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Helgoland: Die mit dem Sturm tanzen

Die Hochseeinsel Helgoland lockt auch zur kalten Jahreszeit: Saubere Luft und viel Ruhe statt zollfreier Einkauf ziehen die Besucher an. Doch es könnten ein paar mehr sein.

Das Meer schwappt ruhig im Hafen. Kein Boot bewegt sich an diesem Morgen, keins ist draußen. Nur ein Frachtschiff ist am Horizont zu sehen. Die Hütten, in denen sonst Mitbringsel und Fischbrötchen an Inselbesucher verkauft werden, sind geschlossen. Zwei Fischer gehen gemächlich die Straße entlang, bleiben am Hafen stehen und plaudern miteinander. Sie haben Zeit. Der Hochbetrieb des Sommers auf Helgoland liegt längst hinter beziehungsweise noch weit vor ihnen.

Auch Karl-Heinz Hottendorf ist in gefütterter dunkelblauer Jacke und Seemannsmütze auf den Beinen. Er schließt seine rote Fischerhütte auf, wirft einen prüfenden Blick auf das Durcheinander von Netzen, Bojen und Seilen. Dann schnappt er sich ein paar Hummerkörbe. „Jetzt komme ich endlich mal dazu, sie zu flicken“, sagt der 62-Jährige und stopft mit festem Seemannsgarn die Löcher der mit Netzen umspannten Metallkörbe. Seine Hütte ist eine der sogenannten Hummerbuden. Sie gehört zu den im skandinavischen Stil gebauten Fischerhütten, die den Weg am Hafen säumen.

Es ist Winter auf Helgoland. Für die etwa 1500 Insulaner heißt das: endlich Zeit zum Verschnaufen. In den kalten Wochen des Jahres sind sie fast unter sich. Inselfotografin Lilo Tadday genießt die Ruhe. „Der Winter kann gar nicht lang genug sein“, sagt sie und packt in einer der Buden neben dem Fischer Fotos für eine Ausstellung zusammen.

Der Morgennebel löst sich langsam, Wind zieht auf und schiebt die Wolken über den Himmel. Die salzige Brise fegt die Nase frei. Die wenigen Gäste mögen den rauen Charme der Insel an den kürzesten Tagen des Jahres.

Deutschlands einzige Hochseeinsel bietet nicht nur saubere Luft, sondern auch kurze Wege. Alles ist zu Fuß erreichbar. Der Felsen misst nur knapp zwei Quadratkilometer, besteht aus Oberland und Unterland. Dazu gehört natürlich auch die „Düne“, die durch eine Meeresrinne von der Insel getrennt und nur per Boot erreichbar ist. Mit reichlich feinem weißen Sand ist sie Helgolands Badestrand.

Romantische Inselidylle mit reetgedeckten Häusern sucht man hier vergeblich. Das Bild bestimmt der Stil der späten 50er und frühen 60er Jahre, in dem die Insel nach dem Zweiten Weltkrieg völlig neu bebaut werden musste. Das Inferno hatte den Felsen übrigens weitgehend verschont – bis zum 18. April 1945, als die britische Luftwaffe binnen zwei Stunden mehrere tausend Bomben abwarf. Die Inselbevölkerung überlebte den Hagel in den weitverzweigten unterirdischen Stollen des Luftschutzbunkers. Doch der Felsen war danach unbewohnbar, die Menschen wurden evakuiert.

Auch nach Kriegsende blieb die Insel eine Zielscheibe. Im April 1947 sprengten die Briten die militärischen Bunkeranlagen. Dabei kam es allerdings nicht zu der billigend in Kauf genommenen Zerstörung der gesamten Insel. Die Hafenanlagen und Schutzmauern blieben intakt, auch der Zivilschutzbunker wurde verschont. Er kann heute besichtigt werden. Bis zum 1. März 1952 blieb Helgoland militärisches Sperrgebiet und Bombenabwurfplatz für die Briten. Danach durften die Insulaner auf ihren Felsen zurück.

Im Sommer ist heute die Ruhe einer abgelegenen Insel hier kaum zu finden. Dann fallen tausende Tagesgäste in Helgoland ein. Sie staunen über das Kuriosum Helgoland, kaufen zollfrei Whisky, Tabakwaren oder Parfum und freuen sich auf die Schiffsreise zurück ans Festland. Wobei der Grad der Freude oft vom Seegang abhängig ist …

Während sich Hottendorf seinen Hummerkörben widmet, streichen sich Ulrike und Ralf Ratmann wenige Meter weiter im Hotel Rickmers Butter und Marmelade auf die Brötchen. „Jetzt ist es am erholsamsten und am schönsten“, sagt der Helgolandkenner aus Bremerhaven. Er war schon oft hier, doch freut er sich jedes Mal auf ausgedehnte Spaziergänge über das Oberland ohne Menschentrauben, dafür mit freiem Blick auf die spektakuläre Felswand und das felsige Wahrzeichen Helgolands, die „Lange Anna“. Ob die Sonne scheint, ob es schneit oder stürmt, ist nicht so wichtig.

Um die Insel in der kalten Jahreszeit noch attraktiver zu machen, hat Hotelier Detlev Rickmers den „Helgoländer Hochseewinter“ zur zweiten Saison erklärt, mit „Storm Watching“ (so viel Marketingdeutsch muss wohl sein), Tunnel- und Bunkerführung und Wellness. Während der Eingang des Bunkers auf dem Oberland liegt, ist der des Tunnels gleich hinter dem Hotel im hauseigenen Garten. Dort, wo heute das „Insulaner“ steht, befanden sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Werft und später die erste feste Anlegestelle der Insel. Um schwere Lasten auf das Oberland zu transportieren, wurde an dieser Stelle ein Tunnel gebaut.

Der 47-jährige Familienvater beobachtet, dass Helgoland wieder mehr als Urlaubsort wahrgenommen wird und immer weniger als Ziel für Butterfahrten. Dennoch ist es um den Tourismus eher schlecht bestellt. Seit Jahren sinken die Besucherzahlen. Doch Rickmers ist zuversichtlich, weil weniger Tages-, dafür mehr Übernachtungsgäste kommen. Der Inhaber des Vier-Sterne-Hotels, dessen Vater der erste Nachkriegsbürgermeister Helgolands war, hat viel vor: neue Suiten, mehr Wellness sowie den Umbau seines zweiten Hauses, das im April als „Aparthotel Klassik“ eröffnen soll.

Für Fischer Hottendorf wird es nun Zeit, die Hummerkörbe zu verstauen und zum Anleger der Dünenfähre zu gehen. Mittags beginnt seine Schicht als Fährmann. Stündlich pendelt er zwischen Fels und Düne. In Thermohosen, winddichten Jacken, warmen Mützen und mit Fotoausrüstungen bepackt, kommen die Besucher zum Anleger. Sie wollen zu den Robben, die jedes Jahr ab Ende November auf der Düne zur Welt kommen. Schließlich kann man nirgendwo sonst das Familienleben der großen Raubtiere in der Natur aus nächster Nähe so gut beobachten.

Währenddessen sitzt Tourismusdirektor Klaus Furtmeier im Rathaus und freut sich. Jährlich locken die kuscheligen Robbenbabys neue Gäste nach Helgoland. Ginge es nach ihm, sollten Düne und Insel durch eine feste Verbindung vereint werden, damit die Touristen jederzeit an den Strand können. Pläne gibt es. So will ein Hamburger Unternehmer mittels einer in den Meeresgrund gerammten Stahlwand und aufgespültem Sand Fels und Düne verbinden. Dabei vergrößerte sich die Insel um etwa 100 Hektar. Denkbar ist laut Furtmeier auch eine breite Seebrücke mit Platz für Gastronomiebetriebe. „Helgoland hat so viel zu bieten, da lohnt es sich zu investieren“, sagt der drahtige Münchner mit dem kurzen dunklen Haarschopf. Nach neun Jahren Tourismus in Bayern hat er die Berge vor zwei Jahren gegen den roten Felsen in der Nordsee eingetauscht. Dieser ist ihm samt Düne inzwischen richtig ans Herz gewachsen.

Wie die Insel in Zukunft aussehen wird, soll in diesem Jahr vom Landkreis Pinneberg und der Gemeinde Helgoland entschieden werden. Noch ist die Inselbevölkerung gespalten. Die Fotografin Lilo Tadday weiß von vielen älteren Insulanern, dass sie nichts von einer Verbindung mit der Düne halten. „Für den Tourismus ist es sicherlich gut, aber schöner wäre es, wenn es so bliebe“, sagt die aktive 60-Jährige, die seit 35 Jahren auf Helgoland lebt und beim Fotografieren und in ihrer Galerie immer zu einem kleinen Schnack aufgelegt ist.

Wintergäste kommen meist am Wochenende, um bei frischem Wind den Kopf freizubekommen, in der Hotelsauna zu schwitzen oder mit Blick aufs Meer das Fitness-Studio zu nutzen. Hoteliers bemängeln öfter mal die wenigen Schiffsverbindungen in dieser Jahreszeit. Gäbe es eine Fähre am Freitagabend, könnten schließlich Gäste, die lieber mit dem Schiff als mit dem Flieger kommen, eine Nacht länger bleiben.

Per Schiff sind auch Sabine und Frank Meißner für fünf Tage gekommen. „Wir können uns dem Knut-Effekt der kleinen Robben nicht entziehen“, sagen die Berliner. Bevor sie ins warme Meerwasser des Schwimmbads Mare Friscum eintauchen, spazieren sie noch über das Oberland. Es ist das Gefühl, die Zeit vergehe im Winter auf der Insel langsamer, das nicht nur die beiden hierhertreibt.

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