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Gelungen. Das Musical „Sanjie Liu“ läuft seit fünf Jahren und ist jedes Mal schnell ausverkauft.

© Monika Hippe

China: Tanz in der Mondsichel

Faszinierende Kulissen: Der Li-Fluss bei Yangshuo im Südwesten Chinas wird fast allabendlich zur Bühne für ein Musical.

Die Erde muss bei Geburt der Landschaft einen Schluckauf gehabt haben. So steil ragen die Karstberge als Hörner und Höcker, Kuppen und Köpfe, Zacken und Zipfel empor. Zu ihren Füßen gleiten hunderte Kormoranfischer auf ihren Flößen im Takt der Orchestermusik. Grelle Lichtblitze zucken, Scheinwerfer tauchen die Szene mal in Grün, Blau oder Purpurrot. Schließlich geht der Mond auf und schwebt überm Wasser. Ein Mädchen tanzt darauf von einer Sichelspitze zur anderen und singt dabei vom Leben der dritten Schwester Liu.

Seit über fünf Jahren wird das Musical „Sanjie Liu“ auf einer der größten Landschaftsbühnen der Welt aufgeführt. Dabei singen, turnen und tanzen über sechshundert Darsteller auf dem Li Fluss. Rund zweitausend Zuschauer finden sich dazu ein. Immer mehr Reiseanbieter nehmen einen Besuch der Veranstaltung in Yangshuo im Südwesten Chinas ins Programm auf. Dabei müssen sie früh buchen. Schnell sind die Vorstellungen ausverkauft. Obwohl die Show, von wenigen Wochen ausgenommen, das ganze Jahr über läuft.

Regiemeister Zhang Yimou choreographierte auch die Olympischen Sommerspiele in Peking und gilt mit seinen Erfolgsfilmen „Hero“ und „Leben!“ als chinesischer Steven Spielberg.

Das farbenfrohe Spektakel auf dem Fluss beeindruckt, auch wenn man die Liedtexte nicht versteht. Um das Leben der Feldarbeiterin Liu Sanjie geht es, die einer Legende nach die beste Sängerin der Zhuang-Minderheit war und sich in ihren Liedern gegen die Repressalien der örtlichen Despoten auflehnte.

Heute wird das dritte Kind einer Minderheitenfamilie oft als „Liu-Kind“ bezeichnet. Die Zhuang sind inzwischen mit 16 Millionen Menschen das größte der 56 Minderheitenvölker Chinas und leben hauptsächlich im autonomen Gebiet Guangxi. Eine faszinierende Gegend, die aufgrund der bizarren Hügel zum Weltnaturerbe zählt. Jeder Chinese, heißt es, sollte einmal im Leben auf dem Wasser durch die Karstlandschaft geschippert sein.

In der Dämmerung grüßen Zikaden mit einem Konzert

Zacken und Zipfel. Die Bergformationen von Yangshuo gehören zum Weltnaturerbe der Unesco.
Zacken und Zipfel. Die Bergformationen von Yangshuo gehören zum Weltnaturerbe der Unesco.

© Monika Hippe

Längst tuckert täglich eine Armada von Ausflugsschiffen mit jährlich bis zu 20 Millionen Besuchern den berühmten Fluss entlang. Auf Deck werden modernste Digitalkameras aus den Taschen gekramt, während am Ufer wie vor hundert Jahren eine Frau ihre Wäsche im Flusswasser wäscht und ein Bauer seinen Wasserbüffel mit einem Stock antreibt. Vor etwa 300 Millionen Jahren war das ganze Gebiet von einem Meer bedeckt. Irgendwann verdichteten sich Reste von Fischknochen und Gräten mit Karstschlamm und wurden an die Oberfläche gepresst, um dort von Sonne und Wind in ihre bizarren Formen gemeißelt zu werden.

„Für uns ist die Landschaft und auch das Musical nichts Besonderes, wir sind hier aufgewachsen“, sagt Shi Lou und wischt sich die Hände am Snoopy-Motiv auf ihrer Küchenschürze ab. Die 28-Jährige vom Volk der Yao wohnt eine Tagesreise weiter nördlich. Jetzt kocht sie Rindfleisch mit gerösteten Erdnüssen für ihre Herbergsgäste. Ihr Mann hackt das Fleisch dazu in Stücke. In der Küche baumeln Mettwürste von der Decke. Darunter stehen auf einem Waschbecken die Zahnputzbecher der Familie.

Viel Platz hat sie nicht. Im Sommer ist jedes Zimmer und jedes Bad vermietet. Das Holzhaus hat der Schwiegervater vor acht Jahren ganz ohne Nägel gebaut, wie es hier Tradition ist. Es liegt auf rund 1000 Metern über dem Meeresspiegel inmitten der Longji Reisterrassen bei Dazhai, zweieinhalb Autostunden nördlich von Guilin. Nur zu Fuß ist es erreichbar.

Kunst in Grün: Reisterrassen.
Kunst in Grün: Reisterrassen.

© Monika Hippe

Im Frühling leuchten die Hänge grün, im Sommer gelb und im Herbst orange. Manche Reisterrassen haben Namen wie „Wirbelsäule des Drachen“ oder „goldener Buddha-Gipfel“. An den schönsten Stellen stehen Warnschilder, die um Achtsamkeit bitten. Denn wer auf den schmalen, steilen Wegen zwischen den Stufen – abgelenkt vom Staunen und Fotografieren – die Balance verliert, landet schnell zwei Reisfelder tiefer.

Am Abend begrüßen Zikaden die Dämmerung mit einem Zirpkonzert. Urplötzlich fällt die Nacht übers Land. Ein paar Hunde bellen, dann ist es still.

Am nächsten Morgen weckt Shi ihre Gäste zeitig um fünf Uhr früh. Noch ganz verschlafen schnüren sie die Wanderschuhe und stiefeln in den kühlen Morgen hoch ins „Musikparadies“, so heißt ein Aussichtspunkt mit herrlichem Blick auf die Reisfelder. Weil sie nach unten hin breiter werden, erinnern sie an die Striche im Symbol für Schallwellen. Jeden Morgen veranstaltet die Natur hier ihr eigenes Licht-Spektakel. Ganz allmählich kriecht die Sonne hinter der Bergkuppe hervor. Dabei glänzen die mit Wasser gefüllten Felder wie tausende Streifen Silberpapier. Und plötzlich gießt der Tag mit Schwung sein Licht in die Landschaft. So wie es kein Musical-Scheinwerfer je schaffen würde.

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