zum Hauptinhalt
Keine Kunst. Was hier auf dem Tisch steht, lernt jeder Esperanto-Schüler im Nu: eine Flasche Wein.

© Gerhard Westrich/laif

Harz: Völker, verständigt euch

Herzberg im Südharz ist die "La Esperanto-urbo": Ein Pilgerort für Anhänger der Kunstsprache.

Vor dem Haus von Peter Zilvar und Zsófia Kóródy stehen mehrere Fahnenmasten. Wenn die beiden mal wieder internationalen Besuch bekommen, wird zu Ehren der Gäste deren jeweilige Landesflagge gehisst. Unlängst wurde auf diese Art eine große Delegation aus Nepal begrüßt, kürzlich wurden Freunde aus den USA empfangen.

Heute wehen die Fahnen von China, Südkorea und den Niederlanden im Wind. Die Besucher machen sich vor allem aus einem Grund auf den weiten Weg nach Herzberg im Harz: Hier befindet sich die deutsche Hochburg der Esperantisten. Das Haus von Zilvar und Kóródy ist der Sitz des Deutschen Esperanto-Zentrums mit tausenden Büchern in der leicht zu lernenden Kunstsprache. Der Warschauer Augenarzt Ludwik Zamenhof entwickelte sie Ende des 19. Jahrhunderts, um Grenzen zu überwinden. Die Regeln sind einfach: Ein einziger Artikel, Kleinschreibung, eine Grammatik ohne Ausnahmen, und alle Wörter werden so ausgesprochen, wie sie geschrieben stehen.

Herzberg ist laut Zilvar der weltweit einzige Ort mit zweisprachigen Straßenschildern wie Bahnhof/stacidomo und Rathaus/urbodomo. Auch in zahlreichen Restaurants finden sich Speisekarten auf Deutsch und Esperanto, in Hotels wird Esperanto gesprochen. An einem zentralen Platz ist die grüne Esperanto-Flagge aufgezogen, daneben steht ein Denkmal mit der Büste Zamenhofs, ein Geschenk aus China.

Rund um den Juessee mitten in der Stadt haben die Esperantisten einen zweisprachigen Baumlehrpfad angelegt. Im Heimatmuseum gibt es einen Esperanto-Raum. 2006 stimmten alle Parteien des Stadtrates dafür, Herzberg den Namen „la Esperanto-urbo“ zu geben – die Esperanto-Stadt.

Esperantisten sind reisefreudig

Das hat sich weltweit unter den Esperantisten herumgesprochen. „Die meisten von ihnen sind sehr reisefreudig. Sie fahren in Länder wie Litauen, Ungarn, Brasilien, Japan oder China, wo sie durch Kontakte mit dortigen Esperantisten viel mehr als sonst üblich vom Land mitbekommen. Oft können sie auch bei ihnen gratis übernachten“, sagt Zilvar. Bei ihm selbst klingelt es nicht selten unverhofft an der Haustür – eben erst haben Esperantisten aus Kuba und Irland bei ihm übernachtet. In Herzberg können sich Esperanto-Lehrer fortbilden, Sprachkurse werden angeboten, auch in Schulen wird Esperanto als Arbeitsgemeinschaft unterrichtet.

Denkmal. Herzberg ehrt den Esperanto-Entwickler Ludwik Zamenhof.
Denkmal. Herzberg ehrt den Esperanto-Entwickler Ludwik Zamenhof.

© Göres

„Ich habe damit angefangen, um an einem Projekt mit Jugendlichen aus Ungarn und Italien teilnehmen zu können. Außerdem habe ich über Esperanto ein Mädchen aus der Schweiz kennengelernt, das ich demnächst besuche. Esperanto macht mir Spaß, und man bekommt so leichter Kontakte in andere Länder“, erzählt die 14-jährige Anna. Mit ihrer Freundin Jeanette, die ebenfalls Esperanto lernt, hat sie an einem Austausch mit Herzbergs polnischer Partnerstadt Góra teilgenommen, in der einige Jugendliche ebenfalls Esperanto sprechen. „Wir haben uns in einem Mischmasch aus Esperanto, Deutsch und Englisch verständigt“, erzählt Jeanette.

Englisch hat allerdings auch in Herzberg Esperanto den Rang als internationale Verständigungssprache abgelaufen – außer den beiden Mädchen gibt es kaum Nachwuchs. Für die Zukunft sieht Zilvar trotz der vielerorts immer älter werdenden Esperanto-Gruppen dennoch nicht schwarz: „Durch das Internet haben zunehmend junge Leute Esperanto entdeckt und bringen es sich selbst bei.“

Die Idee einer gleichberechtigten Kommunikation bleibt faszinierend

In Herzberg weiß man, dass die meisten Reisenden nicht wegen Esperanto, sondern aufgrund der hügeligen Landschaft kommen, die sie auf Wandertouren entdecken wollen. Zunehmend versucht man, auch Skater und Radfahrer – mit kostenlosen Steckdosen für E-Bikes – und speziellen Routen in die Region zu locken, die Naturfreunden etwa mit dem Nationalpark Harz (Nacia Parko Harz), dem Lonauer Wasserfall (Lonau-akvofalo), der Einhornhöhle (Unukornulo-groto) und der Rhumequelle (rhume-fonto), eine der drei größten Flussquellen Europas, einiges bietet.

Eine weitere Attraktion ist das hoch gelegene 950 Jahre alte Welfenschloss (Kastelo de la Welf-oj), eines der größten Fachwerkschlösser. Von hier oben haben Besucher einen schönen Blick über die Stadt.

Diese Höhenunterschiede kommen anscheinend bei Flachländern besonders gut an: Nach Auskunft des Bürgermeisters Lutz Peters erwerben Holländer in den vergangenen Jahren verstärkt Immobilien in Herzberg und Umgebung. Ein Hoffnungsschimmer in einer Gegend, in der viele Urlaub machen wollen, aber immer weniger Menschen leben – bis 2050 wird die Einwohnerzahl nach jüngsten Prognosen um 18 Prozent abnehmen.

Beim Abschied hat man vielleicht eine Esperanto-Vokabel gelernt, die einem in Herzberg auf vielen Schildern begegnet: Bonvenon – willkommen! Möglicherweise wird der Gast auch angeregt, über eine fast vergessene Idee nachzudenken, die Zilvar so auf den Punkt bringt: „Bei der Verständigung über Englisch sind Muttersprachler immer im Vorteil. Die gleichberechtigte Kommunikation über eine neutrale Sprache überall auf der Welt bleibt faszinierend.“

Auskunft: Deutsches Esperanto-Zentrum, Telefon und Fax: 055 21 / 59 83. Deutscher Esperanto-Bund Berlin, Telefon: 030 / 51 06 29 35, Tourismusinformation Herzberg, Telefon: 055 21 / 85 21 11.

Joachim Göres

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false