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Kein Durchkommen. Da die Türen verschlossen sind, reicht Christine Wagner die Waren über den Zaun. Ist aber verboten. Macht sie’s weiter, werden 2000 Euro Strafe fällig.

© Berkholz

Erste deutsche Authobahnraststätte: Dann eben über den Zaun

An der A 9 beim thüringischen Triptis steht die älteste Autobahnraststätte Deutschlands. Leider kommt man schlecht hin.

Rolf Schmidt hat sein Auto geparkt, steigt aus und geht schnurstracks auf den grünen, wohl zwei Meter hohen Metallzaun zu. Eine Glocke ist daran befestigt. Schmidt zieht an ihrem Seil und ruft: „Eine Thüringer, bitte“. Christine Wagner, im rund fünfzig Meter entfernt stehenden Imbisswagen über den Grill gebeugt, fragt laut zurück: „Noch etwas?“ Schmidt überlegt kurz und ruft dann: „Einen Kaffee mit Milch.“ Kurze Zeit später naht die 52-Jährige. Sie klettert eine an den Zaun gelehnte Trittleiter hoch und reicht das Bestellte in einem Körbchen übers Metallgitter. Schmidt nimmt Wurst und Kaffeebecher heraus und legt 4,50 Euro in den Korb. Das Geschäft ist perfekt. Was kurios anmutet, ist Alltag auf einem Thüringer Autobahnparkplatz. Knapp 20 Kilometer hinter dem Hermsdorfer Kreuz in Richtung München befindet er sich, direkt an der A 9.

Im gehörigen Abstand hinter dem Imbisswagen steht ein dunkelbraunes Holzgebäude. „Erste deutsche Autobahnraststätte“ steht dran, in dicken schwarzen Lettern auf weißem Untergrund. Leider wird hier niemand mehr bedient, sie ist seit Jahren verwaist. Zumindest vom Autobahnparkplatz aus kommt man sowieso nicht mehr hin. Der Zaun ist dazwischen. Eine Durchgangstür hilft nichts, sie ist mit schwerem Schloss verriegelt. „Das ist doch total verrückt“, sagt Schmidt. Der Mann aus Ingolstadt fährt regelmäßig hier vorbei – und wenn möglich hält er hier an.

„Die Bratwurst kostet 2,50 Euro und schmeckt allemal besser als diese teuren Baguettes an den Raststätten“, sagt er. Ein Thüringer Kunde, „ich komme aus der näheren Umgebung“, erklärt: „Wenn ich Appetit auf 'ne gute Bratwurst habe, weiß ich, wo es sie gibt: genau hier.“ Eben hat Christine Wagner zwei Studenten aus Nürnberg die bestellten Currywürste über den Zaun gereicht.. „Lustig“ findet einer von ihnen diesen Ort. Kommilitonen hatten ihn empfohlen.

2004 war alles vorbei

Der Parkplatz der ehemaligen Raststätte Rodaborn bei Triptis ist Kult. Aber wie lange Christine Wagner noch „über den Zaun“ verkaufen darf, ist unklar. Das Thüringer Landesamt für Bau und Verkehr untersagte kürzlich den ungewöhnlich Verkauf von Grillgut unter Androhung eines Zwangsgeldes von 2000 Euro. Christine Wagner hat dagegen vor dem Verwaltungsgericht in Gera geklagt. Aber das ist nur das vorläufige Ende einer langen, spannenden Geschichte.

Rodaborn wurde am 20. Dezember 1936 als erste deutsche (Reichs-)Autobahn-Raststätte eröffnet. Dazu war das zuvor dort stehende „Walderholungsheim Rodaborn" umgebaut worden. In den 1920er Jahren hatte man es errichtet, nachdem ein Jenaer Professor das Wasser der nahe gelegenen Quelle „Roda-Born“ untersucht und ihm eine Heilkraft bei Gicht, Rheumatismus und Nierenleiden bescheinigt hatte.

Nach dem Krieg ging das Gebäude zunächst in Genossenschaftseigentum über, wurde später verpachtet und von der HO übernommen. Ende der 70er Jahre wurde die Raststätte geschlossen, bis dann – von 1986 an – die Mitropa den Betrieb für Transitreisende fortführte. Fotos, aufgenommen von der Staatssicherheit, zeigen rustikal eingerichtete Räume mit hellgelben Lampenschirmen, herzchenverzierten Holzstühlen und altrosafarbenen Vorhängen.

Auch nach der Wende konnten Reisende hier rasten und einkehren. 2004 war dann alles vorbei. Die A 9 wurde sechsspurig ausgebaut. Damit verschwanden die meisten Parkplätze der Raststätte, einige wurden in Richtung Triptis verlegt.

Hinter einen Zaun gesperrt

Alle Register ziehen die Wagners, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
Alle Register ziehen die Wagners, um Aufmerksamkeit zu bekommen.

© Berkholz

Einige Jahre später wurde die Raststätte versteigert. Christine Wagner und ihr Mann Georg erhielten 2009 den Zuschlag, wie viel sie für das Gebäude bezahlt haben, mögen sie nicht erzählen. Das Karlsruher Ehepaar wollte es als Ausflugsgaststätte führen, ging aber davon aus, dass man auch Parkende verköstigen könnte. „Aber dann haben die Behörden im Mai 2010 die Schlösser am Zaun angebracht“, sagt Christine Wagner. „Jetzt“, so erklärt die Baden-Württembergerin, „kann ich mir vorstellen, wie die Leute in der DDR sich gefühlt haben mögen, so hinter einen Zaun gesperrt. Sie hätte auch schon ehemalige DDR-Bürger erlebt, die beinahe weinend am Zaun standen und nicht verstehen konnten, warum „wir nicht zur Raststätte gehen können“.

Warum nicht sein kann, was nicht sein darf, wollte das Ehepaar von der Straßenbauverwaltung wissen. Und diese antwortete in einem ausführlichen Schreiben vom 13. Mai 2014. „Zu dem Zeitpunkt, als Sie die Baulichkeiten von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben im Jahr 2009 erwarben, war Ihnen von dieser mitgeteilt worden, dass diese Liegenschaft zukünftig nicht mehr als Nebenbetrieb betrieben und Ihnen aus diesem Grund auch eine entsprechende Konzession nicht erteilt werden kann. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben hatte Sie insofern ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Nutzung mit Kontakt zum Parkplatz nicht möglich sein wird.“

Auch der „Verkauf über den Zaun“ sei nicht rechtens. „ Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 und 2 FStrG ist die Benutzung der Bundesfernstraßen über den Gemeingebrauch hinaus Sondernutzung. Sie bedarf der Erlaubnis der zuständigen Straßenbaubehörde. Eine solche Erlaubnis liegt nicht vor und kann auch nicht erteilt werden.“ Der seinerzeit bestehende Konzessionsvertrag sei zum 30.6.2004 beendet und die ehemalige Autobahnraststätte Rodaborn zum 1.7.2004 geschlossen worden. Kurz und bündig nennt die Behörde die Fakten: „Die Versorgung der Verkehrsteilnehmer erfolgt nunmehr über die vorhandenen Rastanlagen Hermsdorfer Kreuz und Frankenwald.“

Früher kamen die Kunden über eine Brücke

Während Christine Wagner sich durch die verschlossenen Türen im Zaun gleichsam übers Ohr gehauen fühlt, spielt die Behörde den Ball zurück. In besagtem Schreiben heißt es: „Ihre Auswahl als Käufer erfolgte nach Information der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben letztlich auch wegen Ihres vorgelegten Nutzungskonzepts. Dieses sah eine Nutzung als Ausflugsgaststätte mit der Zielgruppe Familien mit Kindern vor, also ausdrücklich gerade keine Nutzung mit Kontakt zum Parkplatz der BAB.“

Werbung für die Wurst. Sie am Ort zu essen, hat schon Kultcharakter.
Werbung für die Wurst. Sie am Ort zu essen, hat schon Kultcharakter.

© Hella Kaiser

Früher hätten die Leute noch über die Brücke von Rodaborn Ost (gegenüberliegende Autobahnseite Richtung Berlin) zu ihnen kommen können, beklagt Christine Wagner. Doch auch das sei nicht mehr möglich. Die Behörde dazu: „Eine Zusage, dass Ihr Grundstück über eine Brücke von diesem Parkplatz aus erreichbar sein wird, liegt nicht vor.“

Bislang, so sagt Christine Wagner, sei sie mit dem Verkauf über den Zaun mehr schlecht als recht über die Runden gekommen. Selten nehmen Autofahrer die am Rasthaus plakatierte Abfahrt Triptis Industriegebiet-Nord, um auf legalem Weg, gleichsam von hinten, zur Raststätte zu gelangen. Zwar wirbt der Ort Triptis auf seiner Website mit einem sieben Kilometer langen Wanderweg, der auch an der Raststätte vorbeiführt, doch oft beschritten wird er wohl selten.

„Ihr Völker der Welt, schaut auf dieses Haus!“

Geld für die notwendige Renovierung der Raststätte können die Wagners über den Imbissverkauf nicht erwirtschaften. Und aus anderen Töpfen gibt’s nichts dazu. Denn: Die „Erste deutsche Authobahnraststätte“ gilt nicht als Denkmal. Zwar habe sie mal auf einer „Verdachtsliste“ gestanden, sagt Sabine Berner von der zuständigen Unteren Denkmalschutzbehörde in Thüringen, doch sei sie da bald wieder „runtergeflogen“. Bei einer Begehung 2009 hatte man zahlreiche Umbauten feststellen müssen. Daher handle es sich nicht um ein schützenswertes Einzeldenkmal.

Ein Geschichtsobjekt aber ist es wohl allemal. Die Wagners haben ein Transparent angebracht. Darauf steht: „Ihr Völker der Welt, schaut auf dieses Haus!“ Fast hätte es Alexander Dobrindt gesehen. Als er im September im Saale-Orla-Kreis eine Autobahn freigab, sprach ihn ein Journalist der „Ostthüringer-Zeitung“ auf die Probleme in Rodaborn an. Die Antwort des Verkehrsministers: „Wenn hier etwas lange Tradition hat und durch die Konzession nicht abgebildet wird, werden wir eine Lösung finden, damit es dort weiter Bratwürste gibt.“

Die Frage ist, ob sie noch über den Zaun gereicht werden dürfen. Das Verwaltungsgericht Gera ist am Zuge. Doch die Mühlen mahlen langsam. „Vor Februar 2015 wird wohl nichts entschieden“, sagte ein Gerichtssprecher jetzt auf Anfrage.

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