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Idylle im Tal. Dutzende Wanderwege gibt es hier. Einer führt rund um Limpach mit seiner hübschen Kirche und bietet herrliche Panoramablicke.

© Ansgar Meise

Baden-Württemberg: Auf dem Bauernhof der Utopien

Im Deggenhausertal nahe dem Bodensee sollen sich Urlauber auf die wahren Werte im Leben besinnen – und dabei gut essen.

Das Fleisch vom Angusrind für den in Schwaben und Baden unerlässlichen Zwiebelrostbraten ist gut abgehangen. Etwa vier Wochen hatte es Zeit zu reifen. Der Krustenbraten stammt vom Schwäbisch-Hällischen Landschwein, das ist eine alte Rasse, die vorwiegend draußen lebt. Bei Jürgen Waizenegger im Gasthaus Mohren in der Gemeinde Limpach im Deggenhausertal kommt nur das auf den Tisch, was auf dem eigenen Hof gewachsen ist. Ob Fleisch oder Gemüse – Eigenproduktion in hundertprozentiger Bio-Qualität. „Wir machen das, was früher normal war,“ sagt Waizenegger, „wir bereiten das zu, was hier wächst. Zum Essen ist man früher aufs Land gefahren. Da kommt die Wirtshauskultur her. Das ist die Entstehung der Landgasthöfe. Was anderes machen wir nicht.“

Sitzt man bei klarer Herbstluft auf der Terrasse des „Mohren“, rücken die Schweizer Berge ganz nah. Ihnen zu Füßen liegt in ungefähr zehn Kilometern Luftlinie und gute 400 Meter tiefer als Limpach der Bodensee. Dazwischen Wiesen, Wälder und Bäche, Landschaft pur. Das Deggenhausertal ist eine der am dünnsten besiedelten Gegenden im Bodenseekreis und beinahe ausschließlich von Land- und Forstwirtschaft geprägt. Wenige Autos fahren auf den Straßen, ab und zu rollt ein Traktor vorbei. Mal kreischt eine Säge, mal bellt ein Hund. Deutlich hört man das Zwitschern der Vögel, das Grunzen der Schweine, das Muhen der Kühe – weil es ringsherum so still ist.

Zum Gasthaus Mohren gehört ein Naturhotel mit Tagungsräumen und einer „Entspannungswelt“ mit Wellnessangeboten. Und eben der Gutshof. Fünfzig Hektar Land und zwanzig Hektar Wald. Der Landwirt ist zugleich der Koch. Jürgen Waizenegger hat beide Berufe gelernt und übt den einen tagsüber und den anderen abends aus. Auch das ist nicht neu. Nur teilten sich die beiden Berufe in einer Person früher zeitlich anders auf. „In der Woche war der Gastwirt früher nix, nur am Wochenende. In der Woche musste er sich um seinen Hof kümmern.“

1712 wurde dem Gasthaus die erste Schankerlaubnis erteilt, seitdem war es immer in Familienbesitz. Damals hatte die Katholische Kirche in der Gegend noch bei allem ein Wörtchen mitzureden, sogar bei der Namensgebung von Wirtshäusern. Einer der heiligen drei Könige soll bekanntlich ein Schwarzer gewesen sein. So wurde der Name des „Mohren“ bestimmt.

„Ein bisschen Bio“ wäre Waizenegger nicht genug, er fände das „inkonsequent“. Und macht keinerlei Kompromisse. Auch das Wildfleisch und die Forellen auf der Karte des „Mohren“ stammen aus den eigenen Wäldern. Von den fünfzig Hektar Land werden 40 als Weideland, acht als Ackerland und zwei für den Gemüseanbau bewirtschaftet. Darauf weiden sechzig Angusrinder und fünfzig Schwäbisch-Hällische Landschweine. Ein wichtiges Kriterium der Bio-Landwirtschaft: Auch die Tiere leben von dem, was auf dem Hof wächst.

„Die Entscheidung für diese Rassen“, sagt Waizenegger, „war geschmacksorientiert.“ Sowohl die Schweine als auch die Rinder bildeten mehr Fett aus als andere Rassen und würden deshalb auf dem Schlachthof geringere Preise erzielen. „Aber sie haben einfach mehr Geschmack.“ Geschlachtet wird auf dem Hof. Die Fleischproduktion ist nahezu vollständig fürs eigene Restaurant bestimmt. Und sollten mal weniger Schweine als vorhanden für den Eigenbedarf geschlachtet werden müssen,dann werden sie an andere Biobauern eines Netzwerkes weitergegeben, genau wie rund die Hälfte des angebauten Gemüses.

Wer Skifahren will, muss woanders hin

Netzwerke, Stärkung der regionalen Betriebe – Schlagworte, die wie „Nachhaltigkeit“ heutzutage in aller Munde sind. Für Waizenegger bezeichnen sie ein Verhalten, das zu Zeiten, da noch nicht Konzerne mit ihren rein betriebswirtschaftlichen Kriterien die Nahrungsproduktion bestimmten, selbstverständlich war. Zu 95 Prozent arbeitet er mit Familienbetrieben zusammen. „Wir unterstützen keine Konzerne.“ Wie ernst es ihm damit ist, erzählt er am Beispiel „Bionade“. Seit die Brauerei aus der Rhön, die dieses erfolgreiche Getränk entwickelt und jahrelang produziert hat, nicht mehr in Familienbesitz ist, sondern zu einem großen Konzern gehört, steht das Getränk nicht mehr auf der Karte des „Mohren“.

Waizenegger träumt von einer „fairen Gesellschaft, in der sich Menschen nicht nur aneinander bereichern wollen, sondern in der sie sich nehmen, wie sie sind und sich nicht untereinander messen müssen.“ Eine Utopie, sicher, doch Waizenegger arbeitet daran. Auf seinem Gutshof, zusammen mit anderen Bauern und Demeter-Sennereien aus den Nachbardörfern und mit ähnlich gesinnten Händlern. Es ist eine Haltung, die zur Landschaft passt. Nicht weit entfernt übrigens liegt Sigmaringen, der Heimatort des grünen Ministerpräsidenten von Baden- Württemberg, Winfried Kretschmann.

Es ist eine Landschaft, in der auch städtische Urlauber gut zur Ruhe kommen können. Hier können sie sich gleichsam erden. Die Touristen-Gemeinschaft Bodensee e.V. hat ein rund 200 Kilometer großes Wandernetz ausgearbeitet. Zum Beispiel einen Rundweg von Limpach über Obersiggingen und Deggenhausen zum „Höchsten“ (838 Meter über dem Meeresspiegel) und zurück. Die Höhenunterschiede im Deggenhausertal sind beträchtlich.

Die Wege führen durch Weiden und Wälder, vorüber an Siedlungen, die zu klein sind, um sie Dörfer zu nennen, und immer wieder zu Aussichtspunkten, die herrliche Panoramablicke über den Bodensee und die Schweizer Gipfel eröffnen. Schneereich ist das Deggenhausertal nicht, wer Skifahren will, muss woanders hin. Auch das ist ein Glücksfall für die Natur.

Seit sechs Jahren gibt es im Naturhotel Mohren die „Entspannungswelt Mohren Vital“ mit Kräuterdampfbädern, Hütten- und Bio-Sauna, mit Angeboten von diversen Massagen, Naturkosmetik, Yoga. Natürlich hat dieser Bereich ein hundertprozentiges Bio-Zertifikat und ist ausschließlich aus Holz, Stein und Glas gebaut worden. „Naturmaterialien haben eine besondere Energie“, sagt Waizenegger.

Er hat aus einem 300 Jahre alten Gutshof mit Landgasthaus einen modernen Betrieb gemacht, indem er das Selbstverständliche aus vergangenen Zeiten zurückholt. Schon sein Vater, ein Agraringenieur, hatte 1988 von konventioneller Bullenzucht auf Bio-Landwirtschaft umgestellt und begonnen nach den Richtlinien des „Naturland Verbandes e.V.“ zu arbeiten. Jürgen Waizenegger führt das weiter, „mit noch größerer Konsequenz“, wie er sagt. Da blitzt sie wieder auf, die Sehnsucht nach einer anderen Gesellschaft.

Die meisten Städter werden Städter bleiben, und nicht viele werden ihr Leben ändern, auch wenn sie sich mal für kürzer oder länger auf diese Landschaft eingelassen haben und dabei ins Grübeln gekommen sein sollten. Wem auf einer Wanderung durch die Stille beim Anblick der Weiden das Wasser im Munde zusammenläuft, der kann im „Mohren“ mit gutem Gewissen Fleisch essen. Krustenbraten etwa, Rehragout mit hausgemachten Spätzle, Forellen, aber auch Gemüsenockerln und andere vegetarische Gerichte. Antipasti von Kürbis und Pastinaken mit gegrilltem Ziegenkäse zum Beispiel. Alles von sehr hoher Qualität und zu Preisen, zu denen man in den großen Städten auf dem Niveau kaum essen kann. Waizeneggers Kochkunst wurde übrigens mit 14 von möglichen 20 Punkten im Gault Millau ausgezeichnet.

Burkhard Meise

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