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Dänemark: Auf Kopfsteinpflaster zur Harmonie

Die "dänische Südsee" mit ihren grünen Inseln entfaltet im Sommer einen sanften Zauber -wie zu Andersens Zeiten.

Es sind diese Bilder, die sich unvergesslich eingeprägt haben: Farben von sattem Grün, aus dem jetzt im Juli das Patchworkmuster unzähliger Weizenfelder leuchtet – umgeben vom tiefen Blau der Ostsee. Wie oft sind wir schon über die dänischen Ostseeinseln geradelt, über die kleinen Eilande südlich von Fünen, die der Märchendichter Hans Christian Andersen den „Garten Dänemarks“ nannte. Doch jedesmal wieder ist es wie eine Premiere, immer neu und faszinierend. Eindrücke einer Landschaft voller Harmonie und Gelassenheit, mit Wiesen und Weiden, die sich über sanft gerundete Kuppen ziehen, von Dörfern mit weißen Kirchen und niedrigen Fachwerkhäusern, an denen sich Malven und Stockrosen bis zur Dachrinne ranken.

Troense auf der Insel Tasinge südlich von Fünen, nur durch eine Autobrücke über den Svendborgsund von der großen Schwesterninsel getrennt, ist einer dieser bezaubernden Orte, in die man immer wiederkehren möchte. In dem vielleicht auch der weitgereiste Urlauber sein Fernweh vergessen kann. So erging es wohl auch den vielen pensionierten Segelschiffkapitänen, die sich nach dem Ende ihrer China- und Ostindienreisen hier zur Ruhe setzten und sich am Ufer von Troense ihre schmucken Kapitänshäuschen bauten.

Es ist noch früh am Morgen, als wir in Troense zur unserer Radtour durch die „dänische Südsee“ aufbrechen. Unter den Rädern buckelt sich das Kopfsteinpflaster – blank poliert im Laufe der Jahrhunderte, und an den Fahnenmasten in den Gärten flattert der rot-weiße Danebrog im Morgenwind. Südsee – vermutlich ist es die beinahe exotisch anmutende Farbenpracht, die der Inselwelt um Fünen dieses hochtrabende Attribut beschert hat. Noch hängen ein paar Schwaden Morgendunst über der Ostsee, doch in den Fensterscheiben der Kapitänshäuser spiegelt sich schon ein Himmel, der auch am Äquator nicht blauer sein könnte, und auf dem Sund ziehen die ersten weißen Segel dahin.

In die morgendliche Meeresbrise aus Salz und Tang mischt sich ein verlockender Duft: Wenige Meter neben dem Meeressaum hat Vagn Gram, Mitglied des dänischen Angelsportvereins, einen Holzkohlegrill in den Sand gestellt. Uns erwartet ein Frühstück zum Sonnenaufgang. Auf dem Rost bruzzelt der Fang des Vortages – Aale, Makrelen, Ostseeflundern. Und wie im Märchen steht gleich daneben ein Tischlein-deck-dich, beladen mit knusprigen Brötchen und dänischer Leberpastete, mit Krabbensalat und Schinken, mit Käse, Joghurt und frischen Erdbeeren zum Nachtisch.

Märchenhaft ist auch die Kulisse: Knapp hundert Meter hinter unserem Picknickplatz streifen die Sonnenstrahlen die roten Backsteinmauern eines stolzen Renaissancebaus – ein Schloss am Meer, flankiert von barocken Torhäusern, die einen kleinen Park und einen künstlichen See umrahmen. König Christian IV., dem Dänemark wohl die meisten seiner prächtigen Schlossbauten verdankt, hatte es Mitte des 17. Jahrhunderts errichten lassen – als Geschenk für seinen Lieblingssohn, Graf Valdemar. Doch der junge Prinz hat das Schloss nie bewohnt, er kam schon 1656 bei einem Seegefecht auf der Ostsee ums Leben.

Heute ist Valdemars Schloss im Privatbesitz einer dänischen Familie, dennoch können die Räume besichtigt werden – die fürstliche Waffenkammer und die Sammlung der zahlreichen Jagdtrophäen, die Repräsentationsräume und das Esszimmer. An dem langen Tisch mit dem kostbaren Porzellan hat früher einige Male ein berühmter Gast Platz genommen, ein englischer Verwandter der Schlossbesitzerin: der Schriftsteller Ian Fleming, dessen bekannteste Romanfigur sich ja ebenfalls gern in internationalen Jetset-Kreisen bewegte – der Geheimagent James Bond.

Schriftsteller als Gäste in Fünens Schlössern und Herrenhäusern – das hat Tradition. Hans Christian Andersen, der auf seiner Heimatinsel einst selber von Schloss zur Schloss reiste und sich fürstlich verwöhnen ließ, hat die Zahl der Schlösser und Wasserburgen auf den dänischen Ostseeinseln auf mehr als einhundert geschätzt. Von den heutigen Problemen der Schlossherren konnte der Dichter im 19. Jahrhundert noch nichts ahnen. Der „Garten Dänemarks“ ist längst kein Garten Eden mehr, zumindest nicht aus ökonomischer Sicht. Wer ein Schloss besitzt, muss sehen, wie er finanziell zurechtkommt. Viele Schlossherren haben deswegen längst Türen und Tore für zahlende Besucher geöffnet, haben ihre Häuser zu Hotels oder zu Museen umgewandelt, vermieten die edlen Räume als Tagungsorte für Veranstaltungen oder verkaufen Kunst und Antiquitäten.

Graf Michael von Ahlefeld, Hausherr auf Schloss Egeskov in Mittelfünen, hat die Situation vorausgesehen und schon vor Jahren alle Schilder mit dem Hinweis „adgang forbudt“ (Zutritt verboten) abbauen lassen. Er hat die fürstlichen Gemächer und den großen Schlossgarten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, hat eine Cafeteria und Kinderspielplätze eingerichtet sowie ein großes Museum für Oldtimerautos, historische Kutschen und Pferdegespanne. Und wenn einem Gast ein wenig nach Gänsehaut zumute ist, so kann er sich beim Grafen auch gruseln. Denn jede Nacht spukt in Egeskov die Jungfer Rigborg, die der Legende nach im Mittelalter lebendig in einer Kammer unter dem Dach eingemauert wurde – als Strafe für einen „Fehltritt“ in Sachen Liebe.

Nein, heute kann sich Graf Ahlefeld über Besuchermangel weiß Gott nicht beklagen. Sein Schloss, im 16. Jahrhundert auf Hunderten von Eichenpfählen in einem See errichtet, gilt als schönste und am besten erhaltene Wasserburg in ganz Nordeuropa – ein Märchenschloss par excellence, mit – wie Hans Christian Andersen schrieb – „so vielen Fenstern wie Tage im Jahr, so vielen Türen wie Wochen, so vielen Kaminen wie Monaten und so vielen Türmen wie Jahreszeiten ...“.

An Andersen führt auf Fünen kein Weg vorbei. Man begegnet ihm buchstäblich auf Schritt und Tritt. Vor allem in Odense, wo der Dichter vor mehr als zweihundert Jahren geboren wurde. Am Ufer der Odense Å, einem Flüsschen, das Fünens Hauptstadt mit dem Odense-Fjord verbindet, sind wir am frühen Nachmittag in die Stadt geradelt. Gleich neben dem St.-Knuds-Dom, Dänemarks bedeutendstem Kirchenbau aus der Gotik, steht der Dichter – in Bronze gegossen und umgeben von seinen Märchengestalten. Das große Sonnentor hinter dem Geburtshaus führt in einen riesigen Kuppelbau mit überdimensionalen Ölgemälden, die das Leben des Dichters erzählen – ein pompöses Pantheon, das dem verschlossenen und stets von Lebensängsten geplagten Einzelgänger vermutlich gar nicht recht gewesen wäre.

Wenige Meter neben dem verwinkelten Gassenviertel, in dem Andersen aufwuchs, durchschneidet heute eine moderne Schnellstraße die Stadt – überfüllt, laut und hektisch. Wir sind froh, als uns wieder die Ruhe der fünischen Landschaft umfängt, dieses friedliche Bauernland unter dem weiten, hellen Himmel, das sanfte Auf und Ab grüner Moränenhügel, die die Eiszeiten vor vielen Jahrtausenden hier aufgeschoben haben. Manchmal geht es so steil bergan, dass wir absteigen und die Räder schieben müssen. Dafür, schon in Küstennähe, entschädigt dann der Blick aufs Meer. Segelboote ziehen ruhig dahin, leuchtend weiße Punkte auf kobaltblauem Wasser.

Von Svendbog, dem lebhaften Hafenstädtchen im Süden von Fünen, Eingangstor zur dänischen Inselwelt, bringt uns die Fähre am nächsten Morgen hinüber nach Ærø. Die kleine Insel, knapp eine einstündige Schiffsreise von Fünen entfernt, gilt als schönstes Eiland des ganzen Archipels. Kein Wunder, dass im Hafen von Ærøskøbing Touristen und Autos ungeduldig an Land drängen. Ærøskøbing – das ist ein Welt für sich, ein Stückchen Dänemark in der Nussschale, wie einer Spielzeugschachtel entnommen. Fast könnte man glauben, im Lande Liliputs angekommen zu sein. Die Häuser in der alten Smedegasse sind so niedrig, dass man mit ausgestrecktem Arm die Dachrinne berühren kann. Gewiss: In den Läden blüht heute der Handel mit Souvenirs – mit Buddelschiffen, mit Töpferwaren und Kunsthandwerk. Dennoch fühlen wir uns wie ins 18. Jahrhundert zurückversetzt. Alle Häuser der Stadt stehen unter Denkmalschutz, die Vergangenheit scheint komplett konserviert.

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