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Reise: Diktat der runden Jubiläen

Niemand muss sich langweilen in diesem Jahr. Eine Fülle an Jubiläen und runden Gedenktagen hat 2011 parat, landauf, landab reiben Touristiker und Reisende sich die Hände.

Niemand muss sich langweilen in diesem Jahr. Eine Fülle an Jubiläen und runden Gedenktagen hat 2011 parat, landauf, landab reiben Touristiker und Reisende sich die Hände.

Musikfreunde pilgern zu Tausenden nach Thüringen und ins Burgenland, um 200 Jahre Franz Liszt zu feiern.

Königstreue schweben ein Jahr lang in einer weiß-blauen Wolke royaler Verzückung: Am 13. Juni vor exakt 125 Jahren stieg Ludwig II. mehr oder weniger freiwillig in die Fluten des Starnberger Sees und kam nicht wieder.

Quasi im Vorübergehen nehmen die Kunstfreunde unter ihnen noch den 100. Geburtstag der Malergruppe „Blauer Reiter“ mit. Letztere werden auch in Gera und Chemnitz fündig: Vor 120 Jahren wurde Otto Dix geboren.

Und ihr ganz persönliches i-Tüpfelchen auf dem Kunstjahr: Genau am 21. August wurde die Mona Lisa aus dem Louvre gestohlen, exakt 100 Jahre ist das her.

Auch Archäologen haben allen Grund zur Freude: Vor 100 Jahren hat ihr Vorgänger Hiram Bingham Machu Picchu entdeckt.

Mumienfreunde zieht es ins Ötztal: Vor 20 Jahren tauchte der ganz Alte aus dem Eis.

Und Seebären kriegen feuchte Augen: 100 Jahre „Passat“ in Travemünde, 100 Jahre maritime Männerschmiede: „Kannst splissen und knoten – kannst priemen und roken.“

Es ist ein Jubeljahr von großer Güte und erhabener Kraft. Gerade die Städte überbieten sich gegenseitig: Friedrichshafen wird 200, Dülmen 700, Wurzen in Sachsen gar 1050 Jahre. Selbst das kleine feine Jever blickt schon auf 475 stramme Jahre Stadtgeschichte zurück.

Aber auch wer so gar nichts Tragendes aus seinen Archiven ausgraben konnte, lässt sich nicht leer ausgehen: Nur feste feiern, der Anlass findet sich.

Da blickt der Beelitzer Spargel auf 150 Feinschmeckerjahre zurück.

Ulm erinnert sich, dass sein tapferes Schneiderlein vor 200 Jahren in die Donau stürzte.

Und vor 100 Jahren haben die Durlesbacher ihren Bahnhof eröffnet. Durlesbach – kennen Sie nicht? Noch nicht. Im beliebten Folksong „Auf d’r Schwäb’sche Eisebahne...“ spielt Durlesbach sozusagen die Schlüsselrolle. Und am Ende des Jahres wird niemand mehr sagen können, er habe davon nicht gewusst.

Und Berlin? Vor 130 Jahren ging in Lichterfelde bei Berlin die erste elektrisch betriebene Straßenbahn der Welt in den Probebetrieb. Oho! 125 Jahre Kurfürstendamm, prächtig. 30 Jahre Sport- und Erholungszentrum, naja. Und Rolf Zacher wird – wat denn, wat denn – am 28. März ooch schon 70. Dazu zehn Jahre Fusion Marzahn-Hellersdorf. Fünf Jahre Hauptbahnhof. Und gefühlte 125 Jahre Rolf Eden. Alles nicht so unbedingt Titelanwärter in der ersten Jubiläumsliga.

Aber warum unterwerfen sich eigentlich alle stets so bereitwillig dem Diktat des runden Jubiläums? 105 Jahre Ringlokschuppen im Betriebsbahnhof Schöneweide, 261 Jahre Spritzenhaus Heinersdorf – ist das kein Grund zum Feiern? Begeht nicht der Fernsehturm einen stolzen 51.? Und fünf Jahre Knut, 42 Jahre „Ullrich am Zoo“ und fast 13 Jahre Wolfgang Joop in Potsdam – ist das etwa nichts?

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