zum Hauptinhalt
Entspannung statt Animation. Viele Kreuzfahrer wollen mal einfach im Liegestuhl dösen und die Ruhe auf dem Meer genießen.

© FTI

Die Muße auf See: Ruhe an der Reling

Klassische Kreuzfahrten ohne Schnickschnack sind wieder gefragt.

Shuffleboard war gestern. Crocket auch. Und Bingo sowieso. Vielmehr überbieten sich seit Jahren die Kreuzfahrtreedereien weltweit mit zum Teil spektakulären Attraktionen an Bord ihrer Schiffe. Es begann einst ganz harmlos mit Golfsimulatoren und Gastköchen – heute jagt ein Superlativ den nächsten: Die mit 692 Metern längste Joggingbahn auf See auf der „Oasis of the Seas“, die erste Wildwasserbahn auf der „Disney Dream“, die mit 60 Metern höchsten Kletterwände auf den Schiffen der amerikanischen Reederei Royal Caribbean Cruise Line. Auf dem Meer wird gebraut, in Parks gewandert. Aber was, wenn man einfach nur Schiff fahren möchte, wie früher? Gibt es die klassische Kreuzfahrt noch?

„Ja, und es gibt ein wiedererwachendes Interesse daran“, sagt Johannes Bohmann, Kreuzfahrtexperte und Redaktionsleiter des jährlich erscheinenden „Kreuzfahrt Guide“ aus Hamburg. Das sei auch auf dem Kreuzfahrtkongress im vergangenen Herbst in der Hansestadt deutlich geworden, wo sich etwa 100 Vertreter der Branche zum Austausch trafen. „Die Megaliner haben die Kreuzfahrt stark verändert“, sagt Bohmann. „Überall Animation, alles ist laut – da wächst in einigen der Wunsch, mal einfach in Ruhe an der Reling zu lehnen und auf das Meer zu blicken.“

Es muss ja nicht gleich wieder der Ober mit den weißen Handschuhen sein. Obwohl es schon nett war, als Stewards noch Eclairs oder hauchdünne Gurkensandwiches zu Tee reichten, wie einst auf den legendären Schiffen von Cunard, der inzwischen immer noch in Dubai dümpelnde und auf eine Zukunft als Hotelschiff wartenden „Queen Elizabeth 2“, oder der „Vistafjord“, heute als „Saga Ruby“ unterwegs.

Aber „Titanic“ war eben gestern. Heute ist der ruhesuchende Passagier schon dankbar für Bordprogramme, die einen nicht über das Deck hetzen und nur die Frühgymnastik, den „Early Bird“-Kaffee ab 6 Uhr und die Ausflugszeiten auflisten. Und vielleicht die eine oder andere nette Abendunterhaltung.

„Es gibt schon sehr viele Menschen, die mit ihren Freunden mal eine Woche lang richtig feiern wollen“, sagt Sibylle Zeuch vom Deutschen Reiseverband (DRV) in Berlin. All die vielen Kreuzfahrtriesen sprächen für sich. „Auch die weitreichende Kinderbetreuung ist für viele reizvoll.“ Aber „Seereisen ohne Schnickschnack“ hätten immer schon ihren Markt gehabt. Und wer schon oft genug auf den Spaß-Schiffen war, der habe nun vielleicht wieder Lust auf einen ruhigeren Törn.

Ein Kartenspiel statt Bühnenshow

Und wo ist die Kletterwand? Gibt’s nicht auf der überschaubaren „Delphin“ mit maximal 470 Gästen.
Und wo ist die Kletterwand? Gibt’s nicht auf der überschaubaren „Delphin“ mit maximal 470 Gästen.

© Passat Kreuzfahrten

In Deutschland ist es unter anderem die 1999 getaufte „Europa“ von Hapag- Lloyd Kreuzfahrten, die die Fahne der klassischen Kreuzfahrt hochhält. Der Schwerpunkt liegt auf kulinarischem Genuss bis hin zur Sterneküche, Golf und auf Musik von Musical bis Klassik. Die Landgänge sind bestens organisiert und die Abende oft festlich. Das Schiff für rund 450 Passagiere ist etwas für Gäste, die gerne auch mal Abendgarderobe anziehen und glitzern mögen. Auf der „Europa 2“, die am 10. Mai in Hamburg getauft wird, soll es künftig nicht weniger edel, jedoch etwas legerer zugehen.

Ein weiterer klassischer deutscher Kreuzfahrer ist die „Deutschland“ der Reederei Peter Deilmann in Neustadt/Holstein, Fernsehzuschauern bekannt als ZDF-„Traumschiff“. Zur Unterhaltung der maximal 520 Passagiere werden Musiker, Wissenschaftler und Forscher an Bord gebeten für Konzerte und Vorträge – das war’s. Fast. Denn die Chancen stehen gut, als Komparse für die Fernsehfilmerei eingespannt zu werden.

Doch auch wenn das ZDF nicht an Bord ist, bittet das Orchester im „Kaisersaal“ zum Tanz. Auch die anderen Räume des 1998 gebauten Schiffs sind nach berühmten Persönlichkeiten längst vergangener Epochen benannt, wie die Bar „Zum Alten Fritz“ und der Salon „Lili Marleen“. 2013 erscheint das fast ein wenig zu viel Retro, aber das Schiff hat sein Publikum.

Der Vorgänger des Traumschiffs, die „Berlin“, ist seit dem vergangenen Jahr ebenfalls wieder auf dem deutschen Markt: unter dem Namen „FTI Berlin“ für FTI Cruises.

Apropos Klassiker: Auch die „Columbus“, ehemals Hapag-Lloyd Kreuzfahrten, ist nicht weg. Das Schiff für 400 Passagiere fährt seit Sommer 2012 als „Hamburg“ für die Bremer Reederei Plantours & Partner. Es hat einen weißen Anstrich mit einem frischen gelben Band bekommen. An Bord des 1997 gebauten Kreuzfahrers geht es familiär zu. Statt zu Bühnenshows ziehen sich die Passagiere gerne zum Kartenspiel zurück und konzentrieren sich auf die Reiseziele. Die kleineren Schiffe sind dafür bestens geeignet. Die „Hamburg“ ist zum Beispiel wegen ihrer Abmessungen eines der wenigen Kreuzfahrtschiffe, die die nordamerikanischen Großen Seen befahren kann.

Auch wieder da ist die „Delphin“. Das 1975 gebaute Schiff für zirka 450 Passagiere fährt seit April vergangenen Jahres für Passat Kreuzfahrten und ist Freunden der klassischen Kreuzfahrt auch als „Kazakhstan II“ bekannt.

Gleich drei Schiffe, die auf ruhiges Reisen setzen, hat Phoenix Reisen im Programm: die „Amadea“ (Vier-Sterne-Plus) für 600 Passagiere, die „Artania“ (Vier- Sterne-Plus) und die „Albatros“ (Drei- Sterne-Plus). Die weißen Schiffe mit ihrer türkisfarbenen „Bauchbinde“ sind eine gute Wahl für alle, die auf Gemütlichkeit setzen und persönliche Ansprache.

Das Flaggschiff „Amadea“ bietet zwar auch eine Neun-Loch-Golfanlage. Aber eigentlich lockt die rund 600 Passagiere im Winter das Kaminzimmer. Die 1984 gebaute „Artania“ fuhr einst – nach der Taufe durch Prinzessin Diana – als „Royal Princess“ für Princess Cruises und ist ein klassischer Kreuzfahrer für 1200 Passagiere. Die 1973 gebaute „Albatros“ (550 Passagiere), ist etwas für Nostalgiker. Der trotz 205 Metern Länge zierlich anmutende Oldtimer hat eine große Fangemeinde.

Nach der Lesung zum Champagnerempfang

Seetage sind für viele Lesetage.
Seetage sind für viele Lesetage.

© Cunard

Für die britische Traditionsreederei Cunard fahren die Herzensbrecher, in klassischem Dunkelblau-Weiß: „Queen Mary 2“ (3090 Passagiere), „Queen Elizabeth“ (2068) und „Queen Victoria“ (1990). Getauft von Mitgliedern des britischen Königshauses, werden sie in den Häfen von vielen Fans begrüßt, die auch nach dem zigsten Einlauf nicht ermatten.

Cunard hat Halfpipes und Drahtseilbahnen an Bord nicht nötig. Stattdessen gibt es zur Zerstreuung Bibliotheken in warmen Holztönen, Vorträge und Lesungen, Gartenpartys an Deck, Champagnerempfänge und Bälle. Und: Crocket. Wer eine Idee davon bekommen möchte, wie man die Weltmeere vor fast 100 Jahren bereiste, ist auf diesen Schiffen richtig. Aber Achtung bei der Buchung: Die Bordsprache ist Englisch.

Sehr französisch dagegen geht es auf den Schiffen der Compagnie du Ponant zu: Die elegante „Le Boréal“ und das Schwesterschiff „L’Austral“ (jeweils 264 Passagiere) setzen rein auf Entspannung und gutes Essen. Sie sind das Richtige für Passagiere, die es nicht nur ruhig, sondern auch eher klein mögen auf einem Kreuzfahrtschiff.

Die beiden in Dunkelbraun und Weiß gestrichenen Fünf-Sterne-Jachten machen abseits der großen Häfen Stopp – ein eindeutiger Vorteil kleinerer Schiffe. Wer Häfen mit den Kreuzfahrtriesen vermeiden will, kann bei der Auswahl seiner nächsten Reise auch einen Routencheck machen: Im Internet findet sich ein Überblick über die Buchungssituation in den Häfen weltweit.

Eine US-amerikanische Reederei, die sich auf alte Kreuzfahrt-Werte besinnt, ist Crystal Cruises. Und das gegen den Trend auf amerikanischen Schiffen. „Crystal Cruises hat sich bewusst für ein unaufdringliches Bord-Entertainment entschieden“, erklärt Sprecher Conny Rausch das Konzept.

Ihre beiden strahlend weißen Luxusliner, seit einigen Jahren auch auf dem deutschen Markt unterwegs, heißen „Crystal Serenity“ und „Crystal Symphony“. Sie sind mit 1080 und 940 Passagieren mittelgroß – eigentlich Platz genug für Wasserrutschen. Aber an Bord dominieren edle Materialien und Angebote zum Relaxen und feinem Dining. Auch Lernen wird groß geschrieben - das geht von Golf über Malen bis hin zu Musik- und Computerunterricht. Und vom großen Außenpooldeck geht der Blick weit über das Meer. Und ist man nicht eigentlich deswegen auf Kreuzfahrt?

Zur Startseite