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China Schild

© Kaiser

China-Reise: Im Pyjama an der Rezeption

Wer China bereist, braucht Gelassenheit – und manchmal Ohrstöpsel. Eine Gebrauchsanweisung für Anfänger.

Drei Schriftzeichen sollten Sie kennen, wenn Sie nach China reisen: „Nü“, das Zeichen für weiblich und „Nán“, das Zeichen für männlich. Nützlich sind sie, um dem Geschlecht entsprechend die richtige Seite einer öffentlichen Toilette zu finden. Ich jedenfalls habe mir das Schriftzeichen für „Mann“ fest eingeprägt, nachdem mich eine resolute Putzfrau in Xian mit einem Wischmopp aus der Toilettenabteilung für Damen jagte.

Inzwischen hat die chinesische Regierung die Örtchen je nach Standard mit Sternen gekennzeichnet. Einigermaßen erträglich sind jene mit drei oder vier Sternen, abenteuerlich dagegen die, die beim Rating unterhalb von drei Sternen rangieren. Man findet sie vornehmlich noch in Dörfern oder in den Hutongs, den Gassen der Altstädte sowie auf Bahnhöfen und in Busstationen. Diese Toiletten riechen Sie schon von Weitem und das Geschäft in diesen Anstalten ist keine private Angelegenheit. Sollten Sie solch einen Ort aufsuchen müssen, denken Sie sich einfach den Nachbarn weg, der über die halbhohe Trennwand guckt (falls es die überhaupt gibt) und ignorieren Sie die Zuschauer vor der fehlenden Tür. Atmen Sie möglichst flach oder gar nicht, denn die Geruchsbelästigung ist doch erheblich.

Zum Glück hat sich in China im Vorfeld der Olympischen Spiele in Sachen „Toilette“ einiges getan. Allein in Peking wurden bislang 5200 öffentliche Toiletten mit westlichem Standard neu gebaut. Im südchinesischen Chongqing lohnt sich sogar ein Besuch der öffentlichen Bedürfnisanstalt, die im vergangenen Jahr eröffnet wurde. Eintausend fantasievoll ausgestattete WCs auf vier Stockwerken! Sie verfügen unter anderem über Fernsehen, Musik und aromatisierte Luft. Ein Sprecher der örtlichen Behörde versichert: „Wenn Sie auf dieser Toilette waren, werden Sie sehr, sehr glücklich sein.“ Ob fünf Sterne oder auch nur ein Stern – Toilettenpapier sollten Sie in China allerdings immer bei sich haben.

Pantomime hilft oft nicht weiter

Die Verständigung in China ist weiterhin ein Problem. Selbst in großen Hotels kann es passieren, dass Sie an der Rezeption niemanden finden, der Englisch spricht. Pantomime hilft oft nicht weiter: Freundlich lächelnd jedenfalls reichte mir die Frau an der Rezeption eines Hotels in Xian einen Bleistiftanspitzer, nachdem ich mit fantasievollen Verrenkungen meinem Wunsch nach einem Schließfach für meine Wertsachen Ausdruck verliehen hatte. In Guiyang stellte man mir gar einen ganzen Reisebus vor die Tür, da das Hotelpersonal überzeugt war, dass ich nur die Vorhut einer größeren Reisegruppe sei – dabei hatte ich doch nur nach einem Busfahrplan gefragt. In Xining dauerte die Suche nach dem Büro von Air China geschlagene drei Stunden. Es war kein Taxifahrer aufzutreiben, der Englisch sprach. Beruhigend wirkten da auf mich stets die Taxen in Chengdu: Sobald ein Fahrer dort das Taxameter anstellt, begrüßt ein Automat den zusteigenden Fahrgast auf Englisch: „Hello, good morning. Thank you for using my taxi!“

Die niedliche Micky-Mouse-Stimme beruhigt zunächst, hilft aber nicht weiter, wenn es darum geht, dem Chauffeur klarzumachen, dass man zum Flughafen will. Also produziert man in der Verzweiflung Geräusche von startenden Maschinen und tut mit ausgebreiteten Armen so, als wolle man fliegen. In Kunming war meine schauspielerische Leistung offenbar schlecht, ich landete am Bahnhof. Um diesen unangenehmen Situationen zu entgehen, habe ich eine Strategie entwickelt, die sich auf meinen Chinareisen durchaus bewährt hat. Ich bitte die Chinesen, die ihr gerade gelerntes Englisch mit mir praktizieren, darum, alle Zeichen zu notieren, die mich über die nächsten drei Tage hinweg „retten“ könnten. „Wo fährt der Bus nach ... Ich möchte zum ... Haben Sie ..?“ Nützlich ist es auch, eine übersetzte Speisekarte bei sich zu tragen, denn Menüs in englischer Sprache findet man außer in den Pekinger Nobelrestaurants in China selten. Meine Kopien aus dem Lonely Planet (in Englisch mit chinesischen Schriftzeichen) waren schier unersetzlich.

Das Essen in China ist vielfältig und gut und eigentlich ein Gemeinschaftserlebnis. Man speist in Gruppen, wobei es üblich ist, mit Stäbchen die gemeinsam bestellten Köstlichkeiten aus den Schälchen zu angeln. Europäer, die selbst in Gruppen jeder für sich alleine ein Gericht bestellen und dann noch nicht einmal teilen, sind aus Sicht der Chinesen einsame und unglückliche Menschen. Aus dem gleichen Grund füllen Chinesen nie nur das eigene Glas oder nehmen nur für sich eine Zigarette aus der Packung.

Bei Tisch: schmatzen, schlürfen und rülpsen

Aus europäischer Sicht legen Chinesen beim Essen ein ausgesprochen schlechtes Benehmen an den Tag. Man gibt sich leger, schmatzt, schlürft und rülpst sogar. Ungenießbares verteilt man auf und unter dem Tisch, man spricht mit vollem Mund. Kein Problem auch, die Essstäbchen in der rechten, die qualmende Zigarette in der linken Hand zu halten. Nehmen Sie keinen Anstoß – für die Chinesen sind diese Tischsitten Ausdruck höchsten Wohlbefindens. Als Gast sollten Sie Ihrerseits darauf achten, sich bei Tisch nicht die Nase zu schnäuzen, auch wenn Sie nach einem scharfen Essen das Bedürfnis dazu haben. In China geht man zum Naseputzen auf die Toilette.

Auf Unverständnis werden Sie stoßen, wenn Sie chinesische Bekanntschaften in eine Diskussion über Menschenrechte und Tibet, ja über Politik allgemein verstricken. Seien Sie also behutsam in solchen Dingen. Politische Themen werden in China selten diskutiert und wenn, dann nur mit Menschen, die man gut kennt. Chinesen haben die Erfahrung gemacht, dass eine offen vertretene Ansicht schaden kann. Umgekehrt sollten Sie sich nicht wundern, wenn der Gesprächspartner Sie nach ganz privaten Dingen befragt, etwa danach, wie viel Sie verdienen.

Chinesen sind laut und eine Nacht im Hotel ist für die meisten von ihnen eine ganz neue Erfahrung. Man teilt diese Erfahrungen über die Flure der Hotels schreiend den anderen aus der Reisegruppe mit. „Der Hang zu rücksichtslosem Geschrei“, so erklärte mir Herr Li, eine Reisebekanntschaft in Guilin, „ist ein Überbleibsel aus maoistischer Zeit. Es machte sich nur derjenige nicht verdächtig, der sich möglichst proletarisch verhielt.“

Privatsphäre ist etwas ganz Neues

Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie einem Hotelgast im Schlafanzug an der Rezeption begegnen oder wenn Sie beim Gang durch das Hotel auf schönstes Gassenleben blicken. Die Türen der Zimmer stehen häufig offen, da für Chinesen Privatsphäre etwas ganz Neues ist. Jedermann darf teilhaben am Geschehen, wie etwa an der lautstarken Männerrunde, die sich umwabert von Zigarettenqualm mit hochgekrempelten Hosenbeinen zum gemeinsamen Kartenspiel in einem der Hotelzimmer getroffen hat. Unterschiedliche Fernsehprogramme röhren, kaum beachtet aber laut, auf den Flur hinaus. Eine Portion Gelassenheit und Ohrstöpsel gehören unbedingt ins Gepäck, wenn Sie nach China reisen.

Ach ja, das dritte Zeichen, das Sie kennen sollten, hätte ich fast vergessen. Es ist das Zeichen für Hund: gou. Auf dem Lonely-Planet-Speiseplan suchen Sie Hund vergebens. Also lohnt es, sich dieses Zeichen einzuprägen – entweder um einen Fehlgriff zu vermeiden oder einmal Hund zu probieren. Gute Reise!

Jörg Kersten

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