zum Hauptinhalt

Reise: Ein Salto bei König Laurin

Breite Pisten, schrille Snowparks und lustige Schneekindergärten: Die Seiser Alm ist ein Familienskigebiet – mit bester Aussicht auf zackige Gipfel

Natürlich kann man auch unten behaglich wohnen. In Kastelruth, wo die Lieder der „Spatzen“ öfter erklingen als irgendwo sonst. Im malerischen Völs, wo vor mehr als 100 Jahren das Heubad erfunden wurde. In Seis, wo Oswald von Wolkenstein auf Burg Hauenstein im Spätmittelalter seine Minnelieder schrieb. Aber – zumindest tagsüber – wollen die meisten Gäste hinauf. Und so schweben sie von Seis aus in azurblauen Gondeln auf die Alm. Eine nach der anderen entlässt oben ihre bunte Fracht: Erwachsene, Kinder, Skier und Snowboards. 2800 Personen pro Stunde sind es in der Hochsaison. Kein Problem auf der Seiser Alm, denn die bietet enorm viel Platz. Über 52 Quadratkilometer dehnt sich Europas größte Hochalm aus.

Wer bucklige, steile Abfahrten mag, wird hier enttäuscht. Breit, sanft abfallend und gut gewalzt die Pisten, kein Baum im Weg. Ein ideales Gebiet für Anfänger, Familien und jene Skifahrer, die es nach etlichen Jahren Pause mal wieder probieren wollen. Ein 60 Kilometer langes Loipennetz ist vorhanden, 30 Kilometer Winterwanderwege sind ausgeschildert.

Compatsch, das Zentrum der Seiser Alm, ist nichts für Romantiker. Eine Ladenzeile, ein paar Pensionen, wenige Hotels, das war’s. Das Hotel Urthaler allerdings hat Zeichen gesetzt. Eine Unterkunft, die Luxus und Nachhaltigkeit auf bestechende Weise vereint. Holz, das vorherrschende Material, wird mit Glas kombiniert, die Böden sind aus Holz oder Naturstein, die Teppiche gar handgeknüpft. 51 Zimmer hat die Herberge, und die sind funktional und zugleich gemütlich eingerichtet. Dass sich noch andere Häuser dieser Größe hinzugesellen, muss man nicht befürchten. „In Compatsch wird alles so bleiben, wie es ist“, sagt Hotelbesitzer Walter Urthaler. Die Seiser Alm sei schließlich ein Naturschutzgebiet, neue Baugenehmigungen gebe es nicht.

Immer schon kamen Gäste auf die Seiser Alm. Als Walter Urthaler, Jahrgang 1938, Kind war, gefiel ihm das kaum. „Gäste kommen“, rief die Mutter, Inhaberin einer kleinen Pension – und Walter wusste, was ihm blühte. Hinunterlaufen nach Seis, um frisches Brot, Eier und Wurst zu kaufen. „Im Haus war ja immer nur das, was die Familie zum Leben brauchte“, sagt Urthaler. Die Bewohner der Alm seien arm gewesen. Jeder größere Bauer im Tal hatte oben eine Hütte, im Sommer von den Viehhirten bewohnt. Noch heute ist das so. 365 dieser dunkelbraunen Holzbauden gibt es noch. Einige wurden zur Einkehr für Urlauber ausgebaut, doch die meisten dienen noch dem ursprünglichen Zweck und liegen – jetzt im Winter – verwaist da.

„Das ist einmalig in Südtirol“, sagt Urthaler. „Die Südtiroler sind mit Grund und Boden verbunden, da wird nichts verkauft“, sagt er. Und wenn, so könne eben keiner daherkommen, um auf dem Hüttengrund etwas viel Größeres zu errichten.

Dennoch war die Seiser Alm bedroht. Anfang der 90er Jahre wurden die ersten Schneekanonen installiert, immer mehr Winterssportler kamen. „Wir wurden von Autos überrumpelt, da war Lärm und Gestank“, sagt Urthaler. Seit 2004 ist das vorbei. Nur wer oben ein Quartier gebucht hat, darf mit dem Auto hinauf. Und wieder zurück. „Oben soll es keinen Individualverkehr geben“, sagt Urthaler zufrieden. So herrscht Ruhe auf der Alm.

Über das Hochplateau verteilen sich 22 Lifte. Ganz einfach ist es nicht, sich etwa in einem „Sechser“ zu platzieren. Gummidreiecke, die mit dem Sicherheitsbügel herunterklappen, sind für Erwachsene eher lästig. Für Kinder sind sie eine gute Erfindung, denn sie verhindern, dass ein quirliger Vierjähriger unversehens aus dem Lift rutschen kann. Und für Kinder überlegt man sich vieles auf der Seiser Alm. „Das ist unsere Kundschaft von morgen“, sagt Diego Clara, Vertreter des Skiverbunds Dolomiti Superski. So hat man den kleinen Gästen sogenannte Funparks gebaut, in denen sie durch Tore oder Eistunnel gleiten, auf einem „Zauberteppich“ eine Schräge nach oben nehmen, um dann erste Bogen abwärts zu probieren. „Miki Maus“ wacht fröhlich über dem Kinderpark in Wolkenstein. „Schon Dreijährige werden hier betreut“, sagt Parkleiter Flavio. In der Hochsaison bis zu 100 Kinder, maximal neun werden pro Gruppe eingeteilt. Es gibt Mittagessen, Spielecken, und die Jüngsten halten selbstverständlich auch ihren Mittagsschlaf.

Wer als Jugendlicher noch mit den Eltern verreist, hat andere Ansprüche. Auch darauf hat man sich längst eingestellt. Wer 15, 16 ist, will Action and Thrill – und findet beides im Snowpark. Insgesamt 20 gibt es in den Dolomiten, und sie werden immer ausgeklügelter angelegt. „Sie bieten alles, was das Freestyle- Herz begehrt“, heißt es im Werbeflyer: „Perfekte Kicker, feine Rails und verspielte Jibs für Beginner und Free Rider.“ Auch im Park König Laurin auf der Seiser Alm ist das so. Diverse Hügel für kühne Absprünge und Salti gibt es, über Metallschienen und sogar über ein halb eingebuddeltes Auto kann man schlittern. „Zwölf Tage Schneeproduktion stecken in dem Park“, sagt Diego Clara und fügt stolz an: „Pro Tag haben wir 3000 User.“ Damit auch Flachländer was davon haben, hat man kürzlich das „Drop in“ erfunden. Da kann sich jeder, ob Anfänger oder Könner, einen Tag lang von einem Freestyle-Lehrer auf die Sprünge helfen lassen.72 Euro kostet das am Tag inklusive Ausrüstung. Und ohne Twintops, bei denen auch die Enden der Skier aufgebogen sind, kriegt man die tollen Drehungen ja gar nicht hin.

Gemütliche Skifahrer haben die breiten Pisten für sich. Trotzdem müssen auch sie an einigen Stellen aufpassen. Es könnte sein, dass ein Pferdeschlitten kreuzt. Überaus romantisch sieht das aus, aber noch netter ist es, wenn man selbst drinsitzt. Stefan Goller, einer von zehn Pferdeschlittenanbietern auf der Seiser Alm, hat „Blacky“ vorgespannt, eine robuste, gutmütige Mischung aus Haflinger und American Quarter Horse. Flott trabt das Tier voran, doch langsam genug, um das 360-Grad-Bergkino genießen zu können. Langkofel, Plattkofel, Schlern, Sellagruppe, Zacken für Zacken traumschön. Welche Farbe haben die Dolomiten, fragte sich im 19. Jahrhundert der italienische Schriftsteller Dino Buzatti. Und befand: „Sie können weiß sein wie der Schnee, gelb wie die Sonne, grau wie die Wolken, rosa wie die Rose, schwarz wie verbranntes Holz, rot wie Blut ...“

Jetzt hat ihnen die tief stehende Nachmittagssonne einen Purpurschimmer verliehen. Die Sonne ist Stammgast auf der SeiserAlm. „An acht von zehn Tagen scheint sie“, behauptet Walter Urthaler. Sie leuchtet auch durch die großen Glasfenster der Franziskus-Kirche von Compatsch. Seit zwei Jahren erst existiert der Holzbau mit seiner eigenwilligen Form. Drei Glocken hängen untereinander im hohen, dreieckigen Holzturm. Jeden Morgen läuten sie – pünktlich um acht. Eine ideale Zeit, um den Skitag, nach gemütlichem Frühstück, zu beginnen. Dann ist man immer noch locker vor jenen da, die mit den blauen Gondeln kommen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false