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Reise: Das Flüstern der Kalifen

Der Reiz Andalusiens ist das maurische Erbe, sichtbar an Moscheen, Palästen und Gärten – eine Radtour mit Genuss

Felix Muñoz ist kein Freund vieler Worte. Gerade erst haben die Radler nach 60 schweißtreibenden Kilometern ihre Velos außerhalb der Stadtmauer abgestellt – schon schreitet der emeritierte Professor forsch voran. Schließlich will er den Besuchern die historische Altstadt von Castro del Rio zeigen. Der kleine, vermutlich bereits von den Römern bewohnte Ort hat neben einer mittelalterlichen Burg vor allem sehenswerte Kirchen zu bieten. Und es ist nicht das einzige Städtchen im südspanischen Andalusien, das auf einer Radtour entlang der „Route des Kalifats“ eine Erkundung lohnt.

Im Zentrum von Castro del Rio überragt der braune Glockenturm von La Parroquia de la Asuncion die Mauern aus hellem Sandstein. Die Mariä Himmelfahrt gewidmete Pfarrkirche wurde im 14. Jahrhundert über einer Moschee gebaut und ist somit typisch für die Geschichte Andalusiens. In Al-Andaluz, so der arabische Name, hatten die Mauren fast 800 Jahre das Sagen, bis sie 1492 von den katholischen Königen endgültig aus Spanien vertrieben wurden. Es war eine Zeit, in der die Künste und Wissenschaften blühten, grandiose Bauwerke entstanden und religiöse Toleranz herrschte.

Auf dem Kirchplatz spenden Zitronenbäume Schatten. Die Äste hängen voller gelber Früchte. Señor Muñoz ist in seinem Element. Der Spanier zeigt den Gästen neben prächtig ausgestatteten Häusern mit blumengeschmückten Innenhöfen noch etwas Besonderes: In einem Hinterhof schließt er eine Tür auf, die Treppe führt hinunter ins Souterrain zu einer runden hellblauen Arena. „Pelea de Gallo“, sagt Muñoz und deutet auf Fotos an der Wand. Sie zeigen kämpfende Hähne vor leidenschaftlich mitgehenden Zuschauern. Hahnenkämpfe seien ja mittlerweile illegal, deshalb diene die Arena nur noch als Treffpunkt für historisch Interessierte, sagt der grauhaarige Mann lächelnd. Stimmt das? Die Besucher sind skeptisch. Denn, so haben sie in den Tagen zuvor mitbekommen, zur andalusischen Lebensart gehören neben Freundlichkeit und Gelassenheit auch eine gewisse Bauernschläue und ein Quäntchen Anarchie.

Auch Tapasbars gehören zur spanischen Kultur. Die Etappe von Lucena nach Castro del Rio steckt noch in den Knochen, doch da die Radtour für heute zu Ende ist, können sich die Besucher zu köstlichen Bissen ruhigen Gewissens ein Gläschen Wein gönnen. Dabei sind sich alle einig: Die Fahrt auf der „Via Verde“ durch den Naturpark Sierra de la Subbetica lohnt jede Anstrengung.

Der „Grüne Weg“, für Motorfahrzeuge gesperrt, verläuft auf der Trasse der ehemaligen Olivenölbahn, die bis 1985 Öl nach Malaga transportierte. Mit ihrem festen Boden ist die Trasse fürs Radfahren bestens geeignet. Auf der abwechslungsreichen Tour durch das einstige Kalifat fahren die Radler durch unbeleuchtete Tunnels, kommen an Schluchten mit tosenden Bächen vorbei, überqueren kleine hölzerne und große eiserne Brücken, die weite Täler überspannen. Am Wegrand wildes Gestrüpp, dahinter ab und zu Weinstöcke, vor allem aber silbrig glänzende Olivenhaine, soweit das Auge reicht. Die Schattenrisse der Bäume zaubern schachbrettartige Muster auf die Felder, die in einem schier endlosen Auf und Ab bis an die fernen Bergzüge reichen. Doch Vorsicht: Wer den Blick zu sehr schweifen lässt, kann leicht ins Rutschen kommen, denn der Radweg ist mit Split belegt und seitlich abfallend.

Dass alle zwölf Teilnehmer auf jeder Etappe der achttägigen Tour unversehrt bleiben, ist nicht zuletzt Juris Verdienst. Der junge blonde Spanier, Sohn einer deutschen Mutter, achtet darauf, dass kein Radler den Anschluss an die Gruppe verliert. Als Techniker ausgebildet, kümmert er sich auch um die Räder, mit Federung und Scheibenbremsen sowie einem GPS-Gerät am Lenker, das die Richtung vorgibt. Die Radler, vornehmlich aus Deutschland und der Schweiz, können so ihr individuelles Tempo bestimmen.

Die Gruppe ist bunt gemischt, Paare wie Singles, meist im gesetzteren Alter, trainierte Freizeit- ebenso wie Gelegenheitsradler. Das Tagespensum ist trotz mancher Anstiege für alle gut zu bewältigen. Auch für Heidi, als Mittsiebzigerin die Älteste. Es werden schließlich auch immer wieder Pausen eingelegt. Wäre ja auch zu schade, wollte man an all den Cafés und Tapasbars in den ehemaligen Bahnhöfen entlang der Strecke vorbeibrausen. Lockt mal keine Einkehrmöglichkeit, zaubern Juri und Christine Eckert, die Chefin des kleinen Reiseunternehmens, ein schattiges Picknick unter Johannisbrotbäumen, Kork- oder Steineichen, wie sie für den Süden Spaniens typisch sind. Dabei zeigt Juri, wie Granatäpfel richtig aufzuschneiden sind, doch auch Mangos, Avocados, Bananen und Orangen sorgen für willkommene Vitaminschübe. Gemüse und Salat sind mit dem herzhaften Olivenöl der Region angemacht, dessen Herstellung in einem Ökobetrieb ebenso besichtigt wird wie die Wein- und Sherryproduktion in einer Bodega.

Nach dem Dämmerschoppen in Castro del Rio wartet am Ortsrand unser kleiner Begleitbus. Die Fahrräder sind flugs im Anhänger verstaut, Christine setzt sich ans Steuer und fährt die Gruppe ins 40 Kilometer entfernte Cordoba. Ein radfreier Tag ist anberaumt. Das heißt, es bleibt ausreichend Gelegenheit, mit der „Großen Moschee Mezquita“ eines der größten und beeindruckendsten Bauwerke maurischen Ursprungs zu besichtigen. Hier spiegelt sich auch die wechselvolle Geschichte der Maurenherrschaft in Andalusien. Erst 1236 eroberte Ferdinand III. von Kastilien im Verlauf der Reconquista Stadt und Moschee. So wurde auch der 784 unter dem Emir Abd ar-Rahman I. initiierte Bau zum katholischen Gotteshaus. Gleichwohl: Die grandiose Struktur mit 856 Marmorsäulen, die von jeweils doppelten rot-weißen Bögen überspannt sind, blieb erhalten, wenn auch kleine Kapellen und schließlich im 16. Jahrhundert sogar eine Kathedrale eingefügt wurden. Deshalb spricht man heute von einer Moschee-Kathedrale.

Zwei Tage später und etwa 110 Radkilometer weiter leuchtet ein weiteres Meisterwerk andalusischer Baukunst am Horizont. Die Alhambra von Granada, ebenfalls Weltkulturerbe, wirkt von außen fast unscheinbar mit ihren roten, schmucklosen Mauern. Doch im Inneren der mächtigen maurischen Anlage offenbart sich die Wunderwelt der arabischen Gärten und der Nasridenpaläste. Gut, dass unsere Reiseleitung uns für eine Führung angemeldet hat – die Warteschlange derer, die (meist ergebnislos) nach Restkarten anstehen, ist erschreckend lang. Die Tickets sind meistens schon Wochen im Voraus vergriffen.

Im Innern der Anlage lassen wir uns verzaubern von der Blütenpracht der Bougainvilleen, der Prunkwinden, Begonien, Rosen und Studentenblumen, lauschen dem Plätschern der Brunnen und staunen, wie kunstvoll Wände und Decken verziert sind.

Der Palast bietet eine gute Sicht auf die verwinkelten Gässchen des Albayzin, des ältesten Stadtteils von Granada. Dort wohnten einst die Mauren, die im 13. Jahrhundert aus den von Katholiken eroberten Gebieten Spaniens geflüchtet waren. Das Abendessen nehmen wir an historischer Stätte ein: Von der Stelle aus, an der jetzt das Restaurant steht, hat Morayma, die Frau des Maurenkönigs Boabdil, oft auf ihre verlorenen Paläste geblickt. Das Lokal ist nach ihr benannt. Hier hören wir die traurige Geschichte ihrer Vertreibung aus der Alhambra 1492 durch die katholischen Könige. Wir Radler fühlen mit ihnen, denn auch wir müssen bald Abschied nehmen von einer Region, in der auf Schritt und jedem Pedaltritt Geschichte lebendig wird.

Am nächsten Tag geht es mit dem Bus nach Fuengirola. Der überlaufene Ferienort an der Costa del Sol ist ein arg krasser Gegensatz zur beeindruckenden Natur und überwältigenden Geschichte der Städte am (Rad-)Weg. Nur wenn der Radler auf andalusische Art noch einmal innehält, hört er doch wieder das Flüstern des Windes in den Olivenhainen.

Paul Janositz

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