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Tautreten nach Pfarrer Kneipp im Garten des Hotels Kuroase im Kloster von Bad Wörishofen. Foto: Gerald Haenel/laif

© Gerald Haenel/laif

Bad Wörishofen: Wadenwickel um sechs Uhr früh

Eine Kneippkur in Bad Wörishofen ist nichts für Warmduscher. Zur „Fünf-Säulen-Therapie“ gehören vor allem eiskalte Güsse.

Die Tür meines Hotelzimmers fliegt auf. Jemand zerrt an meiner Steppdecke. Im Halbschlaf sehe ich neben dem Bett eine Frau in Weiß stehen, die mehrere Tücher in der Hand hält. Kneippbademeisterin Marianne Weidenspointner ist wegen der kalten Wadenwickel gekommen. Es ist sechs Uhr. Morgens. Vielleicht wäre der heiße Heusack die bessere Entscheidung gewesen. Zu spät. Mit flinken Fingern wickelt die Bademeisterin ein feuchtkaltes Leinentuch um meine Waden, darüber ein Baumwolltuch und schließlich ein drittes Tuch aus Wolle. „In einer Stunde bin ich zurück und nehme die Wickel ab. Bis dahin werden Sie entspannt schlafen.“ Spricht’s und rauscht aus dem Raum, um den nächsten Ahnungslosen zu schocken. Volles Programm in Bad Wörishofen.

Ich liege auf dem Rücken, möchte mich umdrehen. Doch die Wickel drohen zu verrutschen. Also abwarten, was passiert. Nach wenigen Minuten setzt ein leichtes Kribbeln ein. Erst bis zu den Knien, dann langsam bis in die Oberschenkel. Wohlige Wärme breitet sich aus, dann kommt der Schlaf. Und schließlich wieder Marianne. Sie packt die Beine aus und irgendwie energiegeladen kann der Tag im Kneippkurort beginnen.

Die Wasserheilkunde, zu der neben Wickeln auch Güsse, Bäder und Packungen zählen, gehört zur Fünf-Säulen-Therapie des 1897 in Bad Wörishofen im Alter von 76 Jahren verstorbenen Pfarrers Sebastian Kneipp. Die vier weiteren Elemente: Pflanzenheilkunde, Ernährung, Bewegung und Lebensordnung. Nachdem Kneipp sich während des Studiums von einer schweren Tuberkulose selbst mit Hilfe der Heilkraft des Wassers kuriert hat, kommt er 1855 nach Wörishofen und beginnt, kranke Menschen zu beraten und mit Wasseranwendungen zu heilen. Von Kritikern unter den Ärzten unbeeindruckt, publiziert Kneipp seine Thesen, und seine Resultate sind erstaunlich. Heute gibt es 60 Kneippheilbäder- und kurorte.

Nach dem Frühstück heißt es: ab aufs Fahrrad. Die Landschaft um Bad Wörishofen ist eben bis leicht hügelig. Erst weit am Horizont lassen sich die Alpen im Dunst erahnen. „Es gibt 250 Kilometer Radwege und wenig befahrene Straßen um Bad Wörishofen“, beteuert der Radwanderführer. Doch zunächst geht es durch den Ort. Nicht weiß getünchte Kurkliniken säumen die Straßen, sondern schmucke Hotels, Gasthäuser und Pensionen. Die Balkonkästen sind prall gefüllt mit Hängegeranien, wie es sich fürs Allgäu gehört.

An Kneipp kommt hier jedoch keiner vorbei. Über Feldwege verlassen wir den Ort, schon tauchen erste Wassertretbecken auf, mitten in einem der Bäche, die die Stadt durch- und umfließen. Da Wassertreten gegen Einschlafstörungen helfen soll, verschieben wir die Angelegenheit auf den Abend. Weiter geht’s zum Barfußweg. Ohne Schuhe und Strümpfe zu gehen, diene der Abhärtung, predigte Kneipp. Also los. Auf dem 80 Meter langen Parcours dürfen die Füße auf neun unterschiedlichen Bodenbelägen fühlen, wie Natur sein kann. Vorbei an blühenden Wiesen und durch schattigen Wald gelangt man zurück in die Innenstadt.

Direkt am Kurpark befindet sich das 1896 von Sebastian Kneipp gegründete Kneippianum, der Gesundheitstempel der Stadt schlechthin. Zeit für den viel gepriesenen „Schönheitsgesichtsguss“, der die Haut beleben und straffen soll. „Ich sehe ja zehn Jahre jünger aus“, ruft eine Frau. Ob sie ihre Brille verlegt hat? Ein Blick in den Spiegel – ich entdecke bei mir keinen Unterschied. Wahrscheinlich muss man öfter herkommen.

Zwischen hohen Bäumen blitzt wieder ein Wasserbecken hervor. Drei Frauen drehen ihre Runden im Storchengang im zwölf Grad kalten Wasser. Äh, also im Moment dann lieber die „Tasse Kaffee des Kneippianers“, das belebende Armbad. Schließlich wartet Bademeisterin Marianne schon. Nicht wie zu Kneipps Zeiten mit einem Strahl aus der Gießkanne, sondern mittels eines dicken Schlauches massiert sie meine Arme. „Warm, kalt, warm und zum Schluss noch einmal richtig kalt, damit sich die Poren schließen.“

Nach einem anstrengenden Tag mit viel Bewegung muss es noch mal sein: drei Runden durchs eisige Wasser. Das garantiere schließlich eine wunderbare Nachtruhe, heißt es. Tief und fest schlafen – bis, ja bis Marianne die Tür aufschließt und wieder mit den feuchtkalten Wickeln an meinem Bett steht. Ach nein, das wird ausfallen. Morgen früh ist nämlich der heiße Heusack dran.

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ANREISE

Mit der Bahn ab Berlin in knapp achteinhalb Stunden (Umstieg in Augsburg) nach Bad Wörishofen.

Die schnelle Flugverbindung von Tuifly Tegel–Memmingen (Allgäu) wurde von Air Berlin übernommen und wird ab November eingestellt.

ÜBERNACHTEN

In Bad Wörishofen gibt es zirka 160 Übernachtungsbetriebe unterschiedlicher Kategorien, die Kneipp-Anwendungen anbieten. Beispiel-Pauschale: „Die Kleine Winterkur“ (buchbar vom 14. November bis 20. Dezember) mit sechs Übernachtungen, Vollpension, medizinischer Beratung und sieben Kneipp-Anwendungen und mehr kostet ab 481 Euro (Einzelzimmer) beziehungsweise ab 499 Euro pro Person im Doppelzimmer. Auskunft: Sebastianeum, Kneippstraße 8, 86825 Bad Wörishofen; Telefon: 082 47 / 35 50

AUSKUNFT

Touristinformation, Hauptstraße 16,

86825 Bad Wörishofen; Telefon: 082 47 / 99 33 55, Internet: www.bad-woerishofen.de

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