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Reise: Backhendl vom Feinsten

Wie ein Deutscher in Wien für Gourmets sorgt.

Silvio Nickol strahlt wie ein Lausbub: „Schauen Sie mal da oben – hier bin ich richtig.“ Der 34-jährige Ausnahmekoch aus Hoyerswerda freut sich über das Wappen des Hauses Sachsen-Coburg und Gotha in einem der vielen Prunksäle des Wiener Palais Coburg. Im Jahr 1845 als auf der Stadtmauer thronende, weithin sichtbare Residenz von Herzog Ferdinand Georg August fertiggestellt, ist der klassizistische Prachtbau heute wieder fest in deutscher Hand. Nach Jahren des Dornröschenschlafs ließ der vermögende Fondsmanager Peter Pühringer das Juwel 2003 für rund 100 Millionen Euro sanieren und beherzt zu einem Boutique-Hotel mit 35 opulenten Suiten (bis 165 Quadratmeter) umbauen.

Der heute 70-jährige Pühringer machte gleich nach der Eröffnung keinen Hehl daraus, dass er auch mit der Küche viel vorhat. Den Ambitionen stand jedoch ein Palaisbewohner im Wege. In dem riesigen Gebäude existierten nämlich auch immer schon mehrere Mietwohnungen – anfangs für den herzoglichen Portier, den Wagenmeister oder die Wäschefrau. Und einer der Mieter des 21. Jahrhunderts, gesegnet mit einem vorteilhaften, geradezu prähistorischen Mietvertrag, dachte gar nicht daran, freiwillig auszuziehen – allen verlockenden Abfindungsangeboten des steinreichen Pühringer zum Trotz. Und die Mietverhältnisse für seine rund 300 Quadratmeter große Wohnung waren dem Ausbau der Küche nach den Wünschen des österreichischen Starkochs Christian Petz hinderlich – Petz ging, das Restaurant wurde geschlossen.

Noch heute wohnt der ältere Herr also quasi im Hotel, (mit eigenem Eingang) gleich neben dem nun umgebauten Gourmetrestaurant. Eine bizarre Situation auch für den Koch, der seit 2010 in Wien ist. Silvio Nickol geht locker damit um: „Ich habe den Herrn noch nie gesehen.“

Sein Restaurant durfte Nickol weitgehend nach eigenem Geschmack gestalten lassen. Herausgekommen ist der denkbar größte Kontrast zu den neobarocken Prunkräumen im Erdgeschoss. Eine geschwungene Decke, erdige Farben, spärliche Möblierung und eine Stirnwand mit funkelndem Amethyst erzeugen einen höhlenartigen Eindruck. Vor der großflächigen Halbedelstein-Installation schwebt ein überdimensionales Ei. Silvio Nickol freut sich über den Gesprächsstoff, den seine Wirkungsstätte liefert. Allerdings gehen ihm vereinzelte Vergleiche mit einer James-Bond-Höhle oder dem Raumschiff Enterprise eindeutig zu weit: „Wir mussten die Gewölbeform mit aufnehmen und wollten vor allem das Gefühl von zeitgemäßer Gemütlichkeit erzeugen.“ Deshalb kam auch nie infrage, für das Restaurant einen der eindrucksvollen Prunkräume zu nutzen: „So etwas gehört eher nach Paris. Hier muss das Restaurant auch zur Küche passen.“

Zur Eröffnung kamen auch seine beiden alten Lehrmeister Harald Wohlfahrt aus Baiersbronn und der Belgier Roger Souvereyns, in dessen legendärem Scholteshof bei Hasselt Nickol seine erste kulinarische Prägung erfahren hat. Bei Wohlfahrt war Nickol viele Jahre lang Souschef, um von dort aus nach Velden an den Wörthersee zu gehen. Wohlfahrt: „Da hat er schneller zwei Sterne bekommen, als ich ihm das Zeugnis ausstellen konnte.“

Bis heute hat Österreich noch kein Restaurant mit drei Michelin-Sternen. Und das kulinarisch interessierte Wien stellt sich nun die Frage, ob womöglich ein „Piefke“ Österreichs erster Drei-Sterne-Koch werden könnte. Schärfster Konkurrent ist wahrscheinlich Gerhard Reitbauer, dessen „Steirereck“ im Stadtpark nur ein paar hundert Meter entfernt ist. Er sieht die Sache sportlich-kollegial: „Silvio ist für mich Europäer, ich sehe ihn nicht als Deutschen. Und wenn er uns helfen kann, unser Land noch schöner zu machen und auf die kulinarische Weltbühne zu führen, ist das doch doll!“

Gecoacht in Sachen Wiener Befindlichkeiten wird der Deutsche von seiner österreichischen Lebensgefährtin. Sie inspiriert Nickol deshalb auch zu kreativen Neuinterpretationen heimischer Klassiker. Ein Wiener Backhendl hat er zuweilen auf der Karte. Das Thema Jausen dekliniert er vegetarisch durch – mit fermentiertem Knoblauch, Ingwerschmand, Miniradieschen und Romanasalat-Saft. Und dem geliebten Klischee vom puren Geschmack nach Bauernhof ist er mit seinem Gericht „Misthaufensportler“ auf der Spur – Hahnenkämme mit Sot-l’y- laisse (ein kleines Rückenfilet vom Geflügel) und Heumilch. Einer seiner Lieferanten aus dem Wiener Umland versorgt ihn mit Roter Bete der besonderen Art – innen sind sie weiß. Eine Anspielung an die österreichischen Nationalfarben, Herr Nickol? „Na klar!“

Auch im Hotel hat eine Deutsche das Sagen: Gabriele Frei. Aber sie hat längst den Wiener Singsang angenommen, um als Einheimische durchzugehen. Der Dialekt ihrer Heimatstadt Bad Tölz war eine gute Grundlage. Hilft diese Art von Mimikry in Wien? „Auf jeden Fall. Aber die Bayern werden hier gerne auch als Gar-keine-richtigen-Deutschen vereinnahmt.“

Wiener Schmäh und Berliner Schnauze sind sich übrigens gar nicht unähnlich. Auch die Wiener haben längst einen Spitznamen für das strahlend weiße Palais: Spargelburg – wegen der vielen weißen Säulen und Pilaster an der Frontseite.

Palais Coburg Hotel Residenz (Telefon: 00 43 / 1 / 51 81 80, im Internet zu finden unter: www.palais-coburg.com

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