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Lincoln Walker zeigt auf seiner Tour, wie Aborigines mit dem Speer fischen. Foto: laif

© Gerald Haenel/laif

Australien: Keine Angst vor Tentakeln

Wer mit Aborigines in Queensland unterwegs ist, lernt viel Neues – und hat jede Menge Spaß dabei.

„No worries, crocs here only in summer“, sagt Brandon und strahlt mit einem breiten Grinsen die ganze Gefahr weg, die das grellgelbe Krokodil-Warnschild am Strand signalisiert. „Und wenn doch ein Croc kommt“, witzelt er, „dann habt ihr ja eure Speere.“ Mit denen sollen seine Gäste Krabben jagen im kniehohen Pazifikwasser vor Cooya Beach an der australischen Ostküste. So wie Brandon Walker und seine Großfamilie es hier seit Generationen tun. Die Walkers sind Aborigines, Nachfahren australischer Ureinwohner und hatten vor Jahren eine Idee: „Wenn Touristen im nahen Great Barrier Reef für viel Geld zu Clownfischen schnorcheln und Walen beim Auf- und Abtauchen zuschauen, dann können sie ihre Scheine auch bei uns ausgeben und beim Speerfischen helfen.“

Anfangs stapfte Brandon mit seinem Bruder Lincoln noch oft alleine über Sandbänke und die angrenzenden, schlammigen Mangrovenwälder, doch heute Morgen begrüßen sie – wie meistens – eine ganze Busladung als Jagdgesellschaft. Aus Melbourne kommen sie, Silvie und Geert sind sogar aus Holland angereist. Mittags folgt schon die nächste Gruppe, also ins Wasser – marsch! Was auf den ersten Metern aussieht wie eine harmlose Wattwandertruppe mit überdimensionierten Nordic-Walking-Stöcken, mutiert im Nu zu einem barfüßigen Killerkommando. Jedenfalls aus Sicht der handtellergroßen Krabben. Die buddeln sich gerne unter Wasser in Sandlöcher ein. Und sind nun in Lebensgefahr, sobald Brandon ihr Versteck verrät. Von der schüchternen zehnjährigen Jasmin bis hin zum weißhaarigen Opa Geert – alle lassen ihre zwei Meter langen Bambusspeere mit den Metallspitzen durchs klare Wasser in die grauen Sandlöcher sausen.

Nach stolzer Präsentation vor klickenden Kameras wandert die matt zappelnde Beute in Brandons Eimer. „Ja, so besorgen wir bis heute unser tägliches Mittagessen“, erzählt der 36-Jährige und lädt wie zum Beweis nach jedem Fischzug alle Gäste auf die Terrasse seines Elternhauses. Frisch gekocht von Mama Walker wird hier der Fang verspeist, garniert mit Lincolns Didgeridoo-Grundkurs: Für den gurgelnden Grundsound einfach die Lippen am bemalten Holzrohr vibrieren lassen, springende Töne mit schnalzender Zunge beimischen und Vogellaute per Kehlkopf einstreuen. Die anschließenden Versuche mancher Gäste erinnern eher an Toilettengeräusche.

Mit touristischen Angeboten wie diesen tauchen Besucher ein in Alltag und Lebenswelt der Aborigines. Ein wichtiger Schritt für die lange unterdrückten und bis vor wenigen Jahrzehnten an den Rand der australischen Gesellschaft gedrängten Ureinwohner: Erstens begegnet ihre Kultur den Touristen nicht mehr nur als Bumerang-Kitsch und Punkt-Punkt- Koma-Strich-Malerei auf T-Shirts. Zweitens werden die Aborigines so selbst zu Tourismusveranstaltern und sind nicht länger die verstohlen begafften „Wilden“ in den von Weißen angelegten Reservaten. Etwa 20 von Aborigines betriebene Reiseangebote gibt es im Ostküstenstaat Queensland, in ganz Australien sind es etwa 50 – Tendenz steigend.

Roy Gibson war einer der ersten. Seit 1987 schon führt er Gäste durch den Regenwald beim Örtchen Mossman, wo sein Stamm namens Kuku Yalanji lebt und Roy aufwuchs. „Garrnar“, kleiner Dingo, war sein Spitzname als Kind, weil er stets mit den Stammesältesten in den Dschungel stromerte – eben wie ein junger Hund. Auf diesen Pfaden zeigt der 64-Jährige seinen Gästen heute wie sein Stamm regendichte Hütten aus Baumrinde baut und wo der „Djabu Djabu“ ist, ein nur den Frauen vorbehaltener Platz, an dem sie ihre eigenen Stammesgeschichten an die nächste Generation weitererzählen. Ein scharfes „Dungai!“ („hau ab!“) bekam Roy hier oft zu hören, nachdem er sich angeschlichen hatte.

Ohne Fabeln und Mythen geht es bei den Aborigines nicht. Wer fragt, dem wird erzählt aus der sogenannten Traumzeit vor mehr als 40 000 Jahren: von der Erschaffung der heutigen australischen Berge, Täler und Flussbetten durch die Regenbogenschlange sowie davon, dass jedem Aborigine eine Tierart als Totem zugeordnet ist, das er keinesfalls berühren darf. Idealer Ort für solche Geschichten: das Lagerfeuer am Davidson-Fluss in der Nähe des Städtchens Tully, dem nassesten Flecken Australiens – ausgewiesen durch ein acht Meter hohes Gummistiefel-Denkmal. Am Ufer beginnen Ausflüge und mehrtägige Camps mit Sonya Jeffrey, Tonya Grant und den Aborigines des Jirrbal- Stamms. Erste Station: Der „Wait a while“-Baum. Er heißt so, weil man – einmal in seinen Tentakeln verheddert – schon eine Weile warten muss, bis eine kräftige Heckenschere die Befreiung bringt. Tonya jedoch kommt prima mit den meterlangen, kaum fingerdicken Zweigen klar und schält die widerborstige Rinde in Nullkommanichts ab.

Aus dem verbleibenden, elastischen Kern flicht sie Armreifen und Körbe – eine rituelle Handlung bei den Jirrbal. Nach kurzer Einweisung müssen die Besucher ran. Dann folgt Malunterricht. Dazu waten die Gäste den Davidson-Fluss ein Stück stromaufwärts zum Farbenlager: Ein Uferstück an einer Biegung, aus dem Tonya mit einer Art XXL-Tortenheber bunte Lehmstücke schneidet. Mit „magrra“ (gelb), „gunga“ (rot) und „gaba“ (weiß) färben die Gäste ihre Gesichter, Hände und Beine in künstlerischem Freistil, während Tonya das Basisalphabet der Aborigines in ihren Bildern erklärt: Ein senkrechter Strich ist der Mann, ein nach unten geöffnetes Ei die Frau und ein dicker schwarzer Punkt inmitten vieler kleiner Punkte symbolisiert einen Emu – und dieser ist in der Mythologie der Aborigines gleichbedeutend mit Mutter Erde.

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