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Lüftlmalerei. Mittenwald wie aus dem Bilderbuch. Tatsächlich weist in der Marktgemeinde jedes vierte Haus diese volkstümliche Variante des Trompe-l’œil (Scheinmalerei) auf.

© imago

Bayern: Sanfte Klänge am Karwendel

Mittenwald gilt als Mekka deutscher Geigenbaukunst. Und alle vier Jahre gibt es einen Wettbewerb.

Um von Berlin einen thematischen Bogen nach Mittenwald zu schlagen, gibt es eine langweilige und eine überraschende Möglichkeit. Der Langweiler könnte aus dem Erdkundeunterricht kommen: Berlin ist Deutschlands Hauptstadt, die Marktgemeinde Mittenwald ist Hauptort der „Alpenwelt Karwendel“. Na ja. Die dann doch eher überraschende Variante hat mit „Schreibste mir, schreibste ihr, schreibste auf MK-Papier“ zu tun, also mit einer Berliner Papierindustriellendynastie.

Während Vater Max Krause (geboren 1838 in Treuenbrietzen, gestorben 1913 in Steglitz), Gründer der Firma M. K. Papier, einer der größten Papierfabrikanten im damaligen Deutschland war, konnte sich Sohn und Erbe Max (1870–1955) auch für die Alpenwelt begeistern. Er ließ nicht nur den MK-Papier-Reim erfinden, sondern auch über Mittenwald eine eindrucksvolle Bauhausvilla errichten und die angrenzenden Schafswiesen zum Kurpark ausbauen. Heute ergehen sich im „Krausegarten“ Gäste, die nicht gut genug zu Fuß sind, um in den Karwendelbergen herumzukraxeln.

Die Gipfel des bayerisch-tirolerischen Gebirgszuges recken sich fast 3000 Meter in die Höhe; durch das Tal quetscht sich die Isar Richtung München. Der Fluss war jahrhundertelang eine wichtige Handelsverbindung. Von Mittenwald aus stakten Flößer nicht nur Passagiere, Fleisch und Käse Richtung Norden, sondern auch kostbares Tuch, edlen italienischen Wein sowie Holz und Holzprodukte.

Die Geschichten an den Hausfassaden fesseln den Blick

Ebenso Streich- und Zupfinstrumente in beträchtlicher Zahl. Sie waren zunächst unentbehrlich für höfische Musikdarbietungen, dann ein Muss für die musikalische Erziehung des großbürgerlichen Nachwuchses. Mittenwalder Geigenbauer, die ihr Handwerk zumeist im italienischen Cremona gelernt hatten, sind für ihre Produkte seit Ende des 17. Jahrhunderts in aller Welt geschätzt – noch heute stellt ein rundes Dutzend Instrumentenbauer hochwertige Violinen, Bratschen und Celli her.

Vom Hang, an dem die Max-Krause-Villa wieder prächtig renoviert steht, bis ins Mittenwalder Zentrum braucht’s eigentlich nur ein paar Gehminuten. Aber die können sich durchaus auf ein, zwei Stunden auswachsen, weil es so viele Geschichten gibt, die an den Hausfassaden erzählt werden.

Lüftlmalerei, mit der Mittenwald reich gesegnet ist, gilt als alpine Antwort auf flachländische Graffitikultur. Zum Beispiel in einem fast winzigen Quartier im Ortskern. Schräg gegenüber dem Geigenbaumuseum hockt ein Heiliger, fast ungläubig ein Kruzifix anstarrend, im härenen Gewand dekorativ auf einem strohgepolsterten Fels. Um ihn herum, knapp an einem aufgeklappten Fensterladen vorbei, springt Gebirgswild über einem Fenstersturz heran, wie zufällig begleitet von schlohweißem Hühnervieh.

Heiligenfiguren und Motive aus der Bibel sind die Hits

Lüftlmalerei ist eine ziemlich sakrale Angelegenheit; Fassadenhits sind Motive aus der Bibel, Erzählungen aus der Kirchengeschichte und sehr katholische Heiligenlegenden. „Fast immer haben die Heiligenfiguren mit den Vornamen der ursprünglichen Hauseigentümer zu tun“, sagt die Mittenwalder Lüftlmalerei-Kennerin Regine Ronge und deutet auf eine ihrer Lieblingsfassaden, die am Untermarkt heute ein Atelierhaus schmücken. Gottvater räkelt sich unter dem Dachfirst sehr gelassen auf einer Kumuluswolke, obwohl unmittelbar unter ihm ein eingefasstes Herz lichterloh brennt.

Darunter bedrängen diverse Heilige die blaugrünen Fensterklappen am Haus. Auf den Fensterstürzen im Erdgeschoss hocken drei Männer, eine Frau und ein Kind, alle unschwer als Heiligenfiguren auszumachen, weil sie fromm schauen und über ihren Köpfen Ringe kreisen. Gottlob wird schräg gegenüber der Beweis angetreten, dass das Leben auch unheilig zu genießen ist: Szenen eines mittelalterlichen Marktes, wo tüchtig gehandelt, aber auch ordentlich gebechert, geknobelt und herumpoussiert wird.

In Bezug auf Lüftlmalerei gibt es in Mittenwald zwei Unklarheiten. Warum, erstens, in der Marktgemeinde fast jedes vierte Haus so geschichtenträchtig bemalt ist. Nicht ganz genau überliefert ist, zweitens, wie die Lüftlmalerei zu ihrem Namen kam. Geht er auf Maler Zwinck zurück, der einst in Oberammergau ein Haus „Zum Lüftl“ bewohnte? Oder waren es die Lüftlein, durch die Fassadenbilder schweben, schön zu sehen an einer Hauswand vor dem Mittenwalder Ortskern?

Kostbare Exponate kommen per Post zum Geigenbauwettbewerb

Feinarbeit. Geigenbaumeister Anton Sprenger freut sich über Besucher.
Feinarbeit. Geigenbaumeister Anton Sprenger freut sich über Besucher.

© Schulte Döinghaus

Dort fiedelt sich von rechts ein gutgenährtes Puttenengelchen durch die Luft. Im Vordergrund fixiert ein gutgebauter Mann im Adamskostüm und Vokuhila-Haarschnitt eine schöne Nackerte, die offenbar unschlüssig darüber ist, ob sie einer Schlange die Geige abnehmen soll, die sie ihr verlockend anbietet.

Diese Genesis inklusive Evas Verlockung durch Mittenwalder Geigen ist zwar ein wenig anmaßend, führt uns aber zu einer Veranstaltung, die in der nächsten Woche in Markt Mittenwald beginnt. Vom 7. bis 22. Juni ist hier der 7. Internationale Geigenbauwettbewerb. Zu dieser Veranstaltung, sie findet alle vier Jahre statt, werden 200 Instrumentenbauer aus rund 30 Ländern erwartet, die ihre Geigen, Celli, Bratschen und Geigenbögen im Wettbewerb einer zwölfköpfigen Fachjury präsentieren.

Nicht alle Handwerker kommen persönlich angereist, viele der rund 350 Exponate gelangen per Post und Kurier hierher, hochversichert zwar und dick eingemummelt, aber von unendlicher Sorge begleitet, sie könnten auf dem Postweg zerlegt werden und im Biomüll enden. „Die Sorgen waren und sind unberechtigt“, versichert Carolina Kiml, die als Tourismusexpertin für den Geigenbauwettbewerb zuständig ist.

Das Mittenwalder Championat wird begleitet von einem attraktiven Rahmenprogramm, das mit einem feierlichen Eröffnungskonzert in St. Peter und Paul beginnt und mit dem Abschlusskonzert des Geigenbauwettbewerbs im TSV-Veranstaltungssaal endet, zu dem auf preisgekrönten Wettbewerbsteilnehmerinnen musiziert wird. Zwischendurch gibt es allerlei Kurkonzerte, Festgottesdienste, Themenführungen und Werkstattbesichtigungen bei Geigenbauern.

Manche Gäste werden enttäuscht sein

Einer der Meister, bei denen Gäste Mäuslein spielen dürfen, ist Anton Sprenger, zugleich einer der Mit-Organisatoren des Geigenbauerwettbewerbs. „Nervt es Sie, wenn Ihnen Touristen bei der Arbeit zuschauen?“ Der 43-jährige Geigenbaumeister, der sich selbst als Handwerker und Künstler bezeichnet, lächelt die Frage weg: „Ich freue mich über Besucher. Aber viele sind nach einer Weile gelangweilt und wundern sich, dass sie nicht mehr von der Herstellung einer Geige sehen können.“

Manchmal reisten Menschen mit dicker Brieftasche und wenig Sachverstand an, um morgens eine Geige in Auftrag zu geben, die sie abends abholen möchten, während sie ihm – quasi zwischen Weißwurstfrühstück und Brotzeit – immer mal wieder bei der Arbeit zuschauen.

„Diese Gäste muss ich enttäuschen“, sagt Anton Sprenger. Der Bau einer handwerklich meisterhaften Geige nehme oft Wochen oder gar Monate in Anspruch, und viele Teilarbeiten hätten sogar etwas Monotones, Routinehaftes, sagt Sprenger. Er macht das an sogenannten Randeinlagen deutlich, mit denen zwar jede Violine verziert wird, die aber für den späteren Klang so gut wie keine Bedeutung haben. „Daran arbeite ich, wenn ich mich nicht konzentrieren muss oder wenn ich nicht so gut gelaunt bin“, sagt Sprenger. Dabei biegt, klopft, ruckelt und frickelt er einen Draht zurecht – und ist gottlob gutgelaunt.

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