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Ring

© Marlis Heinz

Erfurt: Ein Haus erzählt

In Erfurt ist die Geschichte der jüdischen Gemeinde der Stadt neu aufgezeichnet. Die ehemalige Synagoge ist nun ein Museum.

Der Hochzeitsring. Aus reinstem Gold. Als einziges Ausstellungsstück wird diese filigrane gotische Goldschmiedearbeit in der Vitrine mitten im Kellergewölbe großartig präsentiert. Zu sehen ist dieses wahre Kunststück im kürzlich eröffneten Museum Alte Synagoge Erfurt. Doch die Stadt – neben Worms, Speyer oder Prag ein bedeutendes Zentrum des Judentums im Mittelalter – birgt noch mehr Zeugen jüdischen Lebens.

Wenn er nur erzählen könnte, der kostbare Ring. Gewiss würde er berichten von jenem Tag vor 660 Jahren, als er gemeinsam mit anderen Schmuckstücken in einen faustgroßen silbernen Doppelkopf gepresst und unter eine Kellertreppe gestopft wurde. Sein Besitzer ahnte wohl, welches Grauen der jüdischen Gemeinde Erfurts bevorstand – ein Pest-Pogrom. Wie auch anderswo in Europa.

Und die Angst war offenbar keineswegs unbegründet. Am 21. März 1349 überflutete eine Woge der Gewalt und Zerstörung das Viertel. Etwa 1000 Menschen wurden erschlagen oder kamen auf andere Art in einem tosenden Inferno ums Leben.

Die jüdische Gemeinde Erfurts war ausgelöscht. Die Grundstücke der Gemeindemitglieder gelangten in städtischen Besitz, auch die weitgehend erhaltene Synagoge aus Stein. Ein Kaufmann erwarb vom Rat das Gemäuer, ließ es unterkellern und zum Lagerhaus umbauen. Später war das Haus Tanzsaal, Gaststätte, Kegelbahn. Die ursprüngliche Bestimmung geriet im Laufe der Jahrhunderte in Vergessenheit. Und wohl nur dadurch blieb die einstige Synagoge von der Zerstörungswut der Nationalsozialisten verschont.

Erst rund 500 Jahre nach der Pogromnacht wurde erneut eine Synagoge in der Stadt errichtet. Ein zweistöckiges klassizistisches Gebäude am Ufer der Gera. Es wurde der stetig wachsenden Gemeinde jedoch bald zu klein und zu einem Wohnhaus umgebaut. Das war ebenfalls die Rettung für das Gebäude, das heute als Begegnungsstätte Kleine Synagoge dient, die man besichtigen kann und in der unter anderem ein Archiv zur jüdischen Geschichte Erfurts offen steht.

Die Gemeinde errichtete ihre Große Synagoge im maurischen Stil, weihte den Prachtbau 1884 ein – und verlor ihn in der Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938. Auf diesem Grundstück entstand Anfang der Fünfziger die Neue Synagoge, der einzige Synagogenneubau auf dem Gebiet der DDR.

Wenn er erzählen könnte, der kostbare goldene Ring, dann würde er bestimmt auch über seine abenteuerliche Rückkehr ans Tageslicht berichten: Die begann im September 1998. Bauarbeiter hatten den Doppelkopf sowie Schmuck, Tafelsilber, Münzen und Barren in der Michaelisstraße 43 gefunden. Die Kostbarkeiten wurden restauriert und erregten später bei Ausstellungen in aller Welt Aufsehen.

Die Wiederentdeckung der Synagoge hingegen lässt sich nicht an einem einzigen Tag festmachen. Schon Ende der Achtziger bemühte man sich im Institut für Denkmalpflege, das vermutete Gebäude zu finden. Ab 1992 erfolgten systematische Bauuntersuchungen. Vor zehn Jahren begann die Restaurierung, bei der aus EU-, Bundes- und Landesmitteln für rund 1,6 Millionen Euro verbaut wurden. Dabei stand jedoch die Frage, wie mit den vielen Schichten der Nutzung umzugehen sei. Welcher Verwendungszweck sollte hervorgehoben, welcher zurückgedrängt werden?

Den Restauratoren gelang es – so, als blättere man in einer Chronik –, alle Kapitel der vergangenen neun Jahrhunderte in den Blick des Betrachtes zu rücken: Vor dem Jahr 1100 errichtet, gilt das Gebäude als die älteste bis zum Dach erhaltene Synagoge Mitteleuropas. Ein Lichtergesims und die im Erdgeschoss zusammengetragene Baugeschichte erinnern an diese ursprüngliche Nutzung. Von Erweiterungen und Umbauten des Bethauses erzählen das Mauerwerk und Maßwerkrosetten, von der Zeit als Speicher die gotischen Balkendecken, die Toreinfahrt und der Keller. Im Obergeschoss ist der Ballsaal des 19. Jahrhunderts noch erlebbar.

Dass das einstige Bethaus den Rahmen für den wiederentdeckten Schatz bildet und dass die Ausstellung noch um wertvolle von der Erfurter Gemeinde stammende hebräische Handschriften aus der Staatsbibliothek Berlin bereichert wird, diese Idee entwickelte sich erst lange nach den beiden Funden. Inzwischen sind beide Projekte zu einem sehenswerten Ganzen verschmolzen.

Im Herbst vergangenen Jahres öffnete die einstige Synagoge als Museum für die mittelalterliche jüdische Geschichte. Vom ersten Tag an kamen die Besucher, schauten, lauschten den Audioguides oder Expertenführungen, fragten nach, staunten, ließen sich mitnehmen in ein fernes, bislang wenig bekanntes Kapitel Erfurter Geschichte.

Noch von der Arbeit der Restauratoren beherrscht wird die 2007 entdeckte Mikwe, das Ritualbad am Ufer der Gera gleich bei der Krämerbrücke. Auch dieses Baudenkmal wird demnächst zu besichtigen sein. Der Gast erlebt während der Stadtführungen (bislang nur Gruppen) allerdings auch die Belege der Judenfeindlichkeit: geschändete Friedhöfe; der auf dem Schwein reitende Jude am Chorgestühl des Domes, den der Christ vom Pferd herab kämpfend besiegt; oder am Portal des Gotteshauses die bösartige Synagoga bei den törichten Jungfrauen als Gegenstück zur liebenswerten Ekklesia bei den klugen.

Noch sind keine touristischen Pakete zur Thematik jüdischer Geschichte entwickelt, noch kann man auch nirgendwo koscher essen. Doch mit der Eröffnung des Museums Alte Synagoge hat Erfurt von sich reden gemacht. Mehr noch: Es möchte als Stadt mit besonders vielen, besonders wertvollen und besonders aussagestarken Zeugen jüdischer Kultur unter diesem speziellen Aspekt auf die Unesco-Welterbe-Liste.

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