagelang, hier jagt eine Aufregung die nächste. Mit einem fahrbaren Trog werden die Schiffe 44,50 Meter in die Tiefe gelassen. Früher musste sich die Berufs- und Passagierschifffahrt an dieser Stelle durch 17 Schleusen quälen. Das dauerte mal locker acht Stunden länger. Seit 1969 fahren die Schiffe nun Fahrstuhl. Auch die „Habicht“, dessen Kapitän den nur 5,5 Meter breiten Trog bereits im ersten Versuch getroffen hat. Die Besatzung ist stolz.

Am Fuße des Schiffshebewerks legen wir an für die Nacht und versuchen uns am Poller an den Seemannsknoten zu erinnern. Hausboot fahren ist trotz Einweisung immer auch: „Learning by doing.“ Und an diesem ersten Tag gab es „doing“ zur Genüge. Von wegen: außer Vogesen nichts gewesen. Erschöpft fällt der Kapitän in seine Koje. Die Sommerrodelbahn, direkt neben dem Hebewerk für Jungmatrosen gebaut, muss ausfallen.

Kleine Kartenkunde am nächsten Morgen. Es geht durch den landschaftlich schönsten Teil: zunächst durch Lutzelbourg, dann durch das Zorntal. „Beim Schleusen alle unter Deck! Nach 13 dieser Wassertore ist das Elsaß-Städtchen Saverne erreicht. Königlich der Liegeplatz direkt gegenüber dem Schloss Rohan. Wir fühlen uns wie Louis XIV. Auch wenn das Schloss erst nach seinem Tod, 1790, erbaut wurde. Der Landgang durch die Gassen von Saverne schweißt Kapitän und Crew immer mehr zusammen. Keine Busse, in die wir zum Ausflug gepfercht werden. Kein unerbittliches Landgangende um 17 Uhr 30. Und: heute kein Miracoli, sondern elsässische Küche. Die finden wir im Le Caveau de L’Escale, einem Weinkeller unweit vom Bootsanleger. Zurück an Bord ein Gläschen Chateau mit Blick aufs Chateau und das triumphierende Gefühl: „My Boat is my Castle.“

Diese kleine Kreuzfahrt entwickelt ihren besonderen Charme. Und wir beschließen: Wir hetzen nicht durch den Rhein-Marne-Kanal bis Straßburg. Und so suchen wir uns die nächsten Übernachtungen, wohin uns das Bugstrahlruder führt. Auch außerhalb der Marinas gibt es (markierte) Liegeplätze. Schnell ein frisches Baguette aus dem Dorf Dettwiller geholt, die Kinder spielen auf der Wiese vor dem Boot dann „Frühstück!“ Mehr geht nicht. Letzter Stopp in Lutzelbourg, dem idyllischen Dorf aus dem 12. Jahrhundert. Den schönsten Blick auf den Wasserweg hat man von der Burgruine, die in 320 Metern Höhe auf einem Sandsteinfelsen thront. Wir kraxeln hinauf – ein Landgang muss nicht 40 Euro pro Person kosten.

Und dann muss die „Habicht“ zurück nach Niderviller. Die Matrosen können den Seemannsknoten mittlerweile im Schlaf. Und auch das Ablegen ist kein Zufall mehr. Vor uns liegen ein Schiffshebewerk und zwei Vogesentunnel. Für einen erfahrenen Kapitän wie mich eine der leichtesten Übungen.

Uwe Bahn

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