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Herzig. Das Hardy Reef ist beliebt bei Tauchern und Schnorchlern. Besonders, wenn sie gerade in den Flitterwochen sind.

© rp-images/p-a

Australien: Haie haben ihre eigene Bucht

74 Eilande gehören zu den Whitsunday Islands in Australien, geschützt vom Great Barrier Reef. Ein ideales Revier fürs Segeln und Schnorcheln.

Nur ein Segelboot liegt im Nara Inlet, einem schmalen Fjord, der tief in die Landschaft von Hook Island ragt. Die Insel, die Teil des Whitsunday National Parks ist, sieht aus, als sei sie noch unentdeckt: Dichtes Gestrüpp erhebt sich über einem einsamen kleinen Strand, es gibt keine sichtbaren Hinweise auf Leben. Dennoch ist im Navigationsatlas, der Skipper John Allison mit seiner „Serendipity“ den Weg durch die Inselwelt vor der Küste Queenslands weist, lakonisch vermerkt: „Diese Bucht wurde früher Shark Bay genannt; wahrscheinlich, weil Hammerhaie hier ihre Jagdgründe haben. Nara Inlet ist also vermutlich nicht der beste Ort zum Baden.“

Vermutlich nicht. Die tropischen Traumlandschaften der australischen Nordostküste sind für Europäer eben nie ganz unbeschwert zu genießen. Ganzkörperanzüge schützen Schwimmer und Schnorchler vor tödlich giftigen Quallen, die allerdings – so die beruhigende Botschaft – in vielen Küstengewässern meistens nur zwischen Oktober und Mai auftreten.

Die Schreckensmeldungen von weißen Haien und ihren gelegentlichen Greueltaten stammen immerhin aus südlicheren Regionen, wo das Wasser kälter ist. Dafür gibt es hier neben harmlosen Riff- auch Bullen- und Hammerhaie. Anscheinend aber wissen die genau, wo sich die Grenzen ihrer Reviere befinden, weshalb in der nächsten Bucht schon wieder alles anders aussehen mag. Dennoch macht Australiens Tierwelt Uneingeweihte oftmals ein wenig unruhig. Einheimische hingegen neigen nicht selten zu Sorglosigkeit.

Als wir am Ufer mit den Schuhen in der Hand aus dem Schlauchboot klettern, bleibt John am Strand stehen. Ein Paar schwimmt zu seinem Segelboot zurück, alle Warnungen vor der Meeresfauna glückselig ignorierend. Unser Skipper wendet sich erst ab, als die beiden ihr Boot sicher erreicht haben.

John schüttelt ein wenig den Kopf und weist auf den schmalen Pfad, der ins Gebüsch führt. Steil geht es bergan. Es sind nur 170 Meter bis zu unserem Ziel: einer Höhle mit uralten Zeichnungen der Ngaro, dem ältesten Aborigines-Volk Queenslands und einzigen Seevolk Australiens. Doch die Hitze macht jeden Schritt zur Anstrengung.

Erschöpft starren wir auf die Zeichnungen der Ngaro, die bereits vor 9000 Jahren die Whitsundays durchstreiften. Sie galten als Seefahrervolk. Einige der Felsmalereien sind fast verblasst, andere leuchten, als wären sie eben erst gemalt worden. Doch die Farben und Muster wurden über viele Jahrhunderte übereinander aufgetragen. Mehr als 2300 Jahre lang bot die Höhle Schutz; noch immer ist sie ein heiliger Ort, während die Ngaro ausgestorben sind.

Die endlose Kette von Riffen ließ James Cook verzweifeln

Gefiederter Frühstücksgast – ein Gelbhaubenkakadu.
Gefiederter Frühstücksgast – ein Gelbhaubenkakadu.

© Bisping

Die 150 Jahre alten Glasscherben und Nägel weißer Händler, die hier gefunden wurden, lassen die Geschichte des weißen Australiens kurz wie ein Wimpernschlag erscheinen.

Einst lag die Höhle an der Küste des Festlands. Als der Meeresspiegel vor 6000 Jahren in Folge von Erderwärmung anstieg und eine Insellandschaft entstand, die noch heute aussieht wie grüne Bergkuppen, die aus dem Wasser ragen, passten die Ngaro sich an die neuen Lebensbedingungen an. Mit Booten verkehrten sie fortan zwischen den Inseln, jagten größere Fische und mussten sich dabei auch mit Haien auseinandersetzen.

Ihre Routen und heiligen Stätten auf Hook, Whitsunday und South Molle Island sind seit einem Jahr durch den sogenannten Ngaro Sea Trail miteinander verbunden. Urlauber können beim Inselhüpfen mit Kanu oder Segelboot auf unterschiedlich langen, gleichermaßen informativ beschilderten Wanderwegen Routen und Stätten der Ngaro erkunden – und folgen dabei auch den unsichtbaren Wegen, den „Songlines“, die eine gedachte und gesungene Karte des Landes bilden.

So lassen sich Segeln, Wandern und ein wenig Landeskunde in schönster Weise miteinander verbinden. Sogar die Seekrankheit und ihre höchst unerfreulichen Begleiterscheinungen halten sich in Grenzen. Denn das Great Barrier Reef schützt die 74 Inseln des Archipels vor der Wucht des Ozeans, ihre Gewässer sind frei von hohen Wellen und gefährlichen Strömungen.

Wirklich erkunden kann die im Zentrum des Great Barrier Reefs gelegenen Whitsundays ohnehin nur, wer seine eigene Unterkunft bei sich hat. Denn die meisten der Inseln sind unbewohnt. Und so sind wir auf Umwegen unterwegs von Hayman nach Hamilton: von der Resort-Insel, die wettergebeutelten Europäern mit den Rufen von bunten Kakadus und türkisfarben leuchtendem Meer, aus dem bisweilen Schildkrötenköpfe lugen, geradezu irreal erscheinen mag, zum lebhaften Mittelpunkt der Inselgruppe, entlang des Ngaro Sea Trails.

Nicht alle Reisenden erlebten in der Vergangenheit Inseln, Meer und Korallenbänke als wahre Glücksversprechen. James Cook beispielsweise segelte 1770 mit wachsender Verzweiflung in Richtung Norden, während er – nicht unähnlich den Alten in den überlieferten Liedern der Aborigines – Inseln und Orte benannte und hoffte, dass die endlose Kette tückischer Riffe irgendwann enden möge. Schließlich erreichte seine Trübsal ihren Höhepunkt, als die „Endeavour“ kenterte – am Cape Tribulation, am Kap des Kummers.

Die Ankunft der weißen Besucher bedeutete für die Ureinwohner trotz eines anfänglich interessant erscheinenden Tauschhandels bald Zwangsmissionierung, Verschleppung und Tod. Ab 1861 konnten sie ihren traditionellen Wegen nicht mehr folgen, da die Zäune der neuen Siedler sie versperrten.

Als die Sonne untergeht, kommen die gierigen Biester

Auf der Hut, Skipper John.
Auf der Hut, Skipper John.

© Bisping

Die mutmaßlich entfernt verwandten Nachfahren der Ngaro sind heute auf dem Festland heimisch. Ihre Stimmen tönen aus Lautsprechern, deren Existenz mitten in der Wildnis – nur auf dem Seeweg ist die Höhle erreichbar, das einzige Resort auf Hook Island befindet sich am gegenüberliegenden Ende der 53 Quadratkilometer großen Insel – kaum weniger überraschend ist, als einstmals die Ankunft weißer Seefahrer gewirkt haben mag. Auf Knopfdruck erzählen sie von einer Kultur, die so fremd wie faszinierend ist.

Das Leben auf den Hitze flirrenden, wasserarmen Inseln würde Ungeübten ohne Vorräte und Ausrüstung auch heute schnell massive Probleme bereiten. Für die Ureinwohner bedeutete der Fischreichtum neben ihrer Fähigkeit, giftige Früchte so zu verarbeiten, dass sie genießbar wurden, ein Leben im Überfluss.

Als wir am Nachmittag die Westküste von Whitsunday Island erreichen und vor dem Sawmill Beach ankern, liegen bereits sechs, acht Boote im Naturhafen Cid Harbor. Am Strand zwängen sich drei Frauen in Schutzanzüge. Nur das Gesicht bleibt frei. Die exponierte Körperfläche ist so klein, dass sie sich im Ernstfall recht gut behandeln ließe. Und überhaupt, so erinnern und beruhigen wir uns, ist ja derzeit nur jene Quallenart unterwegs, deren Berührung zu zwar schmerzhaften, aber nicht fatalen Reaktionen führt. Im Gebüsch, wo ein Schild den vierstündigen Wanderweg zum Whitsunday Peak in seinen Etappen erklärt, raschelt ein eineinhalb Meter langes Echsentier – und verschwindet gemächlich im Unterholz. Vom Strand ist das nicht unangenehme Zischen sich öffnender Bierdosen zu hören.

Dann kommen die Midges: kleine, gierige Mücken, die sich unverzüglich über uns hermachen. „Irgendein Tier in Australien versucht eben immer, dich zu fressen“, sagt John lachend und sucht am Strand zwischen den identisch aussehenden Schlauchbooten der anderen Landgänger nach dem richtigen. Zurück an Bord gibt es kalten, frischen Sauvignon Blanc zum Sonnenuntergang, bevor wir den Gasgrill anwerfen, um Steaks und Schalentiere zu garen. Am Himmel funkeln fremde Sternbilder. Wir suchen Orion und das Kreuz des Südens und wünschen uns, es könnten noch viele Abende so verstreichen.

Im flachen Wasser weiden ganz besondere Meeresbewohner

Überzeugte Vegetarierin. Vor einer Seekuh muss sich niemand fürchten.
Überzeugte Vegetarierin. Vor einer Seekuh muss sich niemand fürchten.

© Dave Hunt/p-a

John erzählt aus seinem Leben: Wie er vor mehr als 20 Jahren seine Heimat südlich von Sydney verließ, um im tropischen Queensland zu leben. Wie er sich, obwohl gelernter Elektroingenieur, fünf Jahre lang auf Hamilton Island als Skipper verdingte, und wie er mit seiner Frau dann nach Brisbane ging, um in der Nähe von Tochter und Sohn zu sein. Heute genießt er den von gelegentlichen Segeltörns unterbrochenen Ruhestand und ist zugleich ein typisches Beispiel dafür, dass sich australische Biografien eher durch Wechsel als Konstanz definieren.

Nach einer Nacht in engen Kojen und unter berückendem Sternenhimmel setzen wir früh am Morgen über. Die teuflischen Mini-Mücken sind verschwunden, dafür hat die Flut den Zugang zum Wanderweg verschluckt. Über Steine balancierend und tief hängenden Ästen ausweichend, folgen wir dem Ngaro-Trail zum Dugong Beach.

Im flachen Wasser wächst Seegras, das Dugongs schätzen. Diese Seekühe, auch Gabelschwanzseekuh oder Seeschwein genannt, ähneln den Manatis, die mancher vielleicht schon an der Golfküste Floridas gesehen hat. Neben den großen Wasserschildkröten sollen die massiven, jedoch völlig harmlosen, pflanzenfressenden Meeresbewohner hier öfter auftauchen. Nur jetzt leider nicht. Allerdings ist auch kein Mensch zu sehen. Kristallklar kräuselt sich das Wasser.

Es ist schwer vorstellbar, dass sich am anderen Ende der Insel mit dem Whitehaven Beach ein Strand befindet, der aufgrund seiner puderzuckrigen Schönheit von örtlichen Tourismusexperten als „Nummer vier in der Weltrangliste für Heiratsanträge“ gehandelt wird (nach ähnlich unwahrscheinlichen Orten wie dem Pariser Eiffelturm, Pferdekutschen im New Yorker Central Park und venezianischen Gondeln). Wie die nebulöse Statistik erhoben wird, ist unbekannt; jedenfalls ist der sieben Kilometer lange Strand entsprechend gut besucht.

Am Dugong Beach hingegen ist der Sand nicht weiß und fein, sondern goldfarben und von Muschelsplittern durchsetzt. Dennoch besitzt diese kleine Bucht ihren eigenen Zauber: scheinbar fern der Welt, als wäre die noch unentdeckt.

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