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Reise: Der Entwicklungshelfer

Andermatt in der Schweiz will mehr Tourismus. Um jeden Preis. Jetzt kommt ein ägyptischer Investor

Noch braucht man viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie es in einigen Jahren rund um den Bahnhof von Andermatt aussehen wird. Nun gut, einige Kräne drehen sich, Bauarbeiter wuseln um Baucontainer herum, und der Rohbau des sogenannten Podiums – der Decke der künftigen Tiefgarage – zeichnet sich ab. Von den Hotels und Ferienhäusern, die später zahlungskräftige Touristen anlocken sollen, ist noch nichts zu sehen.

„Swiss Alps“ heißt das Großprojekt, das in Andermatt, einem gerade mal 1300 Einwohner zählenden Schweizer Alpendorf am Fuß des Gotthardpasses, Gestalt annehmen soll. Ein ägyptischer Unternehmer hat es initiiert. „Ich habe am Anfang selbst darüber gelacht“, erzählt Investor Samih Sawiris. „Die Schweizer holen jemanden aus Afrika, um dem entwickeltsten Land der Welt Hilfe anzubieten!“

Doch Andermatt braucht in der Tat Hilfe. Das Dorf hat in den vergangenen 20 Jahren ein Fünftel seiner Einwohner verloren und macht derzeit einen dramatischen Strukturwandel durch. Denn das Gotthardmassiv war ein zentraler Bestandteil des sogenannten Réduits, einer Verteidigungsstrategie, die im Zweiten Weltkrieg einem möglichen Angreifer im gebirgigen Inneren des Landes das Leben schwer machen sollte. Bis vor kurzem spielten Militär und Kasernen eine tragende Rolle in Andermatt. Doch weil auch die Schweiz ihr Verteidigungswesen umbaut, wurden im Ort nun große Militärflächen für eine neue Nutzung frei.

Doch für welche? Auf Vermittlung des ehemaligen Schweizer Botschafters in Ägypten kam Sawiris als Berater nach Andermatt – und war begeistert vom Potenzial des Dorfes. Sawiris stammt aus einer der reichsten ägyptischen Familien und ist Chef der Orascom Development Holding, die auf die Entwicklung großer Urlaubs- und Wohnsiedlungen spezialisiert ist; unter anderem errichtete sie am Roten Meer das Resort El Gouna. „In unserem Geschäft ist small nicht beautiful“, sagt der 54-jährige Sawiris, der die Deutsche Evangelische Schule in Kairo besucht und an der TU Berlin Wirtschaftsingenieurwesen studiert hat.

Deshalb entwickelte er für Andermatt ein Konzept, das im Verhältnis zur Größe des Ortes gigantisch wirkt: In direktem Anschluss an das bestehende Dorf sind sechs Hotels der Vier- und Fünf-Sterne- Kategorie geplant, außerdem 42 Wohnhäuser mit zusammen 490 Ferienwohnungen, 25 Villen, ein Sportzentrum, ein Konzertsaal, eine Einkaufsmeile und ein 18-Loch-Golfplatz. Auf 1,5 Milliarden Euro beläuft sich das Investitionsvolumen. In Kooperation mit einem schwedischen Unternehmen soll zudem für weitere 120 Millionen Euro das Skigebiet ausgebaut werden.

Bereits in Bau ist das Fünf-Sterne-Hotel Chedi, das Ende 2013 die ersten Gäste empfangen wird. Diese dürfen sich auf Luxus freuen. Zwischen 55 und 110 Quadratmeter groß werden die 50 Hotelzimmer – allerdings wird eine Übernachtung im Durchschnitt 800 Euro kosten. Dem Hotel angeschlossen sind Eigentumswohnungen, deren Bewohner die Dienstleistungen des Hotels in Anspruch nehmen können. Für ein zweites Hotel hat Sawiris mit Radisson Blu einen Betreiber gefunden.

Bis 2014/15 sollen neben den beiden Hotels auch die gemeinsame Tiefgarage, die Sporthalle und der Golfplatz fertig sein. „Dann ist die Destination Andermatt geboren“, sagt Sawiris. „Anschließend beginnt das Wachstum.“ Dieses Wachstum betrifft vor allem die Häuser mit den Ferienwohnungen, die laut den Verantwortlichen in einer zeitgenössischen Interpretation alpiner Architektur („Alpine Chic“) entworfen sind.

Die Baumaschinen lässt Sawiris allerdings erst dann auffahren, wenn die Wohnungen in einem Haus komplett verkauft sind. Bisher wurden Wohnungen für gut 80 Millionen Euro veräußert – was die Schweizer Presse nicht davon abhält, regelmäßig den Vermarktungserfolg des Projekts infrage zu stellen. Auch die Preise – etwa 12 000 Euro kostet der Quadratmeter, mehr als drei Millionen Euro das teuerste Apartment – seien zu hoch, heißt es. Und überhaupt: Wieso sollten sich reiche Menschen ausgerechnet für das bescheidene Andermatt entscheiden, wo die Schweiz doch Luxusdestinationen wie St. Moritz oder Gstaad zu bieten habe?

„Die Schweizer sagen immer, das sei zu riskant“, seufzt Sawiris. „Meine größte Herausforderung war deshalb, Menschen mit Visionen zu finden.“ Gefunden hat er zum Beispiel Sara Collins. Die junge Leiterin des Verkaufsteams, die bereits Luxusimmobilien in der Karibik und Haute-Couture-Mode in Deutschland verkauft hat, ist um keine Antwort auf kritische Fragen verlegen. „Wir wollen St. Moritz nicht Konkurrenz machen, sondern eine Ergänzung sein“, sagt sie. Mit „Swiss Alps“ werde es gelingen, „den Gästen das ganze Jahr etwas zu bieten“ – durch Sportangebote, hochwertige Läden und ein Kulturprogramm, das in Zusammenarbeit mit dem Musikfestival im nahen Luzern entwickelt werde.

Neben Schweizern sollen auch Deutsche, Briten und Italiener als Käufer umworben werden. Ihnen hat Andermatt Swiss Alps eine Besonderheit zu bieten: Sie können problemlos Wohnungen erwerben und dürfen sie ohne Haltefrist wieder verkaufen. Sawiris schaffte nämlich das Kunststück, bei der Schweizer Regierung in Bern eine Befreiung von der sogenannten Lex Koller zu erreichen, die den Immobilienerwerb durch Ausländer einschränkt.

Andermatt bereitet sich schon mal auf den erhofften Aufschwung durch das Ferienresort vor. Manche Häuser sind frisch saniert – vor kurzem eröffnete ein feines Boutiquehotel. „Die Alternative zum Tourismus ist, hier wegzuziehen“, sagt auch Bänz Simmen, der in Andermatt ein Internetcafé betreibt und Schneeschuhtouren anbietet. Zu Beginn der Sawiris-Planung habe die Bevölkerung „etwas zwischen Euphorie, Angst und Goldgräberstimmung“ empfunden, erzählt der sonnengegerbte Mann. Die Angst hat sich allem Anschein nach gelegt: In der entscheidenden Volksabstimmung über die Änderung des Planungsrechts votierten 96 Prozent der Andermatter für die Sawiris-Pläne.

Ohnehin, sagt Simmen, sei Andermatt viel weltoffener, als man angesichts der Lage mitten in den Alpen denken würde. Denn im 19. Jahrhundert hatte das Dorf als zentrale Station für die Postkutschenfahrten über den Gotthard immer viele Auswärtige zu Gast. Die Eröffnung des Gotthard-Eisenbahntunnels 1882 setzte diesem Wirtschaftszweig ein abruptes Ende. Und auch mit der Weltgeschichte hatte Andermatt früh Kontakt: 1799 nahm der russische Feldmarschall Suworow im Kampf gegen Napoleon mit seinen Truppen in Andermatt Quartier. In Russland ist das Dorf aus diesem Grund noch immer gut bekannt. Trotzdem will Sawiris nicht auf reiche Russen als Käufer setzen: „Russland ist kein Kernmarkt“, heißt es diplomatisch.

Wie sich indes der politische Umsturz in der ägyptischen Heimat von Sawiris auf das Schweizer Projekt auswirkt, bleibt abzuwarten. Der Umsatz der Orascom Development Holding brach im vergangenen Jahr um zwölf Prozent ein. Ohnehin lässt sich Sawiris nicht auf einen Termin festlegen, wann Andermatt Swiss Alps vollendet sein wird. „Es gibt keine Eile“, sagt der Unternehmer. „Aber wenn Sie in zehn Jahren wiederkommen, werden Sie mit Sicherheit das Gefühl haben, dass die Destination vollständig und sehr attraktiv ist.“

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