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Reise: Ein Vier-Sterne-Hotel im Berginneren

Im Gotthardmassiv verschanzten sich einst Soldaten zur Landesverteidigung. Aus Gängen und Gewölben wurde ein Hotel. Ein ganz besonderes Erlebnis

Feuchtigkeit glänzt an den Wänden, schmale Rinnsale vereinigen sich zu Pfützen auf dem Boden. An diesem Sommernachmittag ist es kalt. So kalt, dass das Gefühl entsteht, der Atem müsse zu Wölkchen gefrieren. Die Schritte hallen auf dem Betonboden, nur einige Laternen weisen den Weg zur nächsten massiven Stahltür. „Tür sofort wieder schließen!“, verlangt ein Hinweis, mit schwefelgelber Farbe auf die nackte Felswand gemalt.

Den Eingang zu einem Vier-Sterne-Hotel stellt man sich anders vor. Aber bis vor 15 Jahren ging es in diesen Gewölben nicht um Komfort. Hier, in den aus dem Fels herausgesprengten Räumen in den Schweizer Alpen, hielten sich bis zu 200 Soldaten bereit, ihr Land zu verteidigen. Dass sich an diesem Ort seit der Eröffnung im Jahr 2004 heute Manager zu Seminaren und Individualisten zu stiller Einkehr einfinden, ist das Verdienst des Künstlers und Design-Professors Jean Odermatt. Er hat die Militäranlage im Gotthardmassiv in das Luxushotel und Seminarzentrum „La Claustra“ verwandelt. Eine klösterliche Oase tief im Gotthardmassiv, auf 2050 Metern über dem Meer, ganz in der Nähe der Passhöhe. Gäste beherbergt es nur von Mai bis Oktober, die restliche Zeit sind die Zufahrtswege nicht passierbar.

Als die Räume noch unter Kontrolle des Militärs waren, galt strikte Geheimhaltung. „Es war unmöglich, als Ausländer oder gar als Frau in die Anlage zu kommen“, erinnert sich Odermatt. Ihn faszinierten Metamorphosen, die Herausforderung aus einem geheimen Bunker ein Kommunikationszentrum zu machen, erläutert der 60-Jährige seine Motivation. Nachdem die Armee gut 7500 in dem Artilleriefort gelagerte Granaten ausgeräumt hatte, war der Weg frei für Odermatt, seine Vision umzusetzen.

Odermatt wusste, dass es der richtige Platz für sein Projekt sein würde. Seit mehr als 20 Jahren fotografiert, filmt und beobachtet er den Berg. Im Sommer, im Winter, zu allen Tag- und Nachtzeiten, bei jeder Art von Wetter. Herausgekommen sind rund 250 000 Dias vom Gotthard. Von mehr als 500 verschiedenen Standorten fotografiert.

Das Ergebnis beeindruckt: Nach einem Marsch durch den im ursprünglichen Zustand belassenen Zugangsstollen kontrastieren im umgebauten Innentrakt Wände aus rohem Fels mit den sanft beleuchteten mit roten Teppichen ausgelegten Gängen, in den 17 Zimmern hat Lärchenparkett die Zementböden ersetzt. Wunderschöne, von hinten angestrahlte Fotografien von Bergen leuchten an den Wänden. Schaltet man das Licht an, verwandeln sie sich in einen Spiegel über dem Waschbecken. Aus dem Hahn fließt das Quellwasser direkt aus dem Berg. Zum Entspannen bieten sich ein Dampfbad, zwei japanische Kusatso-Sprudel-Sitzbadewannen und eine Wassergrotte an.

„Wir sind hier über den Wolken. In der Tiefe des Berges. An der Quelle der Flüsse. Tauchen Sie ein in diese Oase“, wirbt Odermatt. 4000 Quadratmeter klare Schönheit aus Stein, Holz, Wasser und raffiniertem Licht. „Eine Projektionsfläche für Träume“, nennt der Schweizer Konzeptkünstler Jean Odermatt die von ihm erfundene Tunnelherberge, eine „Zwergenhöhle“, eine „Feenburg“.

Abgeschirmt vom Alltag verlieren sich die Koordinaten von Raum und Zeit. Zu hören ist nur das Rieseln des Wassers entlang der Wände, Ablenkungen zum Beispiel durch das Fernsehen fehlen. Es klingelt kein Handy, und die Sonne gibt in diesem fensterlosen Reich keinen Rhythmus vor. Der Zugang zum Internet ist indessen gewährleistet, ebenso wie Telefon-, Fax- und E-Mail-Verbindungen. „Hier lösen sich herkömmliche Denkmuster“, sagt Odermatt, während er voller Elan ein Seil am Baldachin verknotet, der die Gäste vor Wassertropfen schützt.

Um sich über Inspirationen oder deren Ausbleiben auszutauschen, bietet sich als Treffpunkt das Restaurant an. Dort lassen sich regionale Leckerbissen zusammen mit einem imposanten Blick auf unverkleidete Felswände genießen. Eingeschenkt wird Mineralwasser aus der hoteleigenen Quelle oder edle Tropfen aus den Weinbautälern rund um den San Gottardo. Auf der Karte finden sich allein mehr als 20 Sorten Merlot aus dem Tessin. Gelegentlich nimmt der selbst ernannte „Maulwurf der Berge“, Odermatt selber, an Degustationen teil oder führt Gäste durch die Anlage. „Zunächst wollte ich nicht so viel investieren. Aber, wie man im Französischen sagt, l’appétit vient en mangeant“, konstatiert Odermatt und schwärmt bereits von seinem nächsten Projekt: Durch ein Fernrohr im ehemaligen Geschützturm sollen die Gäste die Milchstraße in ihrer ganzen Intensität beobachten können, ungestört vom Streulicht der Zivilisation.

La Claustra, San Gottardo, CH-6780 Airolo; Telefon: 00 41 / 91 / 880 50 55, im Internet: www.claustra.ch

Übernachtung mit Frühstück im Einzelzimmer / Doppelzimmer 245 Schweizer Franken (etwa 170 Euro) pro Person. Die Benutzung der Wellnessanlagen kostet 45 Franken. ZURÜCK ]

Annette Leyssner

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