zum Hauptinhalt

Edingburgh: In der Bar des Inspektors

Die schottische Stadt Edinburgh ist ein architektonisches Erlebnis. Mit Ian Rankins Krimis blickt man hinter die Kulissen.

Rot-weiße Doppeldecker schieben sich in einer nicht enden wollenden Karawane in beiden Richtungen durch die Straße, Menschenmassen wogen geschäftig hin und her, es herrscht drangvolle Enge in der Princes Street. Aber: Keine Hauptgeschäftsstraße der Welt bietet eine derart imposante Aussicht. Denn die Geschäftshäuser ziehen sich nur an einer Straßenseite entlang; zur anderen, oberhalb einer herrlichen Parkanlage, erhebt sich die wuchtige Altstadt Edinburghs mit ihrem wehrhaften Schloss.

Von diesem trutzigen Gebäude aus hat sich die Stadt entwickelt, den Hügel hinab bis zu Holyroodhouse, dem schottischen Amtssitz der Königin. Bis zu zehnstöckige Gebäude aus Granit kleben nun am Hang. Die Royal Bank of Scotland mit ihrer mächtigen Kuppel ragt stolz aus diesem Häusermeer und scheint mit ihren wegen des konstanten Windes knatternden Fahnen auch der Finanzkrise zu trotzen.

Überhaupt das Wetter. An den Wind muss man sich gewöhnen – und an den grandiosen Himmel. Wolken schieben sich in ständig wechselnden, dramatischen Formationen über die Stadt, und wenn die Sonne plötzlich durchbricht, gleicht die Szenerie einer Kitschpostkarte. Bei blauem Himmel erscheint die Luft klarer als anderswo. Und wenn er grau und trüb ist, „ein schiefergraues Dach“, wie der Schriftsteller Ian Rankin schreibt, ja selbst dann hat die Stadt des grauen Steins ihren Reiz. Und entspricht dann allen Klischees, die man über das „Athen des Nordens“ hat.

Edinburgh lässt keine Ecke aus, um nicht einen Dichter oder Denker auf einen Sockel zu stellen. Die National Gallery of Scotland und die Royal Academy of Scotland mitten in der Parkanlage Princes Street Gardens unterstreichen in ihrer griechischen Tempelarchitektur den Anspruch, das „Athen des Nordens“ zu sein.

Nach Schulschluss am Nachmittag kann man auf der Princes Street die Schülerinnen von George Heriots, Mary Erskine oder der St. George’s School for Girls an ihren Uniformen erkennen: Die unterschiedlichen Muster der Kilts haben lange Tradition. Und unweit des kirchturmhohen neogotischen Denkmals für Sir Walter Scott, den Autor von „Ivanhoe“, steht garantiert immer ein Dudelsackspieler, der unverdrossen „Scotland the Brave“ und andere schottische Hits pfeift. Wehe, der Fotograf vergisst sein Pfund ins Körbchen zu werfen! Gratis dagegen dröhnt die schottische Musik aus den unzähligen Souvenirläden an dieser Flaniermeile.

Die Altstadt liegt wie ein Fischgerippe auf dem Berg – die Wirbelsäule ist die Royal Mile, die Gräten sind die links und rechts den Berg wieder hinab laufenden Gassen, die Wynds und Closes. Wie es sich hier vor der Errichtung der sogenannten New Town gelebt hat, erfährt man in Mary King’s Close. Denn dort, unter dem Rathaus, ist das enge Gewirr von Gängen und Räumen noch zu besichtigen. Man hatte im 18. Jahrhundert die maroden Häuser bis auf Straßenniveau abgerissen. Alles was hangseitig darunter lag, brauchte man als Fundament für das prächtige Rathaus. Und so folgen heute die Touristen einer historisch verkleideten Figur in die Unterwelt, in enge Wohnungen und spärlich beleuchtete Kammern, die links und rechts der Close liegen. Kaum vorstellbar, dass allein an dieser Gasse einst 600 Menschen in bis zu achtstöckigen Häusern gewohnt haben sollen. Ganz oben die Reichen, ganz unten die Ärmsten. „Morgens und abends gossen die Menschen im hohen Bogen ihre Nachttöpfe auf die Gasse aus, und Sie können sich vorstellen, welche hygienischen Verhältnisse auf dieser Rutschbahn geherrscht haben“, erzählt die Führerin. Die britischen Zuhörer quittieren die Aussage mit einem entsetzten „Ooooohhhh“.

Diese Verhältnisse der aus allen Nähten platzenden Altstadt waren dem Rat der Stadt ein Dorn im Auge. Und so wurde 1766 der Architekt James Craig beauftragt, die Neustadt auf dem gegenüberliegenden Hügel zu planen. Und deshalb trägt Edinburgh auch seit 1995 für Alt- und Neustadt den Titel „Weltkulturerbe der Menschheit“.

Craig plante im Geist der Aufklärung eine vollständig neue, rechteckige Stadt mit schnurgeraden Straßen und regelmäßiger Bebauung. Die George Street ist die Prachtmeile der Neustadt, die heute für die Masse der Besucher ihren ursprünglichen Hauptstraßencharakter an die Princes Street verloren hat. Dafür flaniert man hier oben an den feineren Boutiquen vorbei, an Banken und Restaurants hinter prächtigen Fassaden. Regelmaß, Proportion, Harmonie, Gleichklang – all das charakterisiert die Neustadt mit ihren Sandsteinfassaden und den hohen Fenstern seit mehr als 200 Jahren. Klassisch elegant wirkt das alles, keineswegs museal. Denn der Stadtteil hat sich den Bedürfnissen der jeweiligen Zeit angepasst, ohne seinen Charakter zu verlieren.

In weiteren Baustufen wurde die Neustadt um kreisrunde Plätze ergänzt. In ihrer Mitte befinden sich von Gittern gesäumte Grünanlagen, zu denen nur die Hausbewohner der Nachbarschaft per Schlüssel Zugang haben. Neben diesen „Circles“ bilden die sogenannten Crescents, leicht oval geschwungene, in Grün gebettete Straßen, eine elegante Variante. Für Abwechslung sorgt auch die Topografie der hügeligen Stadt, die der Edinburgh-Flaneur bald als Muskelkater in den Unterschenkeln spüren wird. Es geht einfach ständig bergan und bergab.

Von der George Street aus kann man bei gutem Wetter bis hin zum blauen Wasser des Firth of Forth blicken. Im Grunde ist Edinburgh keine maritime Stadt, doch diese Ausblicke, die Möwen, die Wolkengebirge und der ewige Wind lassen einen die See nicht vergessen. Wem das Gehen zu zugig und zu anstrengend ist, dem sei das Tagesticket (drei Pfund) der Lothian Buses empfohlen.

Craig und seine Nachfolger haben die Stadt bis ins Detail geplant. Da sind nicht nur die wunderbaren Haustüren mit ihren halbrunden Fenstern oder die schmiedeeisernen Geländer, die in jeder Straße ein anderes Abschlussmuster haben. An den bedeutenden Straßen gibt es an den Hauslampenmasten tatsächlich noch die kleinen Trichter, in denen man einst seine Fackel löschen konnte.

Aber Edinburgher sind auch Schotten. So haben sie bei der Rückseite ihrer prächtigen Häuser auf die Sandsteinverkleidung verzichtet, die Abwasserrohre sind sichtbar. Grober Stein, unverputzt, erzeugt eher krudes Hinterhofflair. Das entdeckt man auch in den Gassen zwischen den großen Straßen, wo einst die Kutschen und Pferde der Herrschaften untergebracht waren. Heute finden sich hier einfache Geschäfte und Kneipen.

In einer dieser Gassen, der Young Street, versteckt sich übrigens die enge Oxford Bar, Edinburghs ursprünglichste Kneipe, bekannt durch Ian Rankin, der hier seinen Inspektor Rebus Zuflucht finden lässt und sich selbst vom Trubel der Stadt erholt. Rankin hat mit seinen 17 Rebus-Romanen der Stadt ein wunderbares Denkmal gesetzt.

Tipps für Edinburgh

Anreise: Ryanair fliegt von Berlin- Schönefeld nach Edinburgh. Näheres unter www.ryanair.com

Literarische Orte: Elephant House, George IV Bridge. Gemütliches Café für Elefanten- und Harry-Potter-Freunde.
Oxford Bar, 8 Young Street. Zweites Wohnzimmer von Inspektor Rebus.

Sehenswert: The Writers’ Museum and Makars’ Court, Lawnmarket, Royal Mile
Georgian House. Ein typisches Haus der New Town, eingerichtet im Stil des 18. Jahrhunderts. Adresse: No. 28 Charlotte Square.

Literatur: Alle „Inspektor-Rebus“-Romane von Ian Rankin.

Auskunft: Visit Scotland. Internet: http://international.visitscotland.com/de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false