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Nichts für Warmduscher. An den Stränden der Westküste von Vancouver Island hat sich eine veritable Surfer-Szene etabliert. Die harten Wellenreiter kommen auch im Winter.

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Britisch Kolumbien: Skyline mit Mangold

Kanadas Vancouver schaltet überall auf Grün. Die namensgleiche Insel vor der Küste verzaubert bereits mit wilder Natur.

Satt grün sprießt das Gemüse auf der mehrere Hektar großen Industriebrache mitten in Vancouver. Mit Kennerblick und scharfem Messer schreitet Chefkoch Paul Haldane zwischen kniehohen Containerbeeten im Schatten von Hochhäusern und einer mächtigen Straßenüberführung. In den mobilen Behältnissen wächst so ziemlich alles an Grünzeug, was der Küchenmeister noch an diesem Tag für seine Menüs verwenden will – von Mangold und Gurken über Kräuter aller Art bis zu Melonen.

Diese „Farm“ ist beileibe nicht die einzige ihrer Art in der kanadischen Stadt am Pazifik. Und das im Gegensatz zu ähnlichen Projekten in Deutschland hier kommerziell betriebene „Urban Farming“ steht für das Bild, das die Millionenmetropole gern ins Land und die Welt schicken möchte: Vancouver ist grün – im wahren Wort- und im übertragenen Sinn.

Dass sich die Stadt mit weiten Parks und üppig blühenden Gärten präsentiert, mag manchem als normal erscheinen. Schließlich ist dieser Ballungsraum mit gut zwei Millionen Einwohnern nicht arm, und es herrscht das ganze Jahr ein mildes Klima sowie ein nicht unerheblicher Niederschlag. Doch das Wort „grün“ haben sich die Stadtväter auch ins politische Programm geschrieben. Besonders umweltfreundlich soll es in dieser oft als „schönste Stadt der Welt“ bezeichneten Metropole zugehen. Ja, im Jahr 2020 möchte gar das Ziel erreicht sein, sich „grünste Stadt der Welt“ nennen zu können. Ein hehrer Vorsatz, ein weiter Weg, ein kurzer Zeitraum. Allerdings: Die Anstrengungen in diese Richtung sind durchaus beachtenswert.

Wer sich als Tourist über Heerscharen von Radlern in New York City heute noch wundert – in Vancouver gehören sie schon längst zum Stadtbild. Samt grün gestrichener oder vor Autos mittels kleiner Poller geschützter Fahrstreifen. Ebenso selbstverständlich wie früher undenkbar wieseln Miet-Smarts durch die Straßen, die ohnehin im Innenstadtbereich erheblich weniger durch Autoverkehr belastet sind als noch vor einigen Jahren. Auch der unter- und überirdisch fahrende „Skytrain“ trägt dazu bei.

Nach wenigen Minuten ist Paul Haldane mit seiner Ernte in Bioqualität zufrieden. „Frischer als von hier geht’s nicht“, sagt er. „Was wir früher vor allem aus Kalifornien bekommen haben, wächst nun quasi vor der Haustür.“ Gewiss, die überschaubaren Mengen, die dieser Koch und einige seiner Kollegen in Restaurants der Stadt brauchen, kann Sole Food Urban Farm liefern. Das Unternehmen ist mit vier innerstädtischen „Feldern“ das größte unter 17 in Vancouver ansässigen Obst- und Gemüsebauern.

Kräuter für jedes Menü. Chefkoch Paul Haldane erntet Downtown Vancouver.
Kräuter für jedes Menü. Chefkoch Paul Haldane erntet Downtown Vancouver.

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Der Clou bei Sole Food: Es ist nicht allein gewinnorientiert, sondern vor allem ein Sozialprojekt. Die derzeit 25 fest angestellten Arbeitskräfte wurden buchstäblich von den Straßen der Stadt geholt: Arbeitslose, ehemals Suchtkranke und andere, die Schwierigkeiten hatten, einer geregelten Arbeit nachzugehen. „Das funktioniert bestens, denn sie bekommen einen Lohn, von dem sie hier auch leben können“, sagt Michael Ableman, Gründer von Sole Food und CEA (Chief Executive Agrarian) der Firma. „Bereits jetzt beliefern wir Bauernmärkte sowie etwa 40 Haushalte und nahezu 30 Restaurants, die nicht nur von unserer Qualität überzeugt sind, sondern auch von unserem Konzept.“

Keimzelle von „Grün“ und „Bio“ in Vancouver war in den späten 1980ern der überdachte Bauernmarkt auf Granville Island, dem Halbinselchen in bester Stadtlage. Dort hatten sich bereits gut zehn Jahre früher Künstler aller Stilrichtungen angesiedelt, nachdem die Regierung im Vorfeld der Expo 1986 den lauten und schmutzigen Industriebetrieben in der Innenstadt die rote Karte gezeigt hatte. Zwar bieten auf dem Markt heute noch täglich Erzeuger aus der Region frisches Obst, Gemüse und alles aus dem Meer an. Und auch Einheimische gehen gern dorthin, statt in den nächstgelegenen Supermarkt zu fahren. Doch vornehmlich ist das Fleckchen unter der Granville Bridge heute ein wuseliger, dabei immer noch angenehmer Touristenmagnet geworden, mit Galerien, Handwerk und Restaurants.

Bei Ebbe kommt der Bär und frisst Muscheln am Strand

„Oyster“ Jim kam aus Colorado nach Ucluelet, um als Farmer Geld zu verdienen.
„Oyster“ Jim kam aus Colorado nach Ucluelet, um als Farmer Geld zu verdienen.

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Wir entfliehen dem Trubel, wollen ein richtig großes Stück Grün in Vancouver entdecken: Stanley Park. Einer der zahlreichen Fahrradverleiher ist schnell gefunden. Josh Bloomfield von Cycle Vancouver verpasst den Teilnehmern einer zweistündigen Tour die Räder sowie die obligatorischen Helme – und los geht’s. Mit 405 Hektar fast doppelt so groß wie der Berliner Tiergarten wird Stanley Park auf einer Halbinsel vom Pazifik umspült. „Die ursprünglichen Baumriesen sind zwar längst der Forstwirtschaft zum Opfer gefallen“, sagt Josh, „doch die während des vergangenen Jahrhunderts nachgewachsenen Zedern und Hemlock-Tannen zeigen euch in etwa, wie es hier mal ausgesehen hat.“

Ach ja, Kanada, Land der Wälder! Aber warum noch immer Autos durch den Park schleichen dürfen, weiß auch Josh nicht. „Ist wohl schwierig abzustellen“, sagt er und schaut etwas schief. Na gut, bis 2020 ist ja noch Zeit. Wer mehr, viel mehr Wald sucht, muss eben raus aus der Stadt. Zum Beispiel nach Vancouver Island.

Während einer 90-minütigen Minikreuzfahrt geht es mit der Autofähre nach Nanaimo. Alternativ kommt auch ein 20-minütiger Hupfer mit einem Wasserflugzeug infrage (ab 60 Dollar), der eine noch imposantere Perspektive auf die Inselwelt vor der Küste bietet. In Ucluelet schließlich, dem einzigen Ort auf einer zerklüfteten Landzunge an der Westküste, treffen wir einen Umweltpionier der Insel. „Oyster“ Jim Martin kam 1979 aus Colorado nach Ucluelet, um als „Austern-Farmer“ Geld zu verdienen.

Als Mann der Tat und vieler, auch künstlerischer Talente beschloss er unter anderem, mithilfe von Sponsoren den Wild Pacific Trail anzulegen, einen für jedermann gut begehbaren Wanderpfad, der zu immer wieder schönen Aussichtspunkten entlang der spektakulären Küste führt. Bei seltenem Sonnenwetter gewiss ein Vergnügen. Doch wahre Genießer machen sich an den richtig schlimmen Tagen, die gar nicht selten sind, auf den Weg. Wenn es ordentlich stürmt. Erst dann offenbart sich die wahre wilde Schönheit dieser Küste. Wenn meterhohe Pazifikbrecher auf flachen Sandstränden ausrollen oder – noch dramatischer – mit ohrenbetäubendem Krachen gegen die Felsen knallen. „Gehen Sie nicht zu nah ran“, ruft Jim, „Sie wären nicht der Erste, der auf Nimmerwiedersehen verschwindet.“ (Eindrucksvolle Videos mit Jim gibt es auf Youtube; nach „oyster jim pacific trail“ suchen.)

Digitaler Orca. Skulptur aus schwarzen, weißen und grauen Würfeln am Hafen.
Digitaler Orca. Skulptur aus schwarzen, weißen und grauen Würfeln am Hafen.

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Übrigens: Jims Pfad ist nun keineswegs zu verwechseln mit dem berüchtigten West Coast Trail, der 1907 angelegt wurde, damit gestrandete, noch halbwegs lebendige Schiffbrüchige überhaupt eine kleine Chance hatten, durch den Urwald den Weg zurück in die Zivilisation zu finden. Wer diesen 75 Kilometer langen Buschpfad zwischen Bamfield und Port Renfrew heute bezwingen will, sollte bestens vorbereitet, körperlich extrem fit – und auf einiges gefasst sein. Wir haben Abstand genommen.

Der ewig andonnernde Pazifik zieht die Menschen magisch an. Entlang der Strände zwischen Ucluelet und Tofino hat sich gar eine erstaunliche Surferszene entwickelt. „Simply the best!“, jubelt Sean prustend, als er mit dem Brett unterm Arm aus dem Wasser kommt. Es ist 6 Uhr, der Junge aus Calgary, der offenbar noch nie auf Hawaii war, hat nicht einmal gefrühstückt. „Ich habe fast die ganze Nacht gehorcht, wie die Wellen sind. Um halb sechs gab es dann kein Halten mehr.“ Und, nicht zu kalt? Unser Zehentest hatte geschätzte zehn Grad ergeben. „Mit dem Anzug geht eine halbe Stunde immer“, ruft Sean noch. Jetzt will er raus aus dem Neopren und hin zum Holzfällerfrühstück.

Doch, es wird auch richtig Sommer auf der Insel. Das Wasser erwärmt sich im Juli auf bis zu 17 Grad, dann ziehen Grauwale auf dem Weg nach Alaska direkt in Ufernähe vorbei, Schwertwale (Orcas) lauern auf Lachsschwärme, die ihrerseits nach Süden streben, in die Flüsse zu ihren Laichgründen. Auf die fette Fischbeute haben es dann auch die Schwarzbären abgesehen. Wer jetzt im frühen Sommer die Petze sehen will, braucht allerdings professionelle Hilfe.

Denn vornehmlich bevölkern sie bei Ebbe die für Zweibeiner oft nur per Boot zugänglichen Strände, um sich an Muscheln und Krebsen gütlich zu tun. „Okay, Leute“, sagt Tyson von Remote Passages in Tofino, einem Unternehmen von vielen am Ort, die Naturbeobachtungen anbieten, „wir lassen gleich die Wale und Bären aus dem Gatter. Vorher nur noch ein paar Instruktionen...“

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