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Schloss Engers bei Neuwied. Erst 1990 wurde die prächtige Anlage umfangreich restauriert.

© Christian Baeck/p-a

Denkmalschutz und Tourismus: Wenn Historie inszeniert wird

Der Mittelrhein ist eine der ersten touristisch erschlossenen Regionen. Ein denkmalpflegerisches Musterland – mit Ärgernissen.

Nach einer Operation aufzuwachen im fürstlichen Dianasaal, das mag manchen Patienten in Zweifel gestürzt haben, ob er noch von dieser Welt sei. Heute ist der mit wunderbaren Fresken geschmückte Rokokosaal Ort für Konzerte und Hochzeitszeremonien – zweifellos eine angemessenere Nutzung des Schlosses Engers bei Neuwied als die frühere Funktion als orthopädisches Krankenhaus.

Der Trierer Erzbischof und Kurfürst Johann Philipp von Walderdorff hatte es vor 250 Jahren direkt am Rheinufer als Jagdschloss erbauen lassen. Anders als die linksrheinischen kurfürstlichen Schlösser überstand es die französische Besatzungszeit unversehrt, wurde aber nach dem Wiener Kongress als preußische Kriegsschule und Lazarett benutzt. Erst 1990 konnte es vom Land Rheinland-Pfalz übernommen und anschließend umfänglich restauriert werden. Die Bauleute berichteten von erheblichen bautechnischen Problemen: Wie man die Fresken gerettet hat, wie kompliziert der marode Dachstuhl zu sanieren war, wie man das als Restaurant genutzte Sockelgeschoss gegen Hochwasser wappnet (es wird mit gefiltertem Grundwasser geflutet). Seit 1995 ist das Schloss Sitz der Landesstiftung Villa Musica mit begleitender Museums- und Hotelnutzung und der Öffentlichkeit zugänglich.

Schloss Engers ist eher ein unproblematisches Beispiel für die Bemühungen am Mittelrhein, Denkmalschutz und Tourismus unter einen Hut zu bringen. Man sollte meinen, der Mittelrhein als eine der allerersten touristisch erschlossenen Regionen sei auch denkmalpflegerisches Musterland. Doch er ist eher Sorgenkind. Ständig gilt es, geplante Verunstaltungen abzuwehren, nicht immer mit Erfolg, wie der dominante Fernmeldeturm bei Koblenz und das unfassbar monströse Brauereihochhaus in Stolzeneck direkt am Rhein beweisen. Gegenwärtig gilt die Abwehrschlacht auf den Anhöhen geplanten Windkraftanlagen.

Sorgen bereiten auch die historischen Städtchen entlang des Rheins. Restaurants und Hotels veröden, mehr und mehr alte Häuser sind verlassen, niemand mag mehr investieren. Grund ist die enorme Lärmbelästigung durch Güterzüge. ICEs fahren nicht mehr durchs Rheintal, aber den Güterverkehr umzuleiten hat man vergessen. Der wird durch die Fernverbindung durch den neuen St.-Gotthard-Basistunnel eher noch zunehmen.

Bei Braubach beherrscht die Marksburg das Tal. Während die zahlreichen Höhenburgen entlang des Rheintals im Lauf der Zeiten ausnahmslos verwüstet und teilweise geschleift wurden und heute als Ruinen existieren oder im 19. Jahrhundert in romantisierender Weise herausgeputzt wurden, blieb die Marksburg als einzige weitestgehend original erhalten. Hausherr ist heute die Deutsche Burgenvereinigung, die sich um Erhaltung und Restaurierung kümmert.

Natürlich ist die Burg ein touristischer Brennpunkt, was die kostspielige Erhaltung erleichtert, was aber auch die Denkmalpfleger bekümmert. Der Besucherstrom schadet dem Bauwerk; heikle bauliche Arbeiten sind notwendig. Es gibt sogar Forderungen, die Burg baurechtlich korrekt behindertengerecht auszubauen. Und so manche Inszenierung (Folterkammer, Küche) ist den Publikumserwartungen geschuldete Ritterburgromantik und historisch nicht verbürgt.

Historische Bauten und Ambiente zu schützen und zu erhalten ist der Auftrag der Denkmalpfleger, aber sie haben auch die Aufgabe, diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, oft ein Widerspruch.

Die Festung Ehrenbreitstein oberhalb Koblenz zum Beispiel. Sie war Austragungsort der Bundesgartenschau 2011. Eine Seilbahn wurde gebaut, die vom Deutschen Eck diagonal über den Fluss pro Tag 30 000 Besucher auf den Berg brachte. Auf dem Festungsplateau machten die Berliner Landschaftsarchitekten Topotek aus einer vermüllten Brache ein Naherholungsgebiet. Die Festung selbst, großartige klassizistische Architektur, wird vielfältig kulturell (Freiluftkonzerte) und touristisch (Jugendherberge, Restaurants) genutzt.

Das Landesmuseum zeigt in den spannenden Gewölben in den von HG Merz gestalteten Räumen Landesarchäologie und die Geschichte der Festung von den Anfängen bis hin zu den Notwohnungen der 50er Jahre. Im „Haus des Genusses“ informiert die Ausstellung „WeinReich“ und im „Haus der Fotografie“ ist die Geschichte der Fotografie präsent.

Unesco moniert die Koblenzer Seilbahn

Gipfelattraktion. Die Marksburg bei Braubach blieb weitestgehend original erhalten.
Gipfelattraktion. Die Marksburg bei Braubach blieb weitestgehend original erhalten.

© p-a/Bildagentur Huber

Der Landeskonservator ist eigentlich zufrieden, garantiert doch die intensive und dem Denkmal durchaus angemessene Nutzung dessen weiteren Bestand. Ärger drohte freilich aus der Unesco in Paris. Die Seilbahn sei dem Weltkulturerbe Oberes Mittelrheintal abträglich und müsse wieder verschwinden. Die Talstation störe das historische Umfeld der romanischen Basilika St. Kastor – ein nicht von der Hand zu weisendes Argument – und die Bergstation den Anblick der Festung. Letzteres ist weniger nachvollziehbar, denn sie duckt sich doch recht verschämt abseits an die Hangkante.

Die Koblenzer wollen ihre Bahn unbedingt erhalten, denn sie hat die zuvor nur umständlich erreichbare Festung zum Teil des Stadtlebens gemacht. Im Juni stimmte das Welterbekomitee der Nutzung bis zum Auslaufen der technischen Betriebsgenehmigung zu. Danach will die Stadt neu bauen und mit kleineren Kabinen und denkmalverträglicheren Stationen versuchen, den Konflikt mit der Unesco zu entschärfen.

Wenige Kilometer rheinabwärts entwickelt sich ein weiterer Ort mithilfe der Denkmalpflege zum Besuchermagneten. Sayn liegt bei Bendorf etwas abseits in einem Seitental. Die romanische Abtei Sayn mit ihren eindrucksvollen Außenfresken und dem prächtigen Kreuzgang ist nach umfänglichen Restaurierungen wieder eine der lohnendsten Sehenswürdigkeiten am Mittelrhein – es hat sich nur noch nicht herumgesprochen.

Mehr Zuspruch findet einen Steinwurf weiter das Schloss, obwohl es als neugotische Anlage von 1845 sieben Jahrhunderte jünger ist und nach Kriegszerstörungen als weitgehender Wiederaufbau vor Augen steht. Aber es ist der älteste deutsche Hochadel, der die Besucher fasziniert. Fürst Alexander zu Sayn-Wittgenstein-Sayn und seine Frau Gabriela ließen die Ruine mit Unterstützung des Landes Rheinland-Pfalz wieder aufbauen. Die neugotische, nach dem Vorbild der Pariser Sainte Chapelle gestaltete Schlosskapelle prangt wieder in Gold und Cyanblau und ist angemessenes Ambiente für das Armreliquiar der heiligen Elisabeth aus dem 13. Jahrhundert. Es gibt im Schloss Tagungsräume, ein Restaurant und eine Art Heimatmuseum. Publikumsrenner sind die jüngsten, von der Fürstenfamilie gestalteten Räume mit allerlei Erinnerungsstücken, darunter das Fürstinnenzimmer mit den Brautkleidern aus sechs Generationen. Die Räume und ihre Ausstattung sind zwar neue Inszenierungen ohne historische Authentizität, doch das Publikum kommt ins Schwärmen.

Fürstin von Sayn
Fürstin von Sayn

© Thomas Frey, picture alliance

Wer das Schloss im damals gängigen Tudorstil – es könnte ohne weiteres in Babelsberg stehen – genauer mustert, wundert sich vielleicht über die Fenstergewände aus Gusseisen. Das im Schloss untergebrachte Rheinische Eisenkunstguss-Museum liefert die Erklärung, denn ab 1815 gehörte die Sayner Hütte der preußischen Krone. Viele der ausgestellten Objekte, Parkstühle, Prunkvasen, durchbrochene Obstschalen und Diademe aus feinstem Eisenguss – mancher Entwurf von Schinkel – waren schon in Berlin zu sehen.

Die 1778 gegründete Sayner Hütte selbst ist ein Industriedenkmal von europäischem Rang und wartet noch auf die Wiedererweckung. Nach und nach werden die spätbarocken Bauteile saniert. Neue Nutzungen für die vielfach umgebauten Gebäude aus dem 19. Jahrhundert werden noch gesucht. Mit großem Aufwand wird derzeit die Gießhalle restauriert, die 1828 aus vorgefertigten gusseisernen Teilen montiert wurde und 2010 als „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst“ geadelt wurde. Die nach dem Prinzip einer dreischiffigen Basilika konzipierte Halle ist seit längerem ungenutzt. Derzeit ist sie von Gerüsten erfüllt, auf denen die Eisenkonservatoren mit Reinigung, Schutz und Sicherung der schwarzgrauen Konstruktion beschäftigt sind.

Wie so oft wird durch denkmalpflegerische Sanierung aus einem unansehnlichen, grauen Gemäuer ein strahlendes Baukunstwerk, in diesem Fall eine „Kathedrale der Arbeit“ mit kunstvoll gegossenen dorischen Säulen und filigranen Eisenbogen. Hitze, Lärm und Ruß, die hier einst die nicht gerade angenehme Arbeitswelt beherrschten, lassen sich freilich nicht rekonstruieren, das wäre eine lohnenswerte museumsdidaktische Aufgabe.

Der Mittelrhein zeigt, dass selbst in unseren kulturellen Kerngebieten noch viel Potenzial steckt, das durch engagierte Denkmalpflege aktiviert werden kann.

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